Die britische Künstlerin Bridget Riley erhält dieses Jahr den Goslarer Kaiserring. Seit 1975 vergibt die Stadt den renommierten Preis an zeitgenössische bildende Künstler, um sie für ihre Verdienste um die Kunst zu ehren. Der erste Künstler, der den Preis erhielt, war der britische Bildhauer Henry Moore. Ihm folgten unter anderen Max Ernst, Joseph Beuys, Eduardo Chillida, Georg Baselitz, Christo, Gerhard Richter, Nam June Paik, Ilya Kabakov, Cindy Sherman und Jörg Immendorff. Der Preisträger 2008 war der weltweit berühmte Fotokünstler Andreas Gursky. Die Liste der Ausgezeichneten ist so prominent besetzt, dass der Preis, obwohl undotiert, immer wieder als Nobelpreis der bildenden Kunst bezeichnet wird und jeder Künstler es sich zur Ehre anrechnet, zum Kreis der Ausgewählten zu gehören.
Mit der Preisträgerin 2009, Bridget Riley, hat die Jury einmal mehr eine ausgezeichnete Wahl getroffen. Die 1931 in London geborene Künstlerin zeigt schon früh herausragende Talente. Als sie von 1946 bis 1948 am Cheltenham College ausgebildet wird, sorgt ihr Lehrer dafür, dass man sie vom regulären Unterricht freistellt, damit sie sich ganz der Entfaltung ihrer künstlerischen Begabung widmen kann. Ihre weiteren Ausbildungsstationen sind 1949 das Goldsmiths College in London und 1953 das renommierte Royal College of Art, die sie beide mit großem Erfolg absolviert. 1962 hat Bridget Riley ihre erste Einzelausstellung in der Gallery One in London. Schon ein Jahr später erhält sie den Preis der Liverpool Exhibition, ein Jahr darauf den AICA-Kritikerpreis, und 1968 wird sie auf der 34. Biennale in Venedig mit dem Internationalen Preis für Malerei ausgezeichnet.
Die Kritik hat ihre Bilder häufig unter dem Etikett der „Optical Art“ vereinnahmt, aber das wird weder der Bedeutung noch der Vielfalt ihres Schaffens gerecht. Richtig daran ist, dass Wahrnehmung und Sehen eine große Rolle in ihrem Werk spielen, vor allem in den schwarzweißen Bildern der 60er-Jahre. So nimmt unser Auge in ihrem bekannten Gemälde Movement in Squares (1961) das eigentlich statische und flächige Bild schwarzweißer Quadrate, die in ihrem Umfang erst abnehmen und dann wieder zunehmen, als dynamische und räumliche Bewegung wahr. Oder die Änderung des visuellen Rhythmus in dem Bild Pause (1964)! Seine kreisrunden, seriell angeordneten Punkte verändern sich allmählich zu Ovalen, ihr Schwarz hellt sich systematisch zu einem hellen Grau auf. Auch hier nimmt unser Auge die Veränderung im Bild als irritierenden Einbruch der zuvor etablierten Bildordnung wahr.
Oder – in den Worten der Künstlerin – als verstörenden „Dreischritt aus Ruhe, Aufruhr und wieder Ruhe“. Der Befund macht deutlich, dass Bridget Riley auch in ihren Werken, die man der Op-Art zurechnet, weniger an optischen Illusionen als an gleichnishaften Bildern interessiert ist. Bereits Ende der 60er-Jahre erweitert sie ihr Vokabular einer geometrischen Abstraktion um die Farbe. Die Bilder, die seitdem entstanden sind, ähneln immer stärker rhythmischen und musikalischen Partituren. In ihnen weicht die optische Illusion der koloristischen Sensation. In Cataract (1967) wird die rhythmische Grundstruktur des Gemäldes durch Kurven gebildet. Farbige Grau sind einander paarweise so zugeordnet, dass sich ihre Farbwerte bis zum leuchtenden Rot und Türkis steigern. Die überwältigende Wirkung ähnelt – noch einmal in der hellsichtigen Eigenbewertung der Künstlerin – „einem plötzlichen Ausströmen von reiner Farbe“.
Gemälde wie Après Midi (1981) oder Tabriz (1984) sind dagegen streng vertikal komponiert. Dabei bilden die senkrechten Streifen farbige Gruppen und Intervalle. Wie in der Musik gibt es Echos, Wiederholungen und Umkehrungen. Immer neu setzt der Betrachter vor den Leinwänden die Farben zu wechselnden harmonischen Akkorden zusammen. Später dynamisieren Diagonalbewegungen das Farbgeschehen auf der Leinwand wie in In Attendance (1984) oder High Sky (1991). In den Kurven- und Bogenbildern, zum Beispiel Rêve (1999) und Painting with Verticals (2006), wird der Bildrhythmus komplexer und die Komposition beweglicher. Haben Bridget Rileys frühe Bilder das menschliche Auge in seiner retinalen Schwäche entlarvt, verwöhnen es die späteren Werke durch einen an Matisse erinnernden verschwenderischen Farb- und Formenreichtum. Er ist nicht weniger als eine Ode an die Schönheit der Welt und an das Geschenk des Lebens.
Zur Ausstellung ist ein Ausstellungskatalog mit der Laudatio von Julia Voss erschienen; Vorwort: Wulf Herzogenrath und Inge Langner; mit einer umfangreichen Werkbiografie von Robert Kudielka und zahlreichen Abbildungen; 88 Seiten, broschiert, 15 Euro.
Informationen
bis 31. Januar 2010
Mönchehaus-Museum Goslar
Mönchestraße 1, D-38640 Goslar
Tel. (+49-53 21) 29 5 70
[email protected]
www.moenchehaus.de
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