In der Geschichte des Marienbilds bilden die Jahrzehnte um 1400 einen Höhepunkt. Kaum je zuvor oder danach gelang es den Künstlern, allen voran den Bildhauern, eine so vollkommene Verbindung von irdischer und überirdischer Schönheit, Idealität und Wirklichkeitsstudium, theologisch gehaltvoller Aussage und menschlicher Nähe zu schaffen.
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts steht das Marienbild im Mittelpunkt der Kunst in Europa. Mit großer Leidenschaft bemühen sich die Künstler um ein Schönheitsideal für die Gottesmutter und ihr Kind, in dem Irdisches und Überirdisches miteinander verschmelzen, um dadurch ihre Einzigartigkeit und Auserwähltheit zu veranschaulichen. Die Bildhauer am Rhein, inspiriert von der neuen westlichen sowie der böhmischen Hofkunst, verließen die ausgetretenen Pfade der Bildtradition. Sie schufen Statuen von starker Dynamik und sinnlichem Reiz, welche die Betrachter entzückten und bewegten. In einer von Epidemien, Kriegen und Hungersnöten geplagten Zeit eröffnete die Kunst Fluchtwege in ein Reich paradiesischer Schönheit. Die Skulpturen sind göttlich und menschlich zugleich und spielen auch mit der Aura der Schönheit und Attraktivität von Frauen.
Es wird gezeigt, dass sich in diesen Werken die damaligen politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen des Rheinlands abzeichnen, ja dass ihre Eigenart nur verstanden werden kann, wenn man diesen historischen Kontext berücksichtigt. Die Verflechtungen der drei geistlichen Kurfürstentümer, Köln, Mainz und Trier, stehen dabei im Mittelpunkt. Anders als bei der Kölner Parler-Ausstellung 1978, wird die Rolle der westeuropäischen und italienischen Kunst für den „schönen Stil“ in Bonn deutlicher herausgearbeitet. Die Ausstellung will die bisher nicht genügend gewürdigte und zum Teil falsch eingeordnete Kerngruppe der rheinischen Marienstatuen des schönen Stils zusammenstellen und zu ihrer Neubewertung beitragen. So erschließt sie für die Besucherinnen und Besucher aktuelle Deutungsmöglichkeiten und rückt die besondere Qualität und Originalität der rheinischen Kunst um 1400 in ein neues Licht.
Durch den konzentrierten Blick auf ein einziges künstlerisches Thema in der ganzen Fülle seiner Darstellungsmöglichkeiten ergibt sich dabei eine ganz besondere Schule des Sehens: Es wird sichtbar gemacht, wie intensiv der künstlerische Umgang mit Form und Material und die thematische Interpretation der Figur der Maria und des Christuskindes miteinander verwoben sind und wie genau die Künstler in ihrer Gestaltung die Zielgruppe und die Funktion ihrer Kunst bedachten. Dabei war jedes Detail wohlüberlegt, von der Fältelung, der Farbigkeit und Oberflächenstruktur bis zu den durch Vergoldung hervorgehobenen Saumlinien.
Das Landesmuseum präsentiert die Kerngruppe der rheinischen Marienstatuen in einzigartiger Dichte und Qualität. Hochrangige Leihgaben aus den großen Museen des In- und Auslands – unter anderem dem Metropolitan Museum of Art in New York, der Sammlung Thyssen- Bornemisza, dem Schweizer Landesmuseum Zürich, dem Bayerischen Nationalmuseum München, dem Schnütgen-Museum Köln und dem Liebighaus Frankfurt am Main – sind zu sehen.
Diese werden ergänzt durch zahlreiche Neuentdeckungen aus Kirchen und Klöstern von Würzburg bis Köln. Die Diözesankonservatoren der Bistümer Trier, Mainz und Köln haben, zusammen mit den zahlreichen leihgebenden Kirchengemeinden, ermöglicht, dass auch in der Öffentlichkeit bisher kaum bekannte Meisterwerke in der Ausstellung präsentiert werden können.
Dass mehr als 60 Kunstwerke gezeigt werden können, ist darüber hinaus auch vor allem dem überzeugenden Konzept der Kuratoren und deren ansteckender Begeisterung für die Sache zu verdanken. Professor Robert Suckale ist ein führender Experte auf dem Gebiet mittelalterlicher Skulptur.
26. November 2009 bis 25. April 2010
Rahmenprogramm
Im Rahmenprogramm zur Ausstellung werden, auch in Zusammenarbeit mit dem Katholischen Bildungswerk und dem Evangelischen Forum, zahlreiche Vorträge und Lesungen zu historischen und aktuellen Fragestellungen zum Thema Madonna angeboten. Des Weiteren ergänzen auch kreative Werkstattangebote für Erwachsene und ein Konzertprogramm das Angebot.
Katalog
Zur Ausstellung erscheint ein reich gestaltetes Begleitbuch. Mehr als 220 Abbildungen, viele neu fotografiert, zeigen die Schönheit der Marienbilder. 256 Seiten, zirka 165 farbige und zirka 55 Schwarzweißabbildungen, Hardcover, € 35,– (D), € 36,– (A) im Buchhandel. An der Museumskasse in Bonn während der Laufzeit der Ausstellung: Vorzugspreis € 19,90.
Informationen
LVR-LandesMuseum Bonn
Rheinisches Landesmuseum für Archäologie, Kunst- und Kulturgeschichte
Colmantstraße 14–16, D-53115 Bonn
Tel. (+49-228) 20 70-0, Di–So 10–18 Uhr,
Mi 10–21 Uhr, Mo geschlossen
Führungen: kulturinfo rheinland
Tel. (+49-22 34) 992 15 55
[email protected]
www.landesmuseum-bonn.lvr.de
Leserkommentare
Zum Kommentieren kostenfrei registrieren oder anmelden.