Bild: Chris Haring & Jin ChingBild: Chris Haring & Jin Xin

„Meeting at the Moment“: der Körper, ein Gedicht

Die sommerszene salzburg hat sich das anspruchsvolle Ziel gesteckt, sich immer wieder neu zu erfinden und neue Kontexte und gedankliche Freiräume für Tanz, Theater und Performance zu schaffen. 2009 verspricht dies dem hochkarätigen Festival durch die ungewöhnliche Verbindung von zeitgenössischem Tanz und klassischer indischer Musik zu gelingen.
Anton Neumayr Platz 2, A-5020 Salzburg

Unter dem Titel „Meeting at the Moment“ werden die beiden Kunstwelten einander gegenüber- und jeweils in thematischen Kontext gestellt. Die klassische indische Musik gilt als eines der komplexesten und geschlossensten Musiksysteme, dessen Ursprünge bis zu den ältesten indischen Schriften, den Veden, zurückreichen. Dennoch lebt diese Musik aus ihrer Unmittelbarkeit und hat einen weit höheren Anteil an Interpretation als westliche geschriebene Musik. Sie lebt quasi von der Persönlichkeit des Künstlers und überwindet den westlichen Gegensatz zwischen Form und Emotion, Struktur und Improvisation.
Darin weist die klassische indische Musik eine erstaunliche Nähe zum zeitgenössischen Tanz auf: Da es keinen allgemeinen Maßstab oder ein allgemeines Repertoire mehr gibt, lässt sich heute im Tanz ein Trend zum individuellen Performer verzeichnen, der auch private Eigenarten auf die Bühne bringt. Auf der sommerszene 09 sind verschiedene Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt geladen, die diesen Trend engagiert verkörpern.
In „Meeting at the Moment“ schafft die sommerszene einen Rahmen, in dem Theater und Musik einander begegnen, und lädt dazu ein, sich auf ungewohnte Töne, Darstellungen und unterschiedliche Auffassungen einzulassen. Wie jedes Jahr umfasst das Programm neben zahlreichen Performances auch Filme, Lectures, Lesungen und Installationen, wie zum Beispiel Frau mit Kuchen, ein Spiel mit der „unerträglichen und lächerlichen Angst vor dem Sterben, ohne geboren zu haben“ – eine Videoinstallation auf sechs Leinwänden, in der die Berliner Videokünstlerin Astrid Endruweit die Suche nach Trost und Befriedigung durch Süßwaren, wenn emotionale Grundbedürfnisse nicht gestillt sind, auf Leinwand bannt.
Neu ist, dass das Sommerprogramm der Szene Salzburg zum ersten Mal auch von indischen und chinesischen Geldgebern unterstützt wird. Aus China ist das Jin Xing Dance Theatre zu Gast, mit dem Chris Haring ein erstaunliches Werk erarbeitet hat. Chris Haring gilt mit seiner Performancegruppe Liquid Loft derzeit international als einer der erfolgreichsten Choreografen Österreichs. Seine Performances und Installationen überzeugen durch seine eigenwillige Bild- und Formensprache. Unter dem Titel Lovely Liquid Loft hat Chris Haring mit den Tänzerinnen und Tänzern des Jin Xing Dance Theatre ein Performance-Set zusammengestellt. Die zentrale Performance ist das China Project, in dem Geschlechterrollen und gesellschaftliche Reglements am Körper manifest werden. Inspiriert ist die Performance durch die persönliche Geschichte und den schillernden Lebensentwurf von Jin Xing. Ursprünglich Oberst im chinesischen Militär, wurde Jin Xing als bester Tänzer Chinas ausgezeichnet und glänzte später, nach seiner Transformation vom Mann zur Frau, als Choreografin, Filmschauspielerin und Chansonnette. In der Performance werden die Tänzer nach einem Copy-Paste-Verfahren in immer neuen Kontexten und Konstellationen präsentiert. Codes in Design, Kunst, Mode und Lifestyle werden hinterfragt. In Mode Française kreiert sich Jakob Lena Knebl selbst als Kunstwerk immer neu, verhandelt Körpernormen und stellt die Macht der Mode infrage. Die zweite Haut als Schnittstelle zwischen Individuum und Außenwelt ist themengebend in Neufundland. Unter dem Arbeitstitel Ah. Poetry lotet Liquid-Loft-Mitbegründerin Stephanie Cumming, inspiriert von Virginia Woolfs Orlando, die Grenzen zwischen Monstrosität und Schönheit, Natur und Virtualität aus. Am Ende wird der sich transformierende Körper selbst zum Gedicht.

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