Harnoncourt und Natur
Ein Naturstück der besonderen Art ist Shakespeares Sommernachtstraum. Knapp ein Jahrhundert nach dem Erscheinen dieses genialen Theaterwurfs um lauter zauberische Naturwesen nahm sich Henry Purcell das schon zum Hit gewordene Werk her und komponierte zu einer bearbeiteten Version davon die wunderbarste Barockmusik, die sich vorstellen lässt.
Der Zaubermeister, der all diese Purcell’sche Wundermusik rund um Titania, Oberon und deren Gefolge genial zu zelebrieren weiß, ist bei der styriarte 2014 natürlich Nikolaus Harnoncourt. Nach seiner Pfeife tanzen der Concentus Musicus Wien, der Arnold Schoenberg Chor und ein fantastisches, buntes Solistenensemble durch den passenden Bühnenrahmen in der Grazer Helmut-List-Halle, den Philipp Harnoncourt dort für seine Inszenierung nach schon bewährtem styriarte-Konzept wieder schaffen wird (The Fairy Queen, fünf Vorstellungen vom 21. bis 28. Juni 2014).
Weit weg von der Natur angesiedelt und doch ganz organisch angelegt ist das zweite Projekt, das Nikolaus Harnoncourt für die styriarte 2014 vorhat: Drei Sinfonien komponierte Wolfgang Amadeus Mozart im Sommer 1788, seine letzten. Nikolaus Harnoncourt deutet diese Werke als zusammengehörigen dreiteiligen Zyklus eines „Oratoriums ohne Worte“. Mit dem Originalklang seines Concentus Musicus Wien wird Harnoncourt diese seine Auffassung in zwei Aufführungen unterstreichen – unter dem sinnigen Titel „Mozart!!!“ am 5. und 7. Juli im Stefaniensaal.
Weekend im Grünen
Ausflüge aufs Land sind ein Muss in einer Natur-styriarte. Das Stainzer Schloss und seine umgebenden Gartenräume werden beim Auftakt der styriarte am 20. Juni zum Rahmen für ein vielstimmiges Fest des romantischen Chorgesangs, programmatisch mit Mendelssohns Zyklus Im Freien zu singen betitelt. Zu hören sind da etwa der Arnold Schoenberg Chor, der chor pro musica graz oder der HIB.art.chor Liebenau. Noch vier weitere Male zieht es die styriarte aufs Land. Gleich
zum Startwochenende am Sonntag, dem 22. Juni, geht’s in die Kirche nach Aflenz mit Musik der „heiligen Hildegard“. Die Frauenschola Ars Choralis Coeln, die sich der Heiligen sehr verbunden fühlt, gibt deren mystischen Gesängen unverwechselbare Gestalt. Der Dom des Waldes auf der steirischen Hebalm ist dann wie geschaffen für Schumanns Waldszenen und mehr Klavierstücke von Janáček und Schubert, die der junge siebenbürgische Pianist und Brendelschüler Herbert Schuch dort am Sonntag, dem 29. Juni, ideal interpretieren wird. Auch in Stübing kehrt man ein, diesmal mit der dafür konzipierten Kinderveranstaltung. Sinnliches Erleben der Natur steht im Vordergrund. Unterspickt wird das lustige Mitmacherlebnis von musikalischen Naturstücken, von gemeinsamem Jodeln und Singen im Programm „Kinder, Kinder!“ (Sonntag, 12. Juli).
Und ganz zum Ende, am 20. Juli, geht die styriarte auf Marien-„Wallfahrt“ von Pöllau bis hinauf in die Pöllauberger Kirche. Hinausspielen aus dem Stift wird das Wallfahrervolk die Musikkapelle Pöllau; unterwegs auf der „echten“ Wanderung samt Jausenstation trifft dieses dann auf die Neue Hofkapelle Graz oder das Ensemble Zwoadreivier, wird oben in der Bergkirche vom Wiener Kammerchor mit Schuberts Deutscher Messe willkommen geheißen und schließlich mit einem gemeinsamen Essen an einer langen Tafel im Freien verabschiedet.
Michael Hofstetter und SFO
Ganz Neues wagt die styriarte 2014 auch. Sie gründet unter der Ägide des Dirigenten Michael Hofstetter ihr eigenes styriarte-Festspielorchester. Das ambitionierte Projekt ganz besonderen Zuschnitts fußt im Grunde auf dem bewährten Orchester recreation, wird aber Schlüsselstellen mit von außen kommenden Spezialisten besetzen und dem Ganzen so einen künstlerischen Turbo zuschalten. Gespielt wird auf Darmsaiten, mit historischem Blech und leicht historisch adaptierten Holzblasinstrumenten. Seine Feuertaufe wird dieses Orchester am 28. Juni 2014 ablegen: Michael Hofstetter folgt Beethoven zur Szene am Bach sowie zu Gewitter und Sturm in der Pastorale und dirigiert an diesem Abend auch das Beethoven-Violinkonzert mit einer styriarte-Debütantin, der Deutschjapanerin Mirijam Contzen an der Solovioline.
Mit dem neuen styriarte-Festspielorchester, dem Arnold Schoenberg Chor und einer brillanten Sängerschar von Sarah Wegener als Agathe bis Georg Nigl als Kilian wird Michael Hofstetter die deutsche Nationaloper, Webers Freischütz, in Graz in der Helmut-List-Halle konzertant präsentieren (4. und 5. Juli).
Hofstetters dritter Coup in der styriarte 2014: Mit der erfolgreichen Originalklangformation recreationBAROCK breitet er in der Helmut-List-Halle einen Klangteppich für die Stimmen von Counter Kangmin Justin Kim und Sopran Kirsten Blaise aus.
SOAPs, die neuen
Nun gehen sie schon in ihr drittes Jahr, die immer begehrter werdenden, genial bunten und abwechslungsreichen styriarteSOAPs: Franz Schubert, Joseph Haydn, Ludwig van Beethoven, Gustav Mahler und ihre Beziehungen zur Natur stehen im Fokus der SOAPs am 6., 9., 13. und 16. Juli in der Helmut-List-Halle. Es spielen Solisten des Chamber Orchestra of Europe und des Concentus Musicus Wien, die Ensembles federspiel und Amarcord Wien. Es singen Daniel Johannsen, die Herren des Arnold Schoenberg Chors, Julia Kleiter und Elisabeth Kulman. Es lesen Cornelius Obonya, Gregor Seberg, Christoph Bantzer und Johannes Silberschneider. Und es wäre nicht die styriarte, hätte sie sich nicht etwas Neues einfallen lassen. Diesmal die „Außenwette“. Eine Zuspielung auf der großen Leinwand im Saal gewährt Blicke auf die inspirierenden Naturorte der Komponisten: Für Schubert wird da in Schloss Wildbach musiziert, für Haydn in Rohrau, für Beethoven in Heiligenstadt und für Mahler am Attersee.
Alte Musik
Sehr breit wird 2014 bei der styriarte das Feld der alten Musik beschritten. Im Sog der Fairy Queen steht der geniale englische Barockkomponist Henry Purcell noch zweimal im Zentrum herrlicher Naturprogramme: Der Concentus Musicus Wien legt sich am 24. Juni unter der Leitung von Geigerin Andrea Bischof prächtig festliche Barockmusik des Orpheus britannicus aufs Pult, und einer der Solisten aus der Fairy Queen, der Counter Terry Wey, lässt gemeinsam mit Luca Pianca an der Laute und Vittorio Ghielmi an der Gambe unter dem Titel „Sweeter Than Roses“ mit süßen Melodien von Purcell und Dowland zauberische Bilder von der englischen Landschaft erstehen (26. Juni). Gleich am Auftaktssonntag (22. Juni) picknickt die styriarte musikalisch begleitet im Schlosspark von Eggenberg auf „Ländlichen Festen“, so, wie die galante barocke Gesellschaft es in den Schlössern Frankreichs zu tun beliebte. Davor aber serviert Lorenz Duftschmid mit seinem Armonico Tributo in einer Matinee im Planetensaal dazu das passende barocke Hitprogramm von Rebel bis Rameau. „Den Traum vom Schäferland“, ein Händel-Kantaten-Programm rund um das sagenhaft paradiesische Leben in Arkadien, träumt Marco Vitale mit seinem Contrasto Armonico und der virtuosen Gemma Bertagnolli bei einer Matinee in Schloss Eggenberg am 6. Juli. Ein lang erwartetes Debüt bei der styriarte steht am 8. Juli unter dem Titel „Serenata“ bevor: Hille Perl und Lee Santana packen Gambe und Laute aus und gackern, zwitschern und miauen sich damit gemeinsam mit Rüdiger Lotter und Olga Watts durch barocke Naturschilderungen von Biber bis Marais. Jordi Savall haben es die schottischen Highlands und irischen Hügel angetan. Ursprünglich klingen Jig, Hornpipe und Co von dort aus seiner Gambe, aus Andrew Lawrence-Kings Harfe und Frank McGuires Bodhran („Irish Landscapes“, 30. Juni). Und der Lautenmeister par exellence, Hopkinson Smith, hat in der Argentinierin Mariana Flores die ideale Stimme für englische Lautenlieder von Dowland und Zeitgenossen gefunden.
„O Sweet Woods“ wird da im Minoritensaal gesungen, und im zweiten Teil des Konzerts am 3. Juli geben die beiden dann herrliche spanische Lieder von Nachtigall und Lorbeerbaum hinterdrein.
Kammermusik
Auch die Kammermusik hält einige Gustostückerln um Naturzauber bereit: Mozarts Kleine Nachtmusik steht im Zentrum eines Quartettabends in G-Dur, dem Publikum im Schloss Eggenberg am 25. Juni zu Füßen gelegt vom katalanischen Cuarteto Casals. Debüt!
Der einstige Solooboist des Chamber Orchestra of Europe, François Leleux, steuert mit dem Hebrides Ensemble (Debüt!) ein Sommermusikprogramm der Extraklasse bei: Brittens Metamorphosen und Mozarts Oboenquartett. Zu hören bei „Divertimento“ am 10. Juli. Einen Streicherflügel, wie ihn Liszt und Brahms besaßen, spielt Janna Polyzoides bei der Eggenberg-Matinee am 13. Juli: Erich Höbarth und Christophe Coin suchen mit ihr gemeinsam „Brahms am Thunersee“ auf, wo er sich von den Bergen und der Natur zu schönster Triomusik inspirieren ließ. „In der Puszta“ macht das bewährte Zemlinsky-Quartett gemeinsam mit dem Klarinettisten Sebastian Manz (Debüt!) Station und gibt mit Haydn-, Brahms- und Bartók-Werken einen Eindruck von der beeindruckenden Weite dieser Landschaft (Matinee am 20. Juli).
Klavier
Zwei Fixgrößen der styriarte bestreiten die reinen Klavierabende im Festival 2014. Zuerst jenseits vom Festspielthema, aber ja nicht zu versäumen: Pierre-Laurent Aimard gibt Bachs Wohltemperiertes Klavier am 14. Juli in der List-Halle. Tags darauf hat sich die Halle in einen lichten Wald verwandelt (wie übrigens häufig in der styriarte 2014!), und Aimard exerziert Olivier Messiaens Catalogue d’Oiseaux im Wechsel mit den Aufnahmen von Jean-Claude Rochés Vogelstimmen aus der Natur. Mitten in den „Sturm“ aus Beethovens Sonate 31/2 begibt sich Markus Schirmer dann am 19. Juli ebenda und spürt auch in der Pastorale-Sonate noch einmal Ludwigs Naturverbundenheit nach.
Blütenlese
Im Burggarten in Graz trifft man am 27. Juni auf Trolle, Nixen und die „Loreley“. Die unvergleichliche Miriam Andersén haucht den Naturwesen aus dem Norden zauberisches Leben ein und lässt sich dabei von Freunden auf Durspel, Fidel und Busuki begleiten. „Unter den Linden“ und an vielen „Natur“-Orten der Musikgeschichte tut sich das Hilliard Ensemble bei seinem Abschiedskonzert am 17. Juli in der Helmut-List-Halle um und gibt noch einmal einen Einblick in sein phänomenales Können und Repertoire.
Exotisch wird es am Folgetag bei chinesischen Klängen, deren Thema immer und immer wieder die Natur ist. Dong Yas Pipa und die besonderen Instrumente des Gu-Feng-Ensembles feiern diese unter dem Titel „An die Pflaumenblüte“. Und last, but not least: Jordi Savall hat wieder einen neuen Ort für seine musikalischen Erkundungen gefunden: den Balkan. „Honig und Blut“ kann dieses Wort unter anderem bedeuten, und so poetisch heißt auch Savalls Programm aus dem auch musikalisch fruchtbaren Melting Pot des europäischen Südostens (Helmut-List-Halle, 12. Juli).
Neu, neu, neu
Lunchkonzerte: Junge Musiker und Ensembles halten sich eine Woche lang in Graz auf, besuchen Proben, lassen sich inspirieren und spielen zu einem vorgegebenen Thema ein eigenes kleines Konzert, in dessen Rahmen auch ein Mittagsgericht serviert wird. Unter der Woche täglich während des Festivals. Mehr dazu ab März!
styriarte-Menü: In Kooperation mit der Genusshauptstadt Graz-Gastwirtschaft Zum Sommernachtstraum: Ein temporäres Lokal im Zelt bei der Helmut-List-Halle kümmert sich ums leibliche Wohl der Musikliebhaber.
20. Juni bis 20. Juli 2014
Informationen und Karten
styriarte, Kartenbüro
Sackstraße 17, A-8010 Graz
Tel. +43 (0) 316/82 50 00
http://www.styriarte.com
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