Johannes Freiherr von Diergardt war in der ausgehenden Kaiserzeit und in der Weimarer Republik weltweit der größte private Sammler völkerwanderungszeitlicher Kunst und zugleich Mäzen archäologischer Forschungen. Angeregt durch fränkische Grabfunde in der Nachbarschaft seines Familiensitzes, Schloss Bornhein bei Bonn, baute Johannes von Diergardt eine atemberaubende Sammlung antiker und frühmittelalterlicher Kleinkunstwerke auf – heute kostbarer Schatz des Römisch-Germanischen Museums.
Der 150. Geburtstag des Barons ist für das Römisch-Germanische Museum Anlass, Meisterwerke der Goldschmiedekunst aus einer Zeit tief greifender Umwälzungen in Europa zu zeigen: Europa brennt lenkt den Blick auf eine sehr bewegte Epoche zwischen Spätantike und Mittelalter.
Johannes Freiherr von Diergardt wurde 1859 in Bonn als Sohn des Rittergutsbesitzers Friedrich Heinrich von Diergardt und seiner Frau Bertha Johanna von der Heydt geboren. Den Grundstein für das Familienvermögen legte der Großvater, Friedrich Diergardt, 1860 geadelt, als erfolgreicher Textilfabrikant und Industrieunternehmer. Der Diergardt’sche Samt aus Viersen gewann Weltruf. Über Generationen hinweg tritt die Familie mit großen Sozialstiftungen hervor.
Johannes von Diergardt suchte neue Herausforderungen: Das kaiserliche Berlin um 1900 entwickelt sich zu einem dynamischen gesellschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt. In Berlin werden Kunstsammlungen aus dem Süden des russischen Zarenreichs angeboten. Diergardts Begegnungen mit Berliner Wissenschaftlern führen zu aufsehenerregenden Erwerbungen: Im Verbund mit den Berliner Museen kauft er Grabfunde des Altertums und des frühen Mittelalters aus den weiten Siedlungsgebieten am nördlichen Schwarzen Meer.
Der leidenschaftliche Sammler unterhält europaweite Beziehungen zu Forschern, Antiquaren und renommierten Kunsthändlern. In drei Jahrzehnten trägt Johannes von Diergardt die größte private Sammlung völkerwanderungszeitlicher Kunst zusammen. Weit über 6000 archäologische Funde umspannen ein Jahrtausend, von der Zeit Alexanders des Großen bis zu Karl dem Großen: Es sind Zeugnisse der Griechen, Skythen, Baktrer, Bosporaner, Römer, Sarmaten, Byzantiner, Hunnen, Ost- und Westgoten, Krimgoten, Gepiden, Langobarden, Franken, Alemannen, Burgunder, Aquitanier, Wandalen, Awaren, Slawen und Wikinger.
Bis zu seinem Tod 1934 lebt Johannes von Diergardt mit seiner weltberühmten Sammlung und für sie. Er hinterließ die testamentarische Bestimmung, dass seine „Sammlungen möglichst komplett bleiben und von einem Berliner oder rheinischen Museum im Ganzen erworben werden“. Es gelang der Stadt Köln, mit privaten und öffentlichen Mitteln die Sammlung Diergardt für die Römische Abteilung des Wallraf-Richartz-Museums zu erwerben. Ein nicht ausgelagerter Teil der Sammlung ging 1943 bei einem Luftangriff auf Köln unter; Schatzstücke der Völkerwanderungszeit, Geschenke des Barons an die Berliner Museen, wurden 1945 mit dem „Troja-Gold“ als Beutegut nach Moskau in das Puschkin-Museum der schönen Künste überführt.
Heute ist die Sammlung Diergardt wieder ein ambitioniertes Forschungsprojekt des Römisch-Germanischen Museums, denn in den vergangenen Jahren wurden neue Dokumente zur Sammlungsgeschichte zugänglich. Zahlreiche Wissenschaftler, unterstützt von Stiftungen, erforschen Herkunft und kulturelle Hintergründe der Sammlung.
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