Matthias Hirtreiter/Max Zuzak, Flucht nach Saint Tropez, 2010 © Marianne ObstBack Park,  Norbert Prangenberg © Marianne ObstYvonne Lee Schultz   PP/Z (Zwiebelmuster)  2006 © Marianne ObstBack Park © Marianne ObstBack to Earth © Marianne Obst

Back to Earth.

Von Picasso bis Ai Weiwei – die Wiederentdeckung der Keramik in der Kunst.
Brachenfelder Straße 69, D-24536 Neumünster

Ein Riesenkalmar, der in seiner eigenen Tinte schwimmt. Eine Madonna als Skelett, die rabiat ihren blühenden Paradiesgarten niedermäht. Ein Turm, der von Weitem einem Tempel aus Fernost gleicht, bei näherem Hinsehen aber handfeste Erotik bietet. Drei Beispiele zeitgenössischer Keramik aus einer bemerkenswerten Ausstellung im hohen Norden Deutschlands. Noch bis Ende Oktober zeigt die Herbert-Gerisch-Stiftung in Neumünster ihre große Sommerausstellung „Back to Earth. Von Picasso bis Ai Weiwei. Die Wiederentdeckung der ­Keramik in der Kunst”. Von 75 internationalen Künstlern, von der klassischen Moderne bis zur Gegenwart, sind mehr als 130 Arbeiten in den Galerieräumen sowie im Skulpturenpark entlang einem gläsernen Pavillonparcours ausgestellt.
Obwohl nie ganz aus dem Fokus der Kunst verschwunden, galt Keramik doch lange Zeit als verpönt. Keramik, das war Töpferware für den Weihnachtsmarkt, gebrannter Ton für Hobbykünstler, keineswegs aber „ernst“ zu nehmendes Kunstmaterial. Noch im Jahr 2003, als der Brite Grayson Perry den anerkannten Turner Prize erhielt, machte er auf seine zwei Vorlieben – nämlich Keramik und feminines Outfit – durch ein mittlerweile legendäres Bonmot aufmerksam. Sein Outing als Keramiker, gestand der Künstler damals, habe ihn „weit mehr herausgefordert als mein Coming-out als Transvestit“. Und Perry ist nicht der Einzige, dessen Vasen aufgrund seines tönernen Materials zwar beäugt, aber nicht immer beliebäugelt wurden.
Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet, und Keramik ist wieder ein fester Bestandteil der aktuellen Kunstszene. Sie ist anerkannt und wird auch von zahlreichen Nichtkeramikkünstlern gelegentlich ins Visier genommen. Vor allem diesen mehr zufälligen als regelmäßigen „Keramikern“ in der bildenden Kunst widmet sich Back to Earth. Anzutreffen sind hier zahlreiche prominente Namen, die Kunstfreunde kaum mit dem irdenen Werkstoff in Zusammenhang bringen, unter ihnen Cindy Sherman, John Baldessari, Mona Hatoum, Carsten Höller, Alicja Kwade, Tobias Rehberger und Anselm Reyle. Dr. Martin Henatsch, künstlerischer Leiter der Stiftung, bringt für diese Materialrenaissance ein ganzes Bündel an möglichen Antworten ins Spiel, etwa die neue Wertschätzung und Hinwendung zum Handwerk. Das genuin schöpferische Element, das Ton und Lehm in zahlreichen Mythen mit der Erschaffung des Menschen verbindet, spiegelt sich somit auch in der aktuellen Kunst wider. In Zeiten von Virtualisierung und Digitalisierung setzt es Zeichen für eine neue „Erdgebundenheit“. Aber auch das zeigt Back to Earth: den konzeptuellen Umgang mit industrieller Keramik, wie er sich 1917 mit Marcel Duchamps legen­därer Fountain als wegweisend für das 20. Jahrhundert erweist. Oder die Lust, traditionelle Keramik wie Tasse, Teller und Kleinskulptur mit viel Hintersinn und neuen Motiven umzudeuten.
Back to Earth lädt die Besucher zu einem Gang durch die jüngere Kunstgeschichte ein. Ausgesuchte Themen in den Privaträumen des Stifterpaars, den Ausstellungsräumen der Stiftung und den eigens für die Ausstellung errichteten Pavillons machen die Schau zu einem facettenreichen Erlebnis. Mit Künstlern wie Pablo Picasso, Ernst Barlach oder Emil Nolde führt sie von der klassischen Moderne bis in die aktuelle Gegenwart.
bis 27. Oktober 2013

Informationen

Herbert-Gerisch-Stiftung

Brachenfelder Straße 69, D-24536 Neumünster

Tel. +49 (0) 43 21/55 5 12-0

http://www.gerisch-stiftung.de

Leserkommentare

Zum Kommentieren kostenfrei registrieren oder anmelden.