Fantastische Kunst aus Wien, das assoziiert sofort mythische Themen und Traumwelten, erotische Fantasien, psychische Abgründe und Endzeitvisionen, kurz das, was Johann Muschik in Anlehnung an Franz Rohs Begriffsfindung vom „magischen Realismus“ in den 1950er-Jahren als „Fantastischen Realismus“ bezeichnet hat, eine Strömung, der er als Kunstkritiker maßgeblich mit zum Durchbruch verholfen hat. Gemeint ist die sogenannte „Wiener Schule“ mit Arik Brauer, Ernst Fuchs, Rudolf Hausner, Wolfgang Hutter und Anton Lehmden als ihren Begründern und herausragenden Repräsentanten, jene Kunstströmung der Nachkriegszeit in Österreich, deren kunstgeschichtliche Wahrnehmung als bedeutendster Beitrag zur internationalen Moderne erst gegen Ende des Jahrhunderts, das ein ganzes Jahrtausend beschloss, von „Wien um 1900“, diesem glänzenden Gewebe aus Gegensätzen in allen Bereichen, übertrumpft, ja verdrängt worden ist. Dabei gibt es vielfältige offene wie verdeckte Verbindungslinien zwischen diesen beiden Hochphasen der Kunst, die bis in die Gegenwart reichen und scheinbar kaum an Faszination und Wirkungskraft verloren haben. So entstand die Idee, fantastische Kunst aus Wien in ihrer Entwicklung über ein ganzes Jahrhundert zu betrachten, beginnend mit der Zeit um 1900, dem offiziellen Erscheinungsjahr der Traumdeutung von Sigmund Freud, der Grundlegung seiner Psychoanalyse, mit der sich schließlich ein ganzes Welt- und Menschenbild auf das Nachhaltigste verändern sollte.
Anhand von 110 exemplarischen Werken bietet die Ausstellung im Panorama-Museum einen Streifzug durch 100 Jahre fantastischer Kunst aus Wien. Untergliedert in drei Abschnitte, widmet sie sich in einem ersten Teil der Zeitenwende von 1900 bis 1938, der Zeit von der Jahrhundertwende über den Zusammenbruch der Donaumonarchie bis zum „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich. Es ist eine Epoche des Übergangs mit dem Anbruch der Moderne. Sigmund Freuds Traumdeutung markiert den Paradigmenwechsel, gefolgt von Alfred Kubins Schlüsselroman Die andere Seite (1908/09). Das Bild der künstlerischen Leistungen reicht hier von Gustav Klimt über Arnold Schönberg bis zu Franz Sedlacek und eben Alfred Kubin. Albert Paris Gütersloh leitet weniger mit seinem Werk als mit seiner Lehrtätigkeit an der Wiener Akademie nach dem Krieg über zur zweiten Abteilung, dem künstlerischen Umbruch von 1945 bis 1970. Gegen alle Trends formiert sich in dieser Zeit das, was Johann Muschik hellsichtig als die „Wiener Schule des Fantastischen Realismus“ beschrieben hat, repräsentiert durch Rudolf Hausner, Arik Brauer, Ernst Fuchs, Wolfgang Hutter und Anton Lehmden. Wie sehr die Zeiten damals in Bewegung waren, belegen Arnulf Rainer und Maria Lassnig, die bald andere Wege gegangen sind. Nach Klimt, Schönberg und Kubin vereint diese Phase die heute vielleicht bekanntesten Namen in dieser Ausstellung. Ihre historische Leistung besteht dabei weniger in der zunehmenden Breitenwirkung ihrer Kunst als in der Ausprägung einer bildnerischen Fantastik, deren metaphorischer Aussagegehalt zutiefst in der Realität der Welt und des Selbst verwurzelt ist, weshalb der Begriff „Fantastischer Realismus“ – bei aller notwendigen Einschränkung – durchaus berechtigt scheint, was für die Masse an Nachahmern und Adepten nicht immer oder nur selten gilt. Im letzten Abschnitt werden schließlich Vertreter der Wiener Fantastik heute mit Arbeiten aus der Zeit von 1980 bis 2010 vorgestellt. „Weitere Entwicklungen“ der fantastischen Anfänge werden dabei ebenso beleuchtet wie „ungewöhnliche Verkörperungen“ und „eigenwillige Neuansätze“.
Informationen
bis 3. Oktober 2010
Panorama-Museum, Am Schlachtberg 9,
D-06567 Bad Frankenhausen/Thüringen
Di–So 10–18 Uhr,
Juli/August auch Mo 13–18 Uhr geöffnet
Tel. (+49-346 71) 61 90
www.panorama-museum.de
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