Sein Vater Christopher ist Akademiker und Autor, seine Mutter Beth schreibt gerade einen Roman über eine gescheiterte Ehe, seine Schwester Ruth bastelt mäßig erfolgreich an einer Karriere als Opernsängerin und Bruder Daniel nimmt Psychopharmaka und sitzt ewig lang schon an seiner Masterarbeit über die Funktion der Sprache. Alle reden gern, laut und viel, oft auch aneinander vorbei, eine unkonventionelle und manchmal recht nervende Form der Zuwendung. Billy, der jüngste ist der perfekte Zuhörer. Billy ist allerdings taub, aber er hat gelernt von den Lippen abzulesen und dank des unermüdlichen Einsatzes seiner Mutter, passabel zu sprechen. Er hat eine "normale" Schule besucht und ist, so scheint es, perfekt integriert, worauf alle Familienmitglieder auch gehörig stolz sind. Billy soll sich ja nicht behindert fühlen! Doch dann verliebt er sich in Sylvia, eine junge Frau, deren Eltern taub sind und die selbst nach und nach ihr Gehör verliert.
Nina Raine (Jahrgang 1976) ist eines der größten Talente des britischen Theaters. In ihrem dritten, vielfach ausgezeichneten Theaterstück ›Sippschaft‹ (Tribes), das im Londoner Royal Court Theatre uraufgeführt wurde, verhandelt sie unterhaltsam die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen unserer Sprache und Kommunikation. Daneben ist aber die Behinderung des Protagonisten aber auch eine Metapher für die Suche nach Identität beim Erwachsenwerden.
Das ungewöhnlich Reizvolle an diesem Stück ist unter anderem die Auseinandersetzung von Publikum und Ensemble mit der Gebärdensprache. Die Vorstellungen werden übertitelt, um beide Welten für hörende wie nichthörende Zuschauer zu erschließen.