Wie keine andere Epoche in der Geschichte der Menschheit wird unsere Gegenwart von Technik bestimmt. Sowohl unser Alltagsleben als auch unsere Wirtschaftsweise beruhen auf hoch technisierten Produkten und stetiger technischer Innovation. Insofern liegt die Frage nahe, ob und wie sich dieses prägende Zeitphänomen in der Gegenwartskunst widerspiegelt. Mit genau dieser Frage beschäftigt sich Dr. Hans Peter Schiffer, promovierter Ingenieur und ehemaliger Geschäftsführer eines Technologieunternehmens, in seiner Sammlung zeitgenössischer Kunst, die das Kunstmuseum Heidenheim bis 26. Januar 2014 erstmals der Öffentlichkeit vorstellt. Die Sammlung umfasst ungefähr 100 Kunstwerke, deren mediales Spektrum von der Fotografie über Grafik, Zeichnung und Objektkunst bis hin zu kinetischen Installationen reicht.
Im Medium der Fotografie thematisieren Künstlerinnen und Künstler hauptsächlich die Faszination, die mit großen Industrieanlagen und der industriellen Produktion verbunden ist. Beispielhaft ist etwa Peter Keetmans Fotoserie VW-Werk, welche die Produktion des Käfers in wenigen ausdrucksstarken Bildern darstellt. Das Verdienst von Bernd und Hilla Becher ist es dagegen, alte Industrieanlagen vollkommen nüchtern und systematisch erfasst und unter typologischen Merkmalen geordnet zu haben. Mit ihren großen Bildtableaus von Getreidesilos, Fördertürmen, Hochspannungsmasten et cetera haben sie die Gattung der fotografischen Industriearchäologie hervorgebracht und zugleich die Fotorecherche auf ein künstlerisches Niveau gehoben.
Die neue Konsumwelt, die in den 1960er-Jahren durch die Automobilisierung, moderne Haushaltsgeräte und frühe Unterhaltungselektronik wie Radio und Fernsehen entstand, thematisiert die Pop-Art. In ihren großformatigen und bunten Grafiken feiern Roy Lichtenstein, Andy Warhol und Tom Wesselmann die technischen Konsumgüter erstmals als selbstverständlichen Teil des Alltagslebens. Zur selben Zeit stellen in Europa Künstler wie Jean Tinguely und Harry Kramer die Zweckrationalität der Technik prinzipiell infrage. Ihre kinetischen Apparate sind keine Maschinen, welche die Arbeit erleichtern oder Produkte herstellen. In ihnen wird vielmehr die mechanische Bewegung zum Selbstzweck und Technik damit zu Kunst. Tinguely nutzt die Technik auch zur Kunstkritik, indem er Malmaschinen baut, die selbstständig abstrakte Bilder erzeugen und so den Künstler als Bildproduzenten überflüssig machen.
Das visionäre Potenzial der Technik ist das Thema des belgischen Künstlers Panamarenko. Aus Fundstücken entwickelt er Fortbewegungsmittel, mit denen der Mensch sich neue Räume erschließen könnte, wenn die physikalischen Gesetze nicht gälten: beispielsweise Flugzeuge, die sich mit Muskelkraft bewegen lassen, oder Tret-U-Boote, die knapp unter der Wasseroberfläche fahren. Joseph Beuys entwirft dagegen mit seinem Multiple Capri-Batterie von 1985 die Utopie der Versöhnung von Technik und Natur unter dem Primat der Natur – eine Utopie, die heute unter dem Begriff Energiewende zu einer konkreten politischen und wirtschaftlichen Zielvorstellung geworden ist.
Auch die negativen Seiten der Technik werden von den Künstlerinnen und Künstlern reflektiert, wobei sie sich besonders für den Crash, also für Unfälle, interessieren. Kein anderer Fotograf hat Verkehrsunfälle überzeugender dokumentiert als der Schweizer Polizist Andreas Odermatt. Seine Schwarzweißfotografien zeigen zerschellte Pkws oder umgekippte Lastwagen, die wie abstrakte Skulpturen im leeren Straßenraum erscheinen, und machen so die ganze Faszination anschaulich, die von der zerstörerischen Kraft solcher Unfälle ausgehen. Den Unfallhergang selbst visualisiert der Stuttgarter Künstler Stefan Rohrer in dynamischen Reliefs und Plastiken, die abstrakt und abbildhaft zugleich sind.
Ein aktueller Trend in der Gegenwartskunst besteht darin, technische Apparate aus banalen Alltagsgegenständen nachzubauen. In der Sammlung Schiffer stehen hiefür Werke von Frederik Foert und Lorenz Lachauer. Letzterer hat aus alten Fahrradteilen, einem Pflasterstein, einem Holzzahnrad et cetera eine funktionierende mechanische Uhr gebaut, die in ihrer Form und mit ihrem Titel Rad der Zeit assoziationsreich und ironisch auf Vorstellungen wie Rad der Zeit, das Hamsterrad des Zeitmanagements und Duchamps berühmtes Fahrradrad anspielt.
bis 26. Januar 2014
Informationen
Kunstmuseum Heidenheim
Marienstraße 4, D-89518 Heidenheim
Tel. +49 (0) 73 21/327-4800
http://www.heidenheim.de
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