Aufgrund der Besetzung mit je zwei Violinen, Violen und Violoncelli verschwimmt mit der durchwegs dunklen, vollen Klangfarbe die Grenze zwischen Kammermusik und orchestraler Anlage. Der Verleger von Johannes Brahms winkte sogleich ab, als dieser ihm 1860 das Streichsextett B-Dur schickte: "Wirtschaftlich unrentabel, für die Hausmusik zu groß, für den Konzertsaal zu familiär." Doch lag es wohl gerade an jenem meisterhaften Pionierwerk Brahms, dass die bis dato unpopuläre Gattung ohne nennenswerte Tradition am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts erblühte. Tschaikowskys d-Moll Streichsextett etwa ist die künstlerische Frucht eines Florenzaufenthaltes des Komponisten 1890. Das Sextett op. 70 ist durchzogen von einem schwärmenden, melodisch ausschwingenden Gesang – durch alle sechs Instrumente hindurch. Auch das Allegretto im rustikalen Ton ist einer russischen Tanzweise gleich virtuos temperamentvoll; wie überhaupt das Souvenir de Florence mit aller Kunst der Fugatotechnik fulminant endet.
Was der souveräne Tschaikowsky im Kleinen beginnt, führt Arnold Schönberg in dem wohl populärsten Streichsextett "Verklärte Nacht" weiter. Das Opus 4 atmet unverkennbar die Luft der Jugendstilepoche: In der "Verklärten Nacht" – in der der Mann seiner Frau die Treue hält, obwohl sie das Kind eines anderen erwartet – ist der spätromantische Kompositionsstil Schönbergs mit übersteigertem Pathos, schillernder Chromatik und dichtem polyfonem Satz ganz ausgereift. Parallel zu den fünf Strophen der Gedichtvorlage von Richard Dehmel zeichnet der Komponist die Gemütszustände der folgenschweren Nacht. Im Brucknerfest ist das Thomas Christian Ensemble als Streichsextett zu Gast und nimmt die Zuhörer mit auf eine spannende Reise durch die musikalische Entwicklung dieser ungewöhnlichen Gattung.
Programm:
A. Schönberg: Streichsextett: Verklärte Nacht
J. Brahms: Streichsextett in B-Dur op. 18
P. Tschaikowsky: Streichsextett in d-Moll op. 70: Souvenir de Florence
Thomas Christian Ensemble