Kölner Philharmonie: Anschlag auf die Sinne

Die Barockdiva Simone Kermes zieht mit virtuosen Vivaldi-Arien in ihren Bann.
Bischofsgartenstraße 1, D-50667 Köln

Simone Kermes auf der Bühne zu erleben ist immer etwas Besonderes: Ihr Singen gleicht einem Vulkanausbruch, eruptiv schleudert sie die Töne ins Auditorium, mit einer Spannung und Dringlichkeit, die den Hörer selbst an leisen Stellen auf die Stuhlkante zwingt. Das ist nicht nur ein Anschlag auf die Ohren, sondern auf den ganzen Körper: Die Sängerin selbst scheint beim Singen zu vibrieren, mit jeder Faser ihres Körpers wirft sie sich in die Musik. Selten erlebt der Zuhörer Barockgesang derart sinnlich und körperlich, alles ist bei ihr von Feuer durchglüht.
Nicht nur ihr flammend rotes Haar ist mittlerweile zum Markenzeichen geworden, sondern vor allem die technische Meisterschaft, mit der Simone Kermes ihre Stimme beherrscht. Vor allem die hoch verzierte Musik der Barockkomponisten ist ein ideales Sprungbrett für ihre vokalen Trapezakte. Doch bei aller Virtuosität sind die Koloraturen nie Selbstzweck, verkommt die Musik nie zum reinen Primadonnenvehikel: „Koloratur ist nicht Technik, sondern Ausdruck, und der kommt aus dem Herzen!“
Simone Kermes steht damit für eine neue Generation von Künstlern, denn die Zeiten in der Alten Musik haben sich geändert: An die Stelle wissenschaftlicher Akribie sind Musiker getreten, die auf Grundlage der Forschungen einen subjektiven, emotionalen Zugang zu den Werken finden. Oft ist man in der Vergangenheit Interpretationen begegnet, die fast schon anämisch gewirkt haben. „In manchen Ländern wird das immer noch so praktiziert, aber zum Glück nicht mehr in Deutschland“, kommentiert Simone Kermes diese Entwicklung. „Die Zeiten haben sich geändert und müssen sich noch mehr ändern, besonders für die Oper. Wir leben in einer modernen Welt, und diese Musik ist so voller Rhythmus, dass sie eigentlich einen guten Bezug zu unserer heutigen Rockmusik hat.“
Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum die jahrhundertealten Werke aus ihrer Kehle so erstaunlich modern klingen, warum ihr Singen stets spontan wirkt, wie aus dem Augenblick heraus geboren. Verantwortlich dafür ist aber auch die Freiheit, welche die Barockkomponisten ihren Interpreten gelassen haben. Spielanweisungen sind – wie meist in der Alten Musik – Mangelware. Diese Freiheit ist für Simone Kermes unbedingt Segen statt Fluch. Aber: „Ich muss ganz frei sein, um das machen zu können. Ich darf im Moment der Ausführung nicht mehr darüber nachdenken. Das ist wie beim Singen eines Rocksongs, in dem man ganz aufgeht: Man hat seine Stimmung und Emotionen, lässt los – und dann ist es gut.“
In der Musik Antonio Vivaldis gehen die besonderen Fähigkeiten der Sopranistin eine nahezu ideale Verbindung ein: eine stupende Stimmtechnik, gepaart mit ­einem dramatischen Ausdruckswillen. Rund 50 Opern aus der Feder Vivaldis sind mittlerweile identifiziert, deren Arien den Interpreten nicht selten vor horrende Anforderungen stellen. Denn das musikalische Denken des Komponisten, der selbst ein begnadeter Geiger war, ist weniger vokal als instrumental. Die Musik ist nicht selten gespickt mit sängerischen Höchstschwierigkeiten: rasende Koloraturen, spitze Stakkatonoten und schwierige Intervallsprünge in den schnellen Stücken, eine enorme Atemkontrolle in den elegischen Arien. Bei Simone Kermes treten die technischen Parameter jedoch in den Hintergrund, werden vom Hörer als solche gar nicht mehr wahrgenommen, denn alles dient dem Ausdruck, der Emotion, dem Affekt. 
Text: Bjørn Woll

Informationen

Simone Kermes (Sopran)

La Folia Barockorchester

Robin Peter Müller (Violine und Leitung)

Werke von Antonio Vivaldi, Georg Philipp ­Telemann und Francesco Geminiani

25. Dezember 2012, 18 Uhr

koelner-philharmonie.de

Leserkommentare

Zum Kommentieren kostenfrei registrieren oder anmelden.