Bizets Carmenfigur eröffnet die Liste erotischer Frauengestalten, an denen seit dieser Zeit männliche Opernhelden verglühen. Viel weniger als Carmens spätere Geschwister Salome und Lulu ist sie selbst dabei aber bloßes Geschöpf aus dem Reich männlicher Fantasien. Bizets Oper ist eine ausgefeilte soziale Milieustudie mit Figuren von hoher psychologischer Glaubwürdigkeit. Carmens offensiver Umgang mit der Anziehung, die sie auf Männer ausübt, ist ihre Waffe im Kampf um das bisschen Lebensglück, das sie dem Leben am unteren Rand der Gesellschaft für sich abzutrotzen versucht.
Das Publikum der Pariser Uraufführung zeigte sich düpiert von Bizets realistischem Porträt einer sozialen Schicht, in der roher Lebenshunger herrscht, das Gesetz der Straße regiert, Konflikte und Enttäuschungen nicht anders als durch Gewalt ausgetragen werden.
Ein erster geringer Erfolg war seiner Carmen wenige Monate später in Wien beschieden, Bizet freilich erlebte ihn nicht mehr: An einem Herzanfall war er nach den Querelen um diese Oper gestorben.