Von der Vorstadtbühne ins Festspielhaus: Da wäre Nestroy am Ziel seiner Wünsche gewesen – jedenfalls der Nestroy, den Peter Turrini in der Novelle Die Verhaftung des Johann Nepomuk Nestroy imaginierte. Dieser Nestroy sehnte sich danach, in heroischen Rollen zu reüssieren, litt unter mangelnder gesellschaftlicher Anerkennung („die Etikett erlaubt’s nicht …“), unter den Zumutungen der Ehefrau, die ihn betrog, um ihn dann um Geld anzugehen, und dem strengen Regiment der Lebensgefährtin: Wasser statt Punsch. Das ist auf jeden Fall gut erfunden, wenn auch wahrscheinlich nicht wahr. Genau wird man es wohl nie wissen, denn trotz aller Bemühungen zahlreicher Literaturhistoriker und Philologen sind unsere Kenntnisse über Nestroys persönliche Empfindungen und private Haltung dürftig: Der Vielschreiber, von dem 83 Stücke – Volksstücke, Possen mit Gesang, Parodien, Travestien, Bearbeitungen – überliefert sind, hat zwar allerhand Notizen hinterlassen (Aphorismen, Sprüche und Fragmente für weitere Stücke), doch keine Tagebücher oder persönlichen Bekenntnisse.
Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab
Doch es gibt wenige Anhaltspunkte dafür, dass der gefeierte Star des Wiener Vorstadttheaters und beliebte, wenn auch heiß umstrittene Stückeschreiber wirklich von heroischen Rollen und Hoftheater-Lorbeer träumte, im Gegenteil. Johann Nepomuk Eduard Ambrosius Nestroy, 1801 als Sohn eines Gerichtsadvokaten tschechischer Herkunft in Wien geboren, entstammt einem durchaus bürgerlichen Elternhaus. Er hatte eine ordentliche Gymnasialbildung erhalten und das Klavierspiel erlernt, als er mit 16 Jahren an die Universität kam, um Jura zu studieren wie der Vater. Der Weg zur Bühne führte über die Musik, genauer: eine Gesangsausbildung. Mit 21 Jahren debütierte er als Bassist – immerhin am Kärntertortheater, mithin der damaligen Hofoper, immerhin als Sarastro in Mozarts Zauberflöte. Als Sänger ließ er sich nach Amsterdam verpflichten und blieb auch in den Folgejahren in Preßburg, Lemberg und Graz Sänger, der auch – und dann zunehmend regelmäßiger – Schauspielrollen übernahm, auch seriöse, vor allem aber komische, meist mit Gesangseinlagen. Da mag zunächst der Zufall Regisseur gewesen sein, dann der Erfolg beim Publikum: Nestroy gelangen die komischen Figuren, er prägte sie mit seiner legendären Bühnenerscheinung – den langen Gliedern, dem durchdringenden Blick –, und er traf das Empfinden des Publikums mit seinem Witz und manchem nicht im Textbuch notierten Satz, was alsbald (und immer wieder) die Zensur auf den Plan rief.
Fast zur gleichen Zeit begann er, selbst Stücke zu schreiben: erst Bearbeitungen und Adaptionen neuer, oft fremdsprachiger Werke, später Parodien beliebter Theaterstücke und Opern von Grillparzer und Holtei, von Meyerbeer und Wagner … 1830 beim Vertragsabschluss mit dem legendär geizigen Impresario Carl Carl am Theater an der Wien setzten Nestroy und seine Gefährtin Marie Weiler ihre Gagenforderung mit Berufung auf ein Vertragsangebot des Kärtnertortheaters durch. Dort, im Theater an der Wien, im Theater auf der Wieden und schließlich im Carl-Theater in der Leopoldstadt verbrachte Nestroy sein weiteres Leben, spielend und schreibend, schließlich auch als Theaterdirektor. Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab – das passt ganz gut auf Nestroy, der zwar 1860 die Direktion aufgab, doch als Darsteller etwa des Jupiter in Orpheus in der Unterwelt auch noch die nächste Wien prägende Theaterepoche mit auf den Weg brachte: Offenbach, die Operette …
Nestroy – Komiker und Klassiker
Aus seinen späten Jahren gibt es ein paar Porträtfotografien, da posiert er mit Pelzkragen, Gehrock und gestreifter Hose, den Zylinder in der Hand gegen eine verzierte Récamiere gelehnt: ganz Würdenträger. Doch dass Nestroy heute ein Klassiker ist, wäre ihm selbst vermutlich zutiefst suspekt. Als Wiener Aristophanes wurde er bezeichnet, mit Shakespeare oder Molière verglichen, die wie er Schauspieler waren und ihre Texte aus der eigenen Theaterpraxis entwickelten. Nestroy bearbeitete und schrieb all seine Stücke für die gefräßige Maschinerie des kommerziellen Unterhaltungstheaters; er griff die Novitäten an anderen Bühnen auf und schuf binnen weniger Tage Parodien, die das Vorstadt- und das Hoftheater-Publikum gleichermaßen in Carls Theater lockten. Dabei nutzte er effektvoll die Schablonen erprobter Stückdramaturgie, schrieb sich und seinen Kollegen Rollen auf den Leib, in denen sie ihre Stärken zur Wirkung brachten – seien es die zigste Variation der volkstümlichen Komödienfigur „Staberl“ für den schauspielernden Theaterdirektor Carl Carl, eingängige Opernstrophen für seine Lebensgefährtin Marie, deren sängerische Fähigkeiten die schauspielerischen wohl überstiegen, oder neue Volten für Wenzel Scholz und sich selbst: Die beiden bildeten – wie später Oliver Hardy und Stan Laurel – ein in Aussehen und Charakter unschlagbares Komikerpaar.
„Das trifft nicht immer so paarweis als wie die Strümpfe …
… oder die Ohrfeig’n beisamm’“, heißt es im Mädl aus der Vorstadt; selbiges gilt auch für eine geläufige Paarbildung der Nachwelt: Nestroy und Raimund. Ihr ist mit Leopold Lindtberg entgegenzuhalten, dass zwischen den beiden scheinbar Verwandten ein Trennungsstrich verläuft, der zwei Epochen des Theaters voneinander scheidet: das Biedermeier vom Vormärz. Überspitzt ausgedrückt: Die Phase des harmonieseligen Rückzugs ins Private, in der die Aufklärung im moralisch getränkten Besserungsglauben nachwirkt und in der vermittels der Poesie höhere Mächte Verwandlung und Versöhnung bewirken, weicht einem zunehmend desillusionierten Blick auf Menschen und Machtverhältnisse, auf Anbiederung und Besitzgier, auf Berechnung, Selbsttäuschung und Dummheit. An die Stelle des Zauberstücks treten Parodien und die Posse mit Gesang mit mehr oder weniger deutlich ausgeprägten satirischen Zügen, die der Operette und dem Volksstück den Weg ebnen. Mit seiner virtuos charakterisierenden und demaskierenden Sprache, die mit Dialekt und Bildungsfloskeln spielt, hält Nestroy seinen Zeitgenossen den Spiegel vor, lachend, den Finger am Puls der Zeit. Nicht immer wollen die so genau hinsehen (vor allem „Gemeinheit“ wird Nestroy gern vorgeworfen), doch die Stücke treffen den Nerv, selbst wenn den Zuschauern im ersten Moment nicht klar scheint, was sie da bejubeln – etwa im Revolutionsjahr 1848 den Sieg der Restauration (Freiheit in Krähwinkel). Nestroys Komik ist stets schwarz grundiert, schon im Lumpazivagabundus (1833), seinem vielleicht nicht besten, doch beliebtesten Stück: „Wenn ich mir meinen Verdruss nicht versaufet, ich müsst mich grad aus Verzweiflung dem Trunk ergeben.“ Auch wenn Nestroys Rollen keinesfalls mit seiner Haltung gleichzusetzen sind: Im Schuster Knieriem spiegelt sich Nestroys skeptischer Blick auf die Weltläufte, an ihm scheitert all die gut gemeinte Besserungsrhetorik, denn er schaut sich die Gegenwart an und weiß: „Oben und unten sieht man, es geht rein aufn Untergang los.“
Text: Barbara Maria Zollner
Informationen
http://www.salzburgerfestspiele.at
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