Die Judaica-Sammlung gehört zu den kulturgeschichtlich wertvollsten Beständen des Thüringer Landesmuseums Heidecksburg. Über 35 Objekte, darunter 15 einzigartige synagogale Textilien, zahlreiche Bücher, zwei Thorarollen, vier Gebetstafeln und einige Handschriften, geben Auskunft über das Leben der kleinen jüdischen Gemeinde in Rudolstadt.
Obwohl in Rudolstadt erstmals 1349 Juden erwähnt werden, haben sich aus dieser frühen Zeit keine materiellen Zeugnisse erhalten. Erst im ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert siedelten sich einige jüdische Familien im Schwarzburg-Rudolstädter Territorium erneut an. 1784 konnten sich Marcus Aron und Calomon Isaak, zwei aus Dessau stammende Juden, mit fürstlicher Duldung in Rudolstadt niederlassen. Sie erhielten von Fürst Friedrich Karl von Schwarzburg-Rudolstadt (1736 bis 1793) eine Handelskonzession für die schwarzburgische Oberherrschaft und durften als Kaufleute frei agieren. Beide begannen auch mit dem Aufbau einer Gemeinde, die 1796 Fürst Ludwig Friedrich II. von Schwarzburg-Rudolstadt (1767–1807) als gleichberechtigte Religionsgemeinschaft anerkannte. Nunmehr durften die in Rudolstadt lebenden jüdischen Familien ganz offiziell einen Bet- und Versammlungsraum einrichten, der prächtig ausgestattet wurde. Zudem gestattete Ludwig Friedrich II. den Bau einer Mikwe und veranlasste den Verkauf von Land, damit der bestehende jüdische Friedhof erweitert werden konnte. Wegen der zahlenmäßig kleinen Gemeinden war der Bau einer Synagoge wohl nie in Erwägung gezogen worden.
Der im Residenzschloss Heidecksburg erhaltene Judaica-Bestand lässt noch heute erkennen, dass das Innere des synagogal genutzten Raums prächtig ausgestattet war. So stifteten die in Rudolstadt lebenden jüdischen Familien kostbare Thoravorhänge, Thoramäntel, Thorawimpel, Pultdecken und Bücher. Darüber hinaus fertigten sie Handschriften und großformatige Tafeln mit Gebeten an. Obwohl die meisten der synagogalen Textilien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hergestellt wurden, sind einige der applizierten Borten und Seidenstickereien früher zu datieren. Sie dürften bereits von Textilien stammen, die man wegen ihrer Kostbarkeit bewusst in einen neuen Funktionszusammenhang brachte. Über Jahrzehnte sind die genannten zeremoniellen Objekte genutzt worden. Als sich die jüdische Gemeinde nach 1870 wegen der geringen Mitgliederzahl auflöste, übernahm die Familie Callmann die Einrichtung des Synagogenraums. Im Oktober 1911 stiftete die Familie sämtliche Gegenstände der städtischen Altertumssammlung in Rudolstadt. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gelangten die Stücke auf die Heidecksburg, wo sie während der Zeit des Nationalsozialismus sicher verwahrt werden konnten. Als Bestand im Magazin des Schlosses Heidecksburg war die Sammlung nach 1945 nicht mehr im öffentlichen Bewusstsein. Ihre Erforschung begann erst Anfang der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts. 1993, in Vorbereitung der Tage der jüdisch-israelischen Kultur im Haus Dacheröden in Erfurt, gab der Historiker Michael Schneeberger den Anstoß für die weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser wertvollen Sammlung. Schließlich konnten 2009 sämtliche Textilien restauriert werden. Im gleichen Jahr wurden die einzigartigen Zeugnisse jüdischen Lebens in einer kleinen Sonderausstellung der Öffentlichkeit präsentiert.
Zur Sammlung Rudolstädter Judaica erschien im Verlag des Thüringer Landesmuseums Heidecksburg 2009 das Buch Rudolstädter Judaica. Zeugnisse jüdischen Lebens aus dem 18. und 19. Jahrhundert, ISBN 978-3-91001-371-1.
Informationen
Thüringer Landesmuseum Heidecksburg
Schlossbezirk 1, D-07407 Rudolstadt
Tel. +49 (0) 36 72/42 90-0
April bis Oktober: 10–18 Uhr
November bis März: 10–17 Uhr
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