Ein Prototyp für einen stapelbaren Freischwinger, ein aus Einzelteilen selbst zusammenbaubares Steckmöbelprogramm und ein auf der Grundform des Quadrats basierendes Anbaumöbelsystem, ein Ski mit neuartigem Materialaufbau, eine futuristisch anmutende Wahlkampfzentrale und Interieurs, in denen bewegliche Schrankelemente, Schiebetüren oder Lamellenvorhänge als Raumteiler starre Wände ersetzen – Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre entwickelte Egon Rainer Möbel und Innenräume, die auf Grund ihres klaren und strukturierten Ansatzes auch heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. Viele seiner Arbeiten wurden vom Mailänder Foto- grafen Giorgio Casali, der damals für die Zeitschrift Domus arbeitete, fotografiert und in internationalen Zeitschriften und Büchern publiziert. Und doch ist der 2019 verstorbene Innsbrucker Designer, Innenarchitekt, Künstler und Lehrer heute kaum bekannt.
Im aut wurden wir erstmals im Zuge der Recherchen zu der im vergangenen Jahr -gezeigten Ausstellung „Widerstand und Wandel. Über die 1970er-Jahre in Tirol“ auf Egon Rainer aufmerksam. Etwa gleichzeitig kontaktierte uns Christa Leitner, die -Lebenspartnerin von Egon Rainer, und stellte uns umfangreiches Material aus seinem Nachlass zur Verfügung. Mit der nunmehrigen Personale im aut möchten wir sein vielseitiges Schaffen einem breiteren Publikum näher bringen.
Der 1938 in Innsbruck geborene Egon Rainer absolvierte zunächst die Ausbildung zum Tischler und eignete sich dabei ein profundes Wissen im Umgang mit Werkstoffen an. Seinem Interesse für Innenarchitektur folgend besuchte er anschließend die Werkschule Hildesheim und die Staatliche Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Ab 1966 war er als Lehrer an der HTL Innsbruck tätig und führte parallel dazu sein Studio für Architektur und Formgebung. Außerdem graduierte er 1974 am Royal College of Art in London zum Master of Arts.
Diese umfassende Ausbildung, das Interesse für neue Verfahren und Fertigungstechniken und die internationale Orientierung waren die Basis für Egon Rainers Schaffen. Dazu kam sein erklärtes Ziel, Form, Funktion und Konstruktion so zu verzahnen, dass den Menschen eine Umgebung zur Verfügung gestellt wird, die einen positiven Einfluss auf das eigene Wohlbefinden nimmt. Mit dem Fokus auf Innenarchitektur betrachtete Egon Rainer Architektur und Design als untrennbare Einheit. Bei jeder formalen und funktionalen Konzeption eines Einrichtungsgegenstandes dachte er von Anfang an dessen räumliche Bestimmung mit und verstand Möbel als bewegliche Bausteine zur Gestaltung von Räumen im Raum. Dabei war es ihm ein Anliegen, leicht veränderbare Interieurs zu schaffen, die sich an die individuellen Bedürfnisse der Bewohner*innen anpassen. So hat er etwa 1972 die Wohnung für den damaligen Kulturlandesrat Fritz Prior derart umgestaltet, dass aus einem banalen Grundriss ein komplexes Raumgefüge entstanden ist, das dem Politiker einen idealen Lebensraum mit abtrennbaren Bereichen für die privaten und die im beruflichen Alltag genutzten Räume bot.
Die Zukunft des Möbels sah Egon Rainer in einer neuen Form der Beweglichkeit und Variabilität. Umfunktionieren, drehen, stapeln, ergänzen und auswechseln waren für ihn bereits 1971 jene Schlagworte, die die Zukunft bestimmen und zu frei in den Raum zu komponierenden Lösungen führen werden, die die herkömmliche, starre Möblierung ablösen.
Egon Rainers wohl größter Erfolg war das u. a. 1969 mit dem Österreichischen Staatspreis für gute Form ausgezeichnete, vom Kufsteiner Unternehmen Pirmoser produzierte und später von der Firma IMPAK – Möbel im Paket bzw. von ihm selbst vertriebene Steckmöbelprogramm, ein Sitzprogramm in klassisch anmutender Form- und Farbgebung, für das er eine äußerst einfache Steckverbindung entwickelte. Die in kompakten Paketen lager- und versendbaren Möbel sind in wenigen Handgriffen ohne jedes Werkzeug zusammenbaubar. Je nach Geschmack und Raumerfordernis sind individuelle Zusammenstellungen des aus einem Sessel, Zwei- und Dreisitzern sowie unterschiedlichen Beistelltischen und Kommoden bestehenden Baukastensystems möglich. Ähnlich variantenreich ist das 1967 / 68 entwickelte Anbaumöbelsystem, eine Serie aus über zwanzig unterschiedlich kombinierbaren Elementen für Schränke, Hocker und Anrichten, die auf einem strengen, auf dem Quadrat als Grundform basierendem Raster beruht.
Die Vorliebe Egon Rainers für einfache geometrische Formen findet sich auch in einer Reihe von freien plastischen Objekten und Skulpturen wieder, die – vermutlich angeregt durch sein Studium am Royal College of Art in London – ab den 1970er-Jahren entstanden sind. So gestaltete er etwa ein Ensemble aus zwei Vasen mit unterschiedlicher Oberflächentextur, die ineinander gestellt einen Zylinder bilden, ein ebenso auf dem Zylinder als Grundform beruhendes mehrteiliges Glasobjekt oder einen die geometrische Form der Pyramide variierenden Wettbewerbsbeitrag – plastische Gebilde, die genauso als Architekturen oder als Monumente wie als signifikante Skulpturen verstanden werden können.
Neben seiner Tätigkeit als Innenarchitekt und Designer war Egon Rainer dreißig Jahre lang Lehrer und hatte dabei mehrere Generationen späterer Architekten und Designer geprägt, zuerst an der HTL in Innsbruck und später als Abteilungsvorstand für Möbelbau und Innenausbau an der HTL Imst. Inwieweit Rainer seine Schüler nicht nur eine genaue Arbeitsweise beim Zeichnen gelehrt hat, sondern auch deren Wahrnehmung geschult und ihnen einen Zugang zu Architektur, Design und Kunst eröffnet hat, wird in dem Text von Ernst Fuchs in der zur Ausstellung erscheinenden Begleitpublikation deutlich. Mit einem Textbeitrag von Ivona Jelčić und zahlreichen Abbildungen aus Egon Rainers Œuvre bietet dieses Buch die Möglichkeit, sich intensiver mit der Person Egon Rainer auseinanderzusetzen.