Rossini schrieb Otello 1816 im Auftrag des königlichen Theaters in Neapel zwischen dem Il barbiere di Siviglia und La Cenerentola. Wenn man eine wortgetreue Shakespeare-Vertonung erwartet, wird man allerdings enttäuscht wie Lord Byron, der in Venedig 1818 eine Aufführung sah und sich empörte: „Sie haben Othello zu einer Oper verunstaltet.“ Zu Rossinis Zeit waren Shakespeares Stücke auf dem Kontinent fast nur in bearbeiteten, zuweilen völlig entstellenden Fassungen bekannt. Betrachtet man aber Rossinis Oper als künstlerisch eigenständige Variante des Othello-Stoffes, kann man ihre außerordentlichen Qualitäten erkennen und den durchschlagenden Erfolg, den die Oper im 19. Jahrhundert hatte, verstehen. Vor allem in den eindringlichen Seelenporträts der Figuren und mit dem dritten Akt, in dem sich die emotionale Explosion begleitet von einem Gewitter, dem Ausbruch der Naturgewalten, vollzieht, sprengt Rossini die bis dahin übliche Nummernstruktur, hier findet man – wie der Rossini Spezialist Philipp Gossett meint – „die Wasserscheide zwischen der Oper des 18. und 19. Jahrhunderts“.