Heiner Müller rühmte damals die Aufführung als „grandiose Übersetzung von Text in Theater“. Josef Bierbichler hatte mit dem Regisseur Gotscheff noch eine Rechnung offen, seit er einmal mit ihm arbeitete. Bierbichler ließ ihn fragen, ob er den Philoktet spielen wolle. Er wollte. Dann fragte Gotscheff Samuel Finzi, ob er als Neoptolemos das Lügen lernen wolle. Der erklärte sich sofort bereit und 2005 kam es an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin zur Premiere.
Müllers Schauspiel basiert auf der Tragödie des Sophokles. Odysseus und Neoptolemos, der Sohn des Achill, kommen nach Lemnos, um von dort den Feldherrn Philoktet mit seinem unfehlbaren Bogen in die Schlacht um Troja zu holen. Die Griechen hatten Philoktet zehn Jahre lang wegen einer stinkenden Wunde auf dieser Insel ausgesetzt. Mit Lügen gewinnt der gehorsame Neoptolemos zunächst das Vertrauen des Philoktet, aber er gesteht ihm dann seine Lügen ein. Müller schrieb hier ein Lehrstück über das politische Instrument der Lüge, ein Stück über die Manipulation, über die Instrumentalisierung des Einzelnen für politische Zwecke.
„Man sieht nicht das Stück, man sieht keine fertige Inszenierung. Es wird hier eine Art Probensituation simuliert, die selbst auch eine Art Lüge darstellt, wenn sich die Akteure gelegentlich unterbrechen, korrigieren und einzelne Stellen wiederholen lassen. „Einfühlung im Detail bei Verfremdung des Ganzen“ lautete die Gebrauchsanweisung des Autors. Hier kann man alles als einzige Verfremdung nehmen.“ Peter Hans Göpfert, Kulturradio rbb
Josef Bierbichler, Samuel Finzi, Dimiter Gotscheff, drei prägende und herausragende Persönlichkeiten des europäischen Theaters in einer von ihnen selbst erstellten und selten gespielten Arbeit von Heiner Müller, dem vor 15 Jahren verstorbenen wichtigsten deutschsprachigen Dramatiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.