Und das vermaledeite Alter war für Sheila Jordan sowieso noch nie ein Problem, sondern eher Ansporn, der Vergänglichkeit ein Schnippchen zu schlagen. Seit Jahrzehnten steht sie mitten im Spotlight und verzaubert mit unprätentiöser, intuitiver Vokalkunst: Sheila, die ewig Vergessene und Verschmähte, das Stehaufweibchen der Jazzszene. Was sie von Weggefährten wie Lennie Tristano, Charlie Parker, Bud Powell, Thelonious Monk oder Sonny Rollins lernte, setzt sie heute perfekter denn je um. Sie entblättert selten intonierte Standards mit ihrer instrumentalen, fast trompetenähnlichen Phrasierung und dringt mit sanft-beharrlichem Lamento tief ins Innere jeder Ballade vor. Mit der anschmiegsamen Sperrigkeit des grandiosen Klarinettisten/Saxofonisten Don Byron, dem variablen Drumming von Tony Jefferson und der einfühlsam tieftönenden Begleitung ihres Langzeitbegleiters Cameron Browns, der unter anderem mit Art Blakey, Don Pullen, Donald Byrd, Booker Ervin, Lee Konitz, Chet Baker, Betty Carter, Joe Lovano, Archie Shepp, Dewey Redman, Lou Donaldson und Marc Copland zusammenarbeitete, ergibt dies große, emotionale Musik.
Sheila Jordan (voc), Cameron Brown (b), Don Byron (sax, cl), Tony Jefferson (dr)
Aktuelle CD:
Here And How! Volume 2! – OmniTone 15218/sunnymoon
Wer heute Lust auf einen „Schieber“ bekommt, der muss sich freilich weitgehend auf Musik aus der Dose verlassen. Vor allem in westlichen Hemisphären gibt es so gut wie niemanden, der die Musik von Juan d’Arienzo, Carlos Di Sarli, Osvaldo Pugliese und Aníbal Troilo, der großen Klassiker des Tango de Salón, authentisch zu interpretieren versteht. Wenn nun der 1978 in Buenos Aires geborene Pianist Alejandro Ziegler erstmals im „Birdland“ seine Visitenkarte abgibt, dann erwartet die Besucher ausnahmsweise keines der üblichen Jazzkonzerte. Ziegler erwarb sich als Tastenvirtuose im Orquesta escuela de tango mit legendären Musikern wie Emilio Balcarce, Nestor Marconi und Raul Garello einen glänzenden Namen. Sein eigenes Quartett zählt längst zu den wichtigsten Ensembles dieses Genres rund um den Globus, weil es sowohl klassischen wie modernen Tango in originalen Arrangements meisterhaft und leidenschaftlich zu interpretieren versteht, aber auch des Bandleaders eigenen Kompositionen auf höchst virtuose Weise Gestalt verleiht. Worauf Ziegler, der Bandoneonist Javier Stromann, der Geiger Astro Rocca und der Bassist Patricio Peralta allergrößten Wert legen: Ihre Musik ist tanzbar, zu jeder Sekunde. Eine versteckte Einladung, um den Keller unter der Hofapotheke einmal nicht nur als reine Oase des Hörens zu betrachten?
Alejandro Ziegler (p), Javier Stromann (bandoneon), Astro Rocca (v), Patricio Peralta (b)
Einmal mehr wird sie in ihrer entwaffnenden Art, die sich zwischen französischer Nonchalance, deutscher Aufrichtigkeit und afrikanischer Unbefangenheit einpendelt, elementaren Fragen der Liebe auf den Grund gehen. Dabei streift sie emotionale Höhen und Tiefen, berührt poetischen Swing und swingende Poesie, alles verpackt in inspiriert sonnige Uptemponummern, sentimentale Balladen und beseelte afrikanischen Melodien. Mit ihren langjährigen Weggefährten Bernd Heitzler am Bass und Andreas Erchinger am Piano sowie Lars Binder als neuem Mitglied hinter dem Drumset reflektiert Verny tiefe Gefühle. Ein mutiges Unterfangen, vor allem weil die Grenze zum Kitsch und zur Peinlichkeit dabei bedrohlich nahe rückt. Dass die Vier, die mittlerweile auch international über einen glänzenden Ruf verfügen, sie dennoch nie berühren, liegt an ihrer gewachsenen Reife als Band. Diese erlaubt es ihnen, jederzeit absolut glaubwürdig mit diesem belasteten Thema zu spielen und die intensive Liebe ihrer mittlerweile auch in Neuburg zahlreichen Fans gebührend zu erwidern.
Cécile Verny (voc), Bernd Heitzler (b), Andreas Erchinger (p), Lars Binder (dr, perc)
Aktuelle CD:
Amoureuse – Minor Music MM 801128/Inakustik
Wer diese Musik liebt und die be- wie verzaubernde Italienerin vor allem im März 2007 auf der Bühne des Neuburger „Birdlands“ erlebt hat, der weiß, warum Paul Kuhn davon schwärmt, noch nie während seiner langen Karriere eine solche Sängerin begleitet zu haben. „Sie erinnert mich an die junge Ella Fitzgerald!“ Paulchen muss es wissen. Und er befindet sich in guter Gesellschaft. Für ihr Debütalbum „Easy To Love“ wurde das aus Turin stammende Ausnahmetalent 2006 für den Grammy nominiert. Stars wie Hank Jones, Clark Terry, Herbie Hancock, Slide Hampton, Roy Hargrove oder aktuell der feinfühlige Pianist Eric Gunnison, Neil Swainson am Bass und Drummer Willie Jones III reißen sich darum, mit der in New York lebenden Gambarini zu spielen. Denn die Frau hat den Swing, die ganze Seele des Jazz, eine Stimme, die mit ihrer Spannweite vom Rotkehlchen über das klare Blau eines Frühlingstages bis zum tiefen Alt der Primadonna reicht. Sie hat diesen Kick, der Ella Fitzgerald unsterblich werden ließ, die Eleganz einer Sarah Vaughan und den Charme einer Dinah Washington. Ausgerechnet eine Sängerin aus „Old Europe“ bringt den Swing zurück an die Geburtsstätten des Jazz. Ein echter Glücksfall.
Roberta Gambarini (voc), Eric Gunnison (p), Neil Swainson (b), Willie Jones III (dr)
Aktuelle CD:
So In Love – Emarcy 0602517960107/Universal
Beide bescherten dem „Birdland“ im November 2005 eines der besten Konzerte in seiner über 50-jährigen Geschichte. Die raffinierte Melange aus spanischer Klassik und amerikanischer Improvisationskultur begeisterte die Zuhörer über alle Maßen. Nun kehren der in Tanger als Sohn einer Italienerin und eines Portugiesen geborene Machado und Sheppard (Keith Tippett, George Russell, Gil Evans, Carla Bley) wieder an den Ort ihrer einstigen Großtat zurück – in reduzierter und überaus flexibler Besetzung. Den ersten Teil des Konzertes bestreiten die Protagonisten allein. Im intimen Dialog arbeiten sie die Feinmaserungen von wunderschönen französischen Melodien aus der Zeit des Impressionismus sowie Werken von Fauré, Debussy, Ravel oder Poulenc heraus, ständig bereit, deren feststehende Parameter zu verändern. Nach der Pause gesellen sich der in Neuburg bestens bekannte Bassist Hennig Sieverts und Drummer Matthias Gmelin hinzu. Nach allen Seiten offene Jazzmusiker ziehen kosmopolitische Quersummen und wagen mentale Selbstreinigungsprozesse voller Rasanz und malerischer Kühnheit. Ein Parforceritt ohne stilistische Schubladen, bei dem es keinen Verlierer gibt.
Jean-Marie Machado (p), Andy Sheppard (ts), Hennig Sieverts (b), Matthias Gmelin (dr)
Aktuelle CD:
Machado: Soeurs de Sang – Le Chant Du Monde 2741498.99/Harmonia Mundi
Sheppard: Movements in Colour – ECM 2062/Universal
Mit Sechs lernte er das Klavierspielen, mit 18 ging er in die USA, mit 25 wurde er Dozent am Brüsseler Conservatoire Royal. Der junge Mann hatte es eilig. In den 1990er Jahren entdeckte ihn Aldo Romano, er traf den Trompeter Flavio Boltro, den Saxofonisten Stefano Di Battista und die Belmondo-Brüder. Nun geht Legnini mit seinen exzellenten Mitstreitern Mathias Allamane am Bass und Franck Agulhon an den Drums neue Wege. Melodien und Groove lösen sich bei ihnen in Strukturen auf, die den Bebop in die Postmoderne überführen. Die Drei swingen sich mit großartiger Lässigkeit durch eigene Stücke und Covers, die von Phineas Newborn über Duke Ellington und Keith Jarrett bis zu Björk reichen. Ohne Ego-Trips, ohne Nostalgie und den Wunsch, Altes wiederaufleben lassen zu wollen, lassen sie sich in der Gegenwart nieder und offenbaren dabei eine vielförmige Identität. Legnini ist wie eine große Klammer an den Tasten. Sie umfasst Hiphop, Swing, die Mixtapes der 2000er aber auch grandiose Improvisationen und ästhetischen Soul. Eine lebendige, unmittelbare, überaus sinnliche Erfahrung.
Art Of Piano 118
Eric Legnini (p, fender rhodes), Mathias Allamane (b), Frank Agulhon (dr)
Aktuelle CD:
Trippin – Discograph B-Flat 3700426905886/Al!ve
Für den deutschen Tenorsaxofonisten und die kanadische Ausnahmetrompeterin geriet Musik noch nie zur bloßen Nabelschau. Seefelder gilt seit den 1980ern als eine der markantesten Saxofonstimmen der Republik. Seine weit geschwungenen Bögen erinnern längst nicht mehr an große Vorbilder wie Coltrane oder Dexter Gordon. Der 55-Jährige lieferte bislang für Dave Liebman, Barbara Dennerlein, Dusko Goykovich oder das Vienna Art Orchestra den perfekten Kontrast. Jensens Karriere nahm Mitte der 1990er Jahre rasant an Fahrt auf. Die grandiose Melodikerin versuchte sich höchst erfolgreich als Leaderin und spielte mit Größen wie Terence Blanchard, Bobby Hutcherson, Kenny Garrett, Steve Wilson, Jeff „Tain“ Watts, Dr. Lonnie Smith, Jeff Hamilton, Billy Hart und Clark Terry auf gleicher Augenhöhe. Zusammen mit einer exzellenten Band um den Pianisten Rainer Böhm, Seefelders Professoren-Kollegen an der Musikhochschule Mannheim Thomas Stabenow am Bass sowie dem Drummer-Veteran Keith Copeland kredenzen beide virtuosen, modernen Hardbop ohne nostalgische Alibis.
Jürgen Seefelder (ts), Ingrid Jensen (tp), Rainer Boehm (p), Thomas Stabenow (b), Keith Copeland (dr)
Aktuelle CD:
Birds – Westwind 2141
Doch beim siebten Gastspiel fehlt einer, der eigentlich untrennbar mit dieser musikalischen Gemeinschaft verbunden schien: Bob Rückerl, langjähriger Baritonsaxofonist und treibende organisatorische Kraft, starb im Januar dieses Jahres völlig unerwartet nach kurzer, schwerer Krankheit. Das alte Mullen-Nieberle Sextett wird es ohne Bob definitiv nicht mehr geben. Aber seine Freunde wussten, dass es in seinem Sinn gewesen wäre, die Combo weiter am Leben zu erhalten. Also übernimmt der Pfaffenhofener Christoph Hörmann fortan den Saxofonpart. Trotz einer weiteren Veränderung (für den Vokalisten Charly Meimer singt nun Dana Darau) offenbart sich weiterhin eine spritzige Plattform für zwei exzellente Gitarren. Mullen und Nieberle holen mit ihrem unmanierierten Wechselspiel für einige Momente die Sterne vom Himmel. Ansonsten herrscht angenehme Erdigkeit, zu der vor allem Christian Diener (Kontrabass) und Scotty Gottwald (Drums) beitragen. Ein Konzert, über dem der Geist Bob Rückerls schwebt, das aber auch Mut für die Zukunft dieser besonderen Konstellation machen soll.
Jim Mullen (g), Helmut Nieberle (g), Dana Darau (voc), Christoph Hörmann (ts,), Scotty Gottwald (dr), Christian Diener (b)
Aktuelle CD:
But Beautiful – Bobtale Records/[email protected]
Der Name des Trios stammt – wie könnte es auch anders sein – aus dem Deutschen. Im Februar 2008 kehrte John Goldsby, seit 1994 Bassist der WDR Big Band und Dozent an der Folkwang Hochschule in Essen, in seine frühere Heimat nach Louisville/Kentucky zurück. Im dortigen Stadtteil Germantown gibt es einen Jazzclub namens „The Nachbar“, wo er sich mit den ebenfalls aus Louisville stammenden Musikern Jacob Duncan (Aretha Franklin, Norah Jones, Violent Femmes) und Jason Tiemann (Jean Michel Pilc, Joanne Brackeen, Bob Mintzer) traf, um eine viel beachtete Live-CD einzuspielen. Mitnichten eine Eintagesfliege. Weil die Chemie zwischen den Dreien stimmte und jeder auf die offene, kantige Flexibilität eines Saxofontrios steht, beschlossen Goldsby, Duncan und Tiemann, das Nachbar Trio ins Leben zu rufen und es nun auch in Europa zu präsentieren. Ein Projekt, an dem John Goldsbys ganzes Herz hängt, nachdem er bereits mit Größen wie George Benson, Larry Coryell, Benny Goodman, Lionel Hampton oder Wynton Marsalis arbeitete und für den Soundtrack des Grammy dekorierten Films „The Cotton Club“ den Bass zupfte.
Aktuelle CD:
Live At The Nachbar – Bass Lion BLM004
John Goldsby (b), Jacob Duncan (as), Jason Tiemann (dr)
Eine Gabe des Alters ist es, sich wieder daran zu erinnern, wie alles anfing. Bei Bobby Hutcherson war es vor allem die Begegnung mit einem Mann: John Coltrane. Als blutjunger Teenager malte er sich in seiner Heimatstadt Los Angeles sogar einen Schnurrbart unter die Nase, nur um in einen Club eingelassen zu werden, in dem gerade das Miles Davis Quintet mit dem noch ungekrönten König des Tenorsaxofons spielte. Hutcherson kam viel zu früh, die Band absolvierte noch ihren Soundcheck, während Trane ganz für sich allein übte. „Ich habe bis heute noch keinen mit solcher Akribie und Konsequenz üben gehört. Später beim Konzert spielte er ´Giant Steps` und all die anderen Dinge, und ich wunderte mich nur immer wieder: Wie macht der Kerl das bloß?“ Nicht etwa Milton Jackson oder Lionel Hampton wurden zu Vorbildern für den 68-jährigen Weltklasse-Vibrafonisten, sondern allein John Coltrane. Ihm huldigt der Mann, der bei Eric Dolphys Meilenstein „Out To Lunch“ die Akzente setzte, mit einem eigenen Programm. Sein fast vibratoloser, kristalliner, warmer Ton, seine berühmten melodischen Linien mit den harmonischen Brüchen verleihen Coltranes Erbe eine völlig neue, leidenschaftliche und intelligente Klangfarbe.
Bobby Hutcherson (vib), Joe Gilman (p), Glenn Richman (b), Eddie Marshall (dr)
Aktuelle CD:
Wise One – Kind Of Blue 10034