Kudzu, eine Pflanze, die in den jüngeren ortsspezifischen Installationen Okoyomons immer wieder auftaucht, stammt ursprünglich aus Japan. Sie wurde von der US-amerikanischen Regierung 1876 eingeführt, um gegen die Erosion der Böden in den Südstaaten vorzugehen. Der Intensivanbau von Baumwolle auf den von Sklaven bestellten Plantagen hatte die Böden ruiniert. In der neuen Umgebung verbreitete sich Kudzu unkontrolliert und verdrängte andere Pflanzen. Kudzu ist heute als „Ranke, die den Süden verschlungen hat“ bekannt. Inspiriert von der fiktiven Religion „Earthseed“ aus Octavia E. Butlers Romanen Parable of the Sower und Parable of the Talents, die darauf beruht, das ständiger Wandel unumgänglich ist, zeigt Okoyomon wie kompliziert die Geschichte der Pflanze ist: Ihre Beseitigung würde heute erneut zu einer verheerenden Bodenerosion in den Südstaaten führen. Für Okoyomon wird Kudzu zu einer Metapher für die Verschränkung von Sklaverei, Zuschreibungen von „Race“, Diaspora und Natur. Die Pflanze verkörpert etwas von der Gesellschaft als „invasiv“ Begriffenes, das zugleich die Möglichkeit von Veränderung und Revitalisierung in sich trägt.
In der auf der Biennale in Venedig präsentierten Installation To See the Earth before the End of the World, 2022, sind Okoyomons Skulpturen in einem wild wuchernden Garten zu sehen; Kudzu wächst hier in einem Geflecht aus Flüssen und Zuckerrohrpflanzen. Okoyomons Großmutter baute Zuckerrohr im Garten hinter ihrem Haus in Nigeria an. Ähnlich wie Kudzu ist Zuckerrohr eine Pflanze, die untrennbar mit den ökonomischen und historischen Zusammenhängen des transatlantischen Sklavenhandels verbunden ist. Angelehnt an das Theaterstück Monsieur Toussaint von Édouard Glissant, dessen Heimat Martinique zu den weltgrößten Zuckerproduzenten gehörte, versucht Okoyomon mit der Arbeit eine ökologische Revolte heraufzubeschwören.
In diesen Installationen lenkt Okoyomon unseren Blick auf die Freuden des täglichen Lebens: die Wärme der Sonne auf unserem Gesicht, das Flattern der Schmetterlinge, der Atem des Windes. Precious Okoyomon schreibt: „Ich versuche, mich aus dem Menschlichen hinauszuträumen, um einer Welt zu entfliehen, die von einem gewaltigen historischen Bruch durchzogen ist, in der Menschsein ‚Weißsein‘ bedeutet; ich sehne mich nach einer neuen Ontologie.“ Okoyomon nähert sich der Brutalität der Geschichte mit spielerischer Distanziertheit und stellt den Symbolen kolonialer Herrschaft die ekstatische Fülle des Lebens gegenüber, mysteriös und wundervoll.
Im Kunsthaus Bregenz zeigt Okoyomon eine Reihe skulpturaler Interventionen, die von Okoyomons neuestem Lyrikband But Did You Die? inspiriert sind. Die Arbeiten sind ein Versuch, sich der strukturellen Gewalt, von der wir umgeben sind, mit Humor und Lebensfreude zu widersetzen.