Betriebsamkeit und Hektik bestimmen fast überall den Alltag und lassen kaum Zeit und Muße, die wahrhaftigen Werte und Schönheiten des Daseins zu erkennen und wertzuschätzen. Doch der Reichtum des Seins ist unerschöpflich und offenbart sich häufig in Nebensächlichkeiten oder Wahrnehmungen, die als vertraut und gewöhnlich angesehen werden. So auch in den Landschaftsdarstellungen des 1962 geborenen italienischen Künstlers Livio Ceschin.
Man kann diese Landschaften nicht im Vorbeigehen erschließen. Man muss sich einlassen auf die Einsamkeit und Stille, die sie ausstrahlen, denn nur so enthüllen sie ihren wahren naturphilosophischen Charakter. Schier undurchdringliche Waldstücke, sumpfige Lagunengebiete, Flusslandschaften mit zerborstenen und verwitterten Fischerbooten, Ansichten von verlassenen, mit Pflanzen überwucherten Anwesen, einzelne Baumgruppen an entlegenen Orten, mit Schnee bedeckte Brücken in erstarrter Winterlandschaft. Es sind abgeschiedene Regionen, kaum berührt von Urbanisation. Zeugnisse des Menschen, die eingewoben sind, hat die Natur bereits wieder absorbiert und mit einem Schleier des Vergessens überzogen.
„Für die Radierungen von Livio Ceschin ist allgemein eine dezidiert malerische Gestaltung charakteristisch. Er verzichtet weitgehend auf lineare Begrenzungen und zeichnerische Andeutungen, sondern lässt die Formen durch das Aneinanderstoßen verschiedener Tonstufen entstehen. Eine Fülle grafischer Strukturen … in den unterschiedlichsten Kombinierungen kennzeichnet den jeweiligen Gegenstand in seiner spezifischen Beschaffenheit und optischen Erscheinung, die sich je nach ihrer räumlichen Lage im Bild verändern. Er sucht alle Übergänge weich und harmonisch zu gestalten und konzentriert sich weniger auf das Sichtbarmachen von Aufbau und Struktur der Dinge, sondern auf ihr Einfügen ins Atmosphärische, also auf ihre optische Erscheinung“ (Achim Gnann).
Häufig füllt dabei das Hauptmotiv nicht das gesamte Blatt aus, sondern scheint sich an den Seiten oder nach unten hin aufzulösen, ja mit dem Blattgrund zu verschmelzen. Die sich dadurch ergebenden Räume nutzt Ceschin nicht nur, um die Bildwirkung zu steigern und zu akzentuieren, sondern auch, um halb transparente Streifen unregelmäßig über die Ränder zu legen, sodass eine andere Realitätsebene entsteht und das eigentliche Motiv in einen neuen Kontext gehoben wird. Ein weiteres ganz eigenes Stilmittel ist das Einbinden von kalligrafisch an das 19. Jahrhundert erinnernden Wort- und Satzfragmenten, die dem Dargestellten eine zusätzliche poetische, fast lyrische Dimension verleihen. Dadurch erscheinen die einsamen und verlassenen Landschaften gleichsam als Spiegel von Erinnerungen an eine Zeit, als der Mensch noch gegenwärtig war und die Natur geprägt hat, die sich nun mit all ihrer ursprünglichen Kraft und Schönheit versöhnend über die Vergangenheit legt.
27. November 2010 bis 13. Februar 2011
Informationen
Panorama-Museum, Am Schlachtberg 9
D-06567 Bad Frankenhausen
Tel. (+49-346 71) 61 90, Di–So 10–17 Uhr
[email protected]
www.panorama-museum.de
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