Latella, unweit des Friedhofs der bitteren Orangen in Neapel geboren, kannte das Werk Josef Winklers bislang nicht, da es nicht auf Italienisch vorlag. Aus dem gemeinsamen Interesse an und für bestimmte Themen und Personen wurde für ihn Winklers Werk zu einer persönlichen Entdeckung. In dem Projekt Triptychon bewegen sich die beiden künstlerischen Welten nun aufeinander zu, und der Staatspreis- und Büchnerpreisträger erfährt zum ersten Mal eine Interpretation durch einen italienischen Regisseur.
In einer unheiligen Dreifaltigkeit aus Katholizismus, Homoerotik und Schreiben entsteht das literarische Universum von Josef Winkler als Partitur aus Worten und Stimmen. Die Poesie der Winkler’schen Sprache wird drei Schauspielern auf den Leib geschrieben: Priester, Transvestit, Dichter. Drei Männer, ein Wechselspiel von Litanei und Gebet, von Totengeschichten und Kindheitserinnerungen, von sexueller und Todesphantasie: Die Ohnmacht gegenüber der lebenslänglichen Unterdrückung durch Vater und Sprache, durch Kirche und Staat bahnt sich ihren Weg in wortgewaltigen Tiraden und Bildern, in denen die eigenen Mittel, die Sprache, stets hinterfragt und von Neuem gesucht werden.
Die Compsons sind drei Brüder, von denen sich einer umgebracht hat, der andere schwachsinnig ist und der dritte alle anderen hasst, eine Schwester, die reich heiratet, verlassen wird, sich prostituiert, die uneheliche Tochter der Schwester, die mit dem letzten Vermögen der Familie durchbrennt, die depressive Mutter und der an Alkohol sterbende Vater; außerdem die Köchin Dilsey und ihre Kinder. „Sie waren keine Compsons. Sie waren schwarz.“ Das erste Kapitel ist aus der Perspektive des schwachsinnigen Benjy geschrieben.
Die Inszenierung der Manhattaner Theatergruppe Elevator Repair Service konzentriert in abgerissener Sprache auf diese disparaten und intensiven Wahrnehmungen. In wilden Sprüngen, wie in einem Traum, werden Geschehnisse aus unterschiedlichen Zeiten ohne Erklärung oder Wertung zur gemeinsamen Gegenwart aller Familienmitglieder und der Schwarzen, die auch als Tote noch auf der Bühne anwesend sind. Es ist die Choreografie einer Landschaft und eines Zeitalters, die die Spieler mit vitaler und außergewöhnlicher Körpersprache, größter sprachlicher und musikalischer Präzision herstellen. Sie erzählen von der Verzweiflung und Komik einer sterbenden Kultur, sterbender Eliten, wechselnder Besitzverhältnisse ohne Sentimentalität mit der Unschuld des Idioten. Elevator Repair Service gehört zu den wichtigsten Ensembles der New Yorker Off- Broadway Szene.
In der Halle G im MuseumsQuartier!
Ein frankokanadischer Poplyriker kommt nach Paris, um im Auftrag der Opéra Garnier ein Libretto für eine Kinderoper nach Motiven eines Andersen Märchens zu schreiben. Er lebt in einer kläglichen Wohnung. Der Besitzer hat seinen Hund dagelassen. Die Peepshow im Parterre ist zu laut. Seine Freundin teilt mit, dass sie ihn verlassen hat. Von Zeit zu Zeit trifft er den business-gestressten Operndirektor, der sich um Koproduzenten, Andersen-Foundation, Publikumstauglichkeit des Stoffes, Ticketing sorgt, immer öfter die Peepshow besucht und dort das Libretto liegen lässt. Alles ist Verlust und Scheitern. Natürlich wird das Libretto nie auf die Bühne kommen. Sein Stoff wird als Bildgeschichte erzählt: Das Märchen von der Dryade, einer Nymphe, die in einem Walnussbaum lebt und deren Wunsch nach dem Leben, den hellen Lichtern von Paris sie zerstört, sobald er in Erfüllung geht. Ein dritter Einsamer ist ein Sprayer, der durch die Stadt geistert und als einziger Spuren hinterlässt. Mit größter Leichtigkeit wechselt der Schauspieler Yves Jacques zwischen diesen Figuren und ebenso zauberisch einfach verändern sich Orte und Bilder.
Der Theater-, Film- und Opernregisseur Robert Lepage wurde mit Polygraph und The Seven Streams of the River Ota sowie The Far Side of the Moon berühmt.
Als Kriegsreporter für einen kommerziellen Fernsehsender wurde Memet Ali Alabora in Krisengebiete geschickt. Er war der gutaussehende, charismatische, blutjunge Held, der über die Intifada berichtete. Er war ein Idol vieler Zuschauer bis er das, was er sah und erlebte nicht mehr ertragen konnte. Er wurde wie seine Eltern Schauspieler und begann sich politisch für die Linke als antimilitaristischer Aktivist zu engagieren. Auch in seinem neuen Beruf sehr erfolgreich, spielte er in TV-Serien, in Filmen und im Theater. Sein Interesse galt aber auch experimentelleren Formen. Er war von Anfang an dabei, als Övül und Mustafa Avkiran 2005 in Istanbul die multidisziplinäre Spielstätte garajistanbul gründeten. Alabora ist neben all seinen Talenten auch ein begnadeter Erzähler, dem es gelingt, die komplexe Geschichte seines Landes klug und verständlich zu reflektieren.
"Reporter" spiegelt die verschiedenen Identitäten von Memet Ali Alabora, sein Leben, seine Erfahrungen und die Übertragung dieser persönlichen Erfahrungen auf den Performer Alabora wider. Denn Mehmet Ali Alabora wird alleine auf der Bühne sein und als er selber seine Biografie als eine bestimmte moderne türkische Biografie performen. Seit 1995 arbeiten die Regisseure Övül und Mustafa Avkiran als unabhängige Künstler in der Türkei, aber auch in internationalen Kontexten, zusammen. Dabei gehen sie immer von ihrer unmittelbar erfahrenen Gegenwart aus.
Für das Festival d’Avignon inszenierte er Dantes Divina Commedia. Purgatorio ist der Weg der büßenden Seelen von der Hölle ins Paradies. Aber Castelluccis Purgatorio ist höllischer als die Hölle. Es ist das voraussehbare Leben. Ein modernes bürgerliches Designer-Interieur, in dem drei einsame Protagonisten, Mutter, Sohn und Vater, die in den Szenenübertiteln Sterne 1, 2 und 3 genannt werden, das tun, wozu sie verdammt sind. Das nachgeahmte Leben hat seine eigene grausame Zeit. Wie Schatten schleichen Menschen in den Raum. Weit entfernt scheint dieses beklemmende Leben zu liegen, das gleichzeitig so real aussieht. Im Spielzimmer flackert der Fernsehapparat, Soundtrack von Zeichentrickfilmen. Der Sohn verschwindet im Schrank mit dem Playmobil-Roboter, der nachts zum Riesen gewachsen durch den Salon geht. Der Vater verlangt nach dem Sohn und dem Cowboyhut. Übertitel sagen jeweils voraus, was als nächstes geschehen wird. Wenn der Vater mit dem Sohn ins Kinderzimmer geht, sagen sie nichts mehr. Den gewaltsamen Coitus hören wir unerträglich lang und schmerzhaft. In den Übertiteln steht jetzt „Musik“. Hinter einem großen Schlüsselloch ziehen Traumbilder des Kindes vorbei: Tier- und Pflanzenmonster, Sturmwolken, ein Bambuswald, durch den sich der plötzlich geschrumpfte Vater kämpft.
Die Ära von Präsident Obama ist vielleicht ein guter Zeitpunkt, um das Stereotyp vom schwarzen Mann als Bedroher der weißen Frau, das seit vier Jahrhunderten dazu herhalten muss, Wahlen zu gewinnen und Gefängnisse zu (über)füllen, zu überprüfen, neu zu denken und hoffentlich zu entschärfen. Shakespeares um 1603 entstandenes Stück ist noch immer ein provokanter Spiegel. Der Krieg im Nahen Osten ist nach wie vor eine globale Krise, eine nationale, zu anderen Zwecken manipulierte Ablenkung und überraschenderweise auch die Chance für die Führer einer neuen Generation.
Shakespeares Universum aus Betrug, Zweideutigkeit und brodelnder Erfindung verweist auf unsere Welt impulsiver, digitaler Sofortkommunikation, gedankenloser E-Mails und Nachrichtensendungen rund um die Uhr. Shakespeare dringt in die Tiefen des Unbewussten mit einer Poesie vor, die an unsere Unsicherheiten, unsere armseligen, gierigen Fantasien und den geheimen Verrat an den von uns am meisten geliebten Grundsätzen und Menschen rührt. In diesem Stück werden Menschen und Völker durch das ständige Wiederholen niemals ausgesprochener Worte und niemals ausgeführter Taten zerstört, und Lügen werden so mächtig und beständig verbreitet, dass man fast glauben könnte, dass die Wahrheit einfach chancenlos ist. Aber die Halbwahrheiten scheinen endlos Karriere zu machen.
Shakespeare erkennt und erforscht unsere Neigung, den Himmel in die Hölle zu verwandeln, aber er stellt auch klar heraus, dass wir den Himmel dennoch sehen und berühren können.
Der belgische Regisseur Ivo van Hove, der in den letzten Jahren in Wien für Römische Tragödien, Szenen einer Ehe und Faces gefeiert wurde, hat den berühmten Film Opening Night von John Cassavetes an seinen Ursprungsort übertragen: das Theater. Es ist ein klassischer Backstage-Stoff mit einer existentiellen Geschichte. Erzählt wird die Lebenskrise der berühmten Schauspielerin Myrtle Gordon kurz vor der Premiere des Stücks The Second Wife. Ihr gelingt es nicht, sich einzugestehen, dass sie gealtert ist. Die Rolle einer Frau, die die besten Jahre hinter sich hat, wird für Myrtle zu einem Ritt durch eine Hölle von Selbstzweifeln, Angst, Einsamkeit und Alkohol. Die Krise ist so elementar, dass sie die ganze Theaterfamilie, vom Regisseur bis zum Inspizienten, mit sich reißt und das gesamte Projekt gefährdet. Als keiner mehr an sie glaubt, nimmt sie in einem schmerzhaften Prozess Abschied von ihrem jungen Selbstbild – und feiert bei der Premiere einen Riesenerfolg.
Wie oft bei Ivo van Hove sitzt ein Teil der Zuschauer mit auf der Bühne. Das Publikum nimmt sehr authentisch am Arbeitsprozess von allen ständig anwesenden Künstlern und Technikern teil und erlebt die hochemotionalen Grenzüberschreitungen zwischen Privatem und Beruf.
In dreieinhalb Stunden sieht man Menschen beim Leben zu und wie die Zeit vergeht. Auf der Bühne stehen egomane, nervöse Menschen von hier und heute, die, gefangen in einem schmalen, lehmbeschmierten Kasten, ohne Fenster, ohne Tür, einander nicht ausweichen können.
Onkel Wanja ist Tschechows bitterstes Stück: Wanja, ein hellsichtiger, aber energieloser Mensch, verwaltet mit seiner Nichte Sonja das Landgut des Mannes seiner verstorbenen Schwester. Der ist Professor in der Stadt und mit der attraktiven jungen Elena neu verheiratet, die auch Wanja, und nicht nur der, über alle Maßen begehrt. Die Inszenierung lässt miterleben wie das eingespielte Gefüge aus Gefühlen und gegenseitigen Erwartungen aus der Balance gerät. Am Ende bleibt die Einsicht, dass das Leben nur noch daraus bestehen wird, zu warten, dass es endlich vorbei ist.
Goschs Onkel Wanja, eingeladen zum Berliner Theatertreffen, wurde in der Zeitschrift Theater heute mit großem Vorsprung zur „Inszenierung des Jahres 2008” gewählt. Ulrich Matthes wurde für seine Darstellung des Wanja, Jens Harzer für den Astrow zum „Schauspieler des Jahres” gewählt. Constanze Becker, „Schauspielerin des Jahres”, spielt die Elena. Zudem erhielt Ulrich Matthes den Theaterpreis „Faust”.
In der Halle E im MuseumsQuartier!
Olga ist verzweifelt. Die berühmte Schauspielerin ringt um Worte. Diese Rolle will ihr einfach nicht gelingen. Tschechows Kirschgarten soll probiert werden. Sie, die Witwe Tschechows, hat selbst die Hauptrolle übernommen. Mascha, seine Schwester, und ein junger Star, Aleko, sind dabei. Sonst hat es kein Schauspieler ins Theater geschafft. Draußen mordet die Revolution. Drinnen werden alle von ihren Gefühlen überwältigt: Aleko gesteht Olga schnell noch seine heimliche Liebe, und Mascha will mit Waffengewalt für die Gerechtigkeit kämpfen. Olga kann sich nicht konzentrieren. Das Theater ist am Ende. Da greift das Stück des jungen chilenischen Autors Guillermo Calderón ein: Geschickt legt er seinen Schauspielern authentisches biografisches Material, Zitate von Tolstoi, Dostojewski und Tschechow, gemischt mit Zeitzeugenberichten in den Mund und verhilft den drei verlorenen Gestalten auf ihrer Bühne zu virtuosem Spiel. Dieses ist einerseits verstörend und komisch wie bei Tschechow selbst. Andererseits führt es das Publikum aus dem Theater hinaus, ins Persönliche, ins Politische, ins Heute hinein und erzählt von der Kraft des Theaters selbst.
Viel wissen wir nicht über Serge, eigentlich nur, dass er Spezialeffekte liebt. Sein schmuckloses Apartment ist seine Erfinderwerkstatt. Dort lagern Tischtennisbälle, ein ferngesteuertes Auto, Drähte, Wunderkerzen. Serge besitzt auch eine Stereoanlage und Bücher. Wenn er jeden Sonntag Punkt 18 Uhr Freunde zu sich einlädt, müssen die Gäste auf dem Boden Platz nehmen, um die Dreiminutenshows zu erleben, die der etwas spröde Gastgeber erfindet. Kleine Techniktüfteleien, verspielte, flüchtige Realitätsirritationen, die das langweilige Szenarium des Sonntagnachmittags unterbrechen. Aber dann sind die unspektakulären Aufführungen auch schon wieder vorbei. Gaëtan Vourc’h, ein Meister der Natürlichkeit auf der Bühne, spielt Serge. Er tritt zuerst als Astronaut auf, da das Vorgängerstück so geendet hat – denn Quesnes neue Projekte setzen immer dort an, wo die alten aufgehört haben. Und dann führt er uns in die fabelhafte Welt von Serge, in der Publikumsliebling Hermès natürlich auch wieder eine wichtige Rolle spielt.
Philippe Quesne und seine langjährigen Weggefährten des Vivarium Studio lieben das Understatement. Ihre Theaterverweigerung sorgt für große Glücksmomente beim Betrachter. Es ist armes, aber im wahrsten Sinne des Wortes innovatives Theater: komplex und einfach, ernsthaft und unterhaltsam, in der französischen Theaterlandschaft einzigartig.