Oper auf dem Klosterhof
La damnation de Faust, also Fausts Verdammnis und nicht wie Goethe einfach nur Faust, hat Hector Berlioz seine dramatische Legende genannt, die den Klosterhof vor der Kathedrale diesen Sommer in ein riesiges „Himmel und Hölle“-Spielfeld verwandeln wird. Auf verschiedenen Ebenen begegnet Faust den von Mephisto vorgegaukelten Bilderwelten. Berlioz lässt seine Titelfigur nicht wie Goethe erretten, sondern verdammt ihn in die Hölle, während Marguerite in den Reigen der seligen Geister aufgenommen wird. Berlioz’ Faible für Extreme prägt die Komposition, und sie wird auch die Inszenierung von Carlos Wagner bestimmen. Er zeigt einen Faust, vor dem der Teufel in der Gestalt eines grotesken Schaustellers und Spielleiters ganze Heerscharen auffahren lässt, um ihn an sich zu binden. Chor, Tänzer und Artisten warten als Dämonen, clowneske Figuren und zwielichtiges Schauspielpersonal auf den nächsten Wink ihres teuflischen Meisters und kreuzen immer wieder Fausts Schicksalsweg. Die Spielfläche präsentiert sich dabei als diabolische Wunderkammer, aus der es für Faust kein Entrinnen gibt.
Berlioz hat aus Goethes Vorlage einen eigenen Text geschaffen, der Fausts Sehnsucht nach Leidenschaft und Erfüllung als Leitlinie nutzt. Die Fantasie des Komponisten entzündete sich an den Genrebildern sowie an der Figur der Marguerite. Ihr verhalf er zu einer eigenständigen Persönlichkeit, in die sich sein melancholischer Faust verliebt. Mephisto ist nicht die aufgeklärte Figur Goethes, sondern das archaisch Böse aus dem Volksbuch des Dr. Faustus. Berlioz interessierte – wie so viele Romantiker – die Nachtseite des menschlichen Wesens, und er formte diese mit den Klangfarben des Orchesters wie kein anderer seiner Zeit. In La damnation de Faust verbinden sich verschiedene musikalische Sphären und erzeugen ein vielgestaltiges Klangbild, welches das Geschehen auf der Bühne akzentuiert und das Publikum an den Gefühlswelten der Protagonisten teilhaben lässt.
Zwielicht – Tanz
Die zweite Säule der Festspiele ist der sakrale Tanz in der Kathedrale. Der Choreograf Marco Santi widmet sich einem Bereich, der sich zwischen den Polaritäten Hell und Dunkel entfaltet: dem Zwielicht. Dieses geht aus einer Mischung aus Helligkeit und Dunkelheit hervor und repräsentiert die Schnittstelle zweier Seiten, die einander ausschließen und doch zusammengehören. Zwielicht beschäftigt sich mit den Phänomenen des Übergangs, die mit den Mitteln des Tanzes im Raum der Kathedrale zu erlebbaren Bewegungsfolgen geformt werden. Der Tanz wird so zum Medium, jenseits der Sprache einen respektvollen Zugang zu den Themen und Fragen zu finden, die im Kirchenraum verhandelt werden. Dabei bilden die zeitgenössischen Stilmittel der Festspielproduktion einen Kontrast zur überwältigenden Innengestaltung der Kathedrale.
Die Musik von Jay Schwartz, die der amerikanische Komponist extra für die Aufführung geschrieben hat, schlägt eine Brücke zwischen den kirchlichen Glaubensinhalten und dem Ausdrucksvermögen der Tänzerinnen und Tänzer. Sie bewegen sich in wechselnden Stimmungen durch die unterschiedlichen Räume der Kathedrale und versuchen dem Zwielicht, der Grenze zwischen Hellem und Dunklem, auf die Spur zu kommen.
Konzerte
Das Konzertprogramm pflegt als dritte Säule der Festspiele die Alte Musik und beschäftigt sich mit Themen rund um die jeweilige Oper auf dem Klosterhof, sodass 2012 der Mythos Faust, Berlioz und Goethe in der Musik wichtige Konzertthemen sein werden. Der Mensch zwischen Erkenntnis und Glauben, angefochten durch das Böse – diese Geschichte reicht bis in die spirituellen Anfänge der Menschheitsgeschichte. In Hildegard von Bingens mittelalterlichem Mysterienspiel Ordo Virtutum steht die menschliche Seele als Spielball zwischen Tugenden und der Kraft des Bösen, in der romantisch musikalischen Rezeption rückte der dramatische Gehalt des „Mythos Faust“ in den Mittelpunkt. Das Berlioz-Projekt stellt Hector Berlioz als Erfinder der französischen mélodie vor, eine Genealogie der Cembalomusik beiderseits des Rheins vollzieht Pour le Clavecin. Bachs Chaconne gerät zum Objekt späterer Bearbeitungen, und Goethe als prominentestem Faustianer huldigt das Festkonzert mit Beethovens Egmont. Ein Höhepunkt ist mit Sicherheit das Konzert von Jordi Savall, der bereits in der vergangenen Festspielsaison seine Zuhörer zu begeistern wusste.
22. Juni bis 6. Juli 2012
Informationen
Konzert und Theater St. Gallen
Museumstraße 2/24–25, CH-9004 St. Gallen
Tel. +41 (0) 71/242 06 06
www.stgaller-festspiele.ch
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