Halle feiert einen der prominentesten deutschen Auswanderer nach Nordamerika des 18. Jahrhunderts – Heinrich Melchior Mühlenberg, Vater des amerikanischen Luthertums – und stellt ihn in den Mittelpunkt einer großen Ausstellung zur Entdeckungs- und Eroberungsgeschichte Nordamerikas.
Die abenteuerliche Pioniersituation und ebenso die religiöse Toleranz zogen seit dem 17. Jahrhundert zahlreiche europäische Auswanderer in die neuen Kolonien. Der Theologe August Hermann Francke, Gründer einer zu Beginn des 18. Jahrhunderts weltweit ausstrahlenden Schulstadt vor den Toren der Universitätsstadt Halle, stand in regem Austausch mit deutschsprachigen Siedlern in Nordamerika und begleitete von Halle aus den Aufbau der ersten lutherischen Gemeinden. Auf deren dringendes Bitten hin wurde im Jahr 1742 Heinrich Melchior Mühlenberg aus Halle nach Pennsylvania entsandt, um dort die Lutheraner seelsorgerisch zu betreuen. Mit ernster Frömmigkeit, großer Tatkraft und beherztem Pragmatismus gelang es Mühlenberg schon zu seinen Lebzeiten, die weit über die Ostküste verteilten Gemeinden von New York bis Georgia zu vereinen. Als Vater des Luthertums in den USA ging er in die amerikanische Geschichte ein.
Mühlenbergs Söhne gehören zu den Begründern der amerikanischen Demokratie. Ihre Ausbildung erhielten sie zuvor in Halle, wohin sie der Vater eigens aus Amerika schickte, denn die Schulen der Franckeschen Stiftungen zählten zu den besten ihrer Zeit. John Peter Gabriel Mühlenberg, General unter George Washington und enger Vertrauter des späteren Präsidenten Thomas Jefferson, wird heute mit einem Denkmal auf dem Capitol Hill in Washington, D. C., geehrt. Der Kongressabgeordnete Frederick August Mühlenberg erlangte Berühmtheit als Erstunterzeichner der Bill of Rights. Und Henry Ernst Mühlenberg, der weltweit in Korrespondenz mit Naturforschern, unter anderem mit Alexander von Humboldt, stand, gilt als der „amerikanische Linné“.
Exemplarisch für die Pionierleistungen der frühen Transatlantiker stehen Mühlenberg und seine Söhne im Mittelpunkt der Ausstellung Freiheit, Fortschritt und Verheißung, die sich dem europäischen Blick auf Nordamerika widmet. Seit der Entdeckung der Neuen Welt war Amerika nicht nur geografischer Raum, sondern auch Projektionsfläche für europäische Ängste und Sehnsüchte. Nordamerika erschien als „Eldorado“, welches das Ende aller materiellen Sorgen versprach, als Land der Verheißung und politischer wie religiöser Freiheit, als Paradies mit „edlen Wilden“, die noch nicht durch die Zivilisation verdorben waren, oder aber auch als barbarischer Naturraum, den es mittels des europäischen Fortschritts umzugestalten galt. Illustriert mit ungewöhnlichen Lebensläufen europäischer Auswanderer, entfaltet die Ausstellung ein kulturhistorisches Panorama von den frühen fantastischen Reise- und Abenteuerberichten des 16. Jahrhunderts über die Eroberung und Erforschung Amerikas und die Indianermission bis hin zu dem mit der Aufklärung und der amerikanischen Unabhängigkeit verbundenen Fortschrittsoptimismus, aber auch der Amerikakritik im 18. und 19. Jahrhundert. Wertvolle Quellen und Objekte konnten dafür nach Halle geholt werden, unter anderem ein Modell der legendären Mayflower und Zeugnisse der ersten Siedler, seltene Landkarten und indianische Alltagskultur, eine Sammlung literarischer Amerikabilder von Goethe bis Rousseau sowie zahlreiche nach Europa gelangte Pflanzen und Tiere.
Die Ausstellung wird im Historischen Waisenhaus inmitten des beeindruckenden Ensembles der um 1700 gegründeten Schulstadt Franckes präsentiert, die heute auf der Vorschlagsliste der UNESCO steht. In der Kunst- und Naturalienkammer, die zu den wenigen vollständig erhaltenen Kuriositätenkammern Europas zählt, ist auch eine der ältesten indianischen Rauchpfeifen zu besichtigen.
Höhepunkte 2011
Freiheit, Fortschritt und Verheißung. Blickwechsel zwischen Europa und Nordamerika seit der frühen Neuzeit. Jahresausstellung im Historischen Waisenhaus.
1. Mai bis 3. Oktober 2011
Schiffe nach Amerika
Spektakuläre Raum- und Lichtinstallationen, Schauspiel und Musik (Illumination zur halleschen Museumsnacht).
7. Mai 2011
Fliegender Pfeil
Großes Amerikafest im Lindenhof der Franckeschen Stiftungen.
26. Juni 2011
Informationen
Franckesche Stiftungen
Historische Schulstadt mit Waisenhaus, Kunst- und Naturalienkammer, Kulissenbibliothek, Francke-Wohnhaus
Franckeplatz 1, D-06110 Halle (Saale)
Tel. (+49-345) 212 74 50
Di–So und Fei 10–17 Uhr
www.francke-halle.de
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