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Vieles ist in Bewegung

Das Naturhistorische Museum (NHM) in Wien ist eines der bedeutenden naturwissen­schaftlichen ­Museen der Welt und zugleich wichtige ­Forschungsstätte in verschiedenen Fachgebieten. Heute befindet sich das Museum in einer ­Umbruchphase. Hier wie ­andernorts wird um ­Besucher gebuhlt. An ­manchen Orten will man das Museum neu erfinden, wahlweise als Lernort oder als Erlebnis­zentrum. Vieles ist in ­Bewegung, auch im Natur­historischen Museum in Wien. Dazu ­befragte ­SIMsKultur
den ­Generaldirektor und ­wissenschaftlichen Geschäfts­führer, Univ.-Prof.

Dr. Christian Köberl.

 

Text: Dr. Franz-Xaver Schlegel

Fotos: Carlos de Mello

Burgring 7, A-1010 Wien

In diesem 1889 errichteten Palast der Naturwissenschaften blickt man auf Einzelsammlungen, die bereits vor über 250 Jahren begonnen wurden. Mineralien, Gesteine, Meteoriten – die älteste und zugleich größte Sammlung weltweit – machen ­einen bedeutenden Teil des Museums aus. Die 25 Millionen Objekte umfassende Sammlung enthält außerdem Zeugnisse der Erdgeschichte, Fossilien, Saurier und urgeschichtliche Belege mit Highlights wie der Venus von Willendorf und Schätzen der Eisenzeit. Auch Themenkreise der Botanik und Ökologie haben ihren Platz im Museum wie – ausgreifend – die Zoologie. Diese Kulturgüter, Präparate, Naturalien wollen allesamt bewahrt, inventarisiert und für die weitere Forschung aufgearbeitet werden. Es sollen die herausragenden Schätze der Öffentlichkeit aber auch sowohl gezeigt als auch vermittelt werden. Dies ist ein klarer sozialer und kulturpolitischer Auftrag, den es vom NHM im Sinne der Allgemeinheit zu erfüllen gilt.

 

SIMsKultur: Herr Professor Köberl, ein gutes halbes Jahr sind Sie bereits im Amt, und schon sieht man im Detail erste erfreuliche Neuerungen: ein modernes Logo, eine aufgefrischte Website et cetera. Was haben Sie weiter in die Wege geleitet, und wo setzen Sie Schwerpunkte im NHM?

Christian Köberl: Mir ist es besonders wichtig, das Museum ins 21. Jahrhundert zu bringen. Wir haben ein wunderschönes historisches Gebäude, und wir haben historische Sammlungen, die international anerkannt sind. Aber ich sehe das Gebäude als eine Art Bühne, auf der wir unterschiedliche Stücke spielen können, auch durchaus solche mit modernen Seiten. Gerade die Dinge, die Sie angesprochen haben, wie neue Corporate Identity, neues Logo, neue Drucksorten, neue Programme und eine klarere Programmführung sowie konkrete Programmschienen, galt es für mich einzuführen – zwecks besserer Orientierung und besseren Verständnisses für die Besucher. Es soll das Museum nicht auf den Kopf gestellt werden – das will ich auch nicht, und das macht auch keinen Sinn!

SIMsKultur:Hier komme ich auf die 39 Schausäle im historischen Gewand zu sprechen, mit viel Dekor, Gemäldeschmuck und originalem Schaukastenmobiliar. Bei all dem seltenen und einmaligen Charme: Was immer wieder als bewahrenswertes Ensemble gepriesen wird, hat doch auch ein Eingezwängtsein im kulturhistorischen Korsett zur Folge. Moderne Didaktik und moderne Beleuchtungs- wie Präsentations­technik müssen – ich betone: in den Dauer­ausstellungen – viele Kompromisse machen. Wie stellen Sie sich dieser komplexen Problematik, wenn es darum geht, ohne das Museum komplett zu entrümpeln sich künftig noch mehr als lebendiges Museum zu präsentieren?

Sie haben recht. Das ist eine delikate Gratwanderung, denn natürlich ist das Mu­seum selbst ein historisches Gesamtkunstwerk. Aber man darf nicht vergessen, dass sich im Lauf der Zeit die Dinge, die in den Vit­rinen gezeigt werden, geändert haben. Es ist sehr informativ, wenn man sich beispielsweise ein altes Foto der Museumsschausäle zu Beginn des 20. Jahrhunderts ansieht. So wurden etwa in zoologischen Sammlungen fast ausschließlich Skelette gezeigt. Heute zeigen wir fast ausnahmslos ausgestopfte Tiere. Es hat sich also auch hier schon einiges geändert, obwohl auch die ausgestopften Tiere mittlerweile 20, 30 oder gar 50 Jahre alt sind.

 

SIMsKultur: In Sonderausstellungen – Körperwelten – gehen Sie hier ja schon ein Stück weiter.

Richtig! Ich glaube, der entscheidende Punkt ist: Das Museum selbst ist nicht statisch und soll es auch nicht sein. Meine in einem Satz definierbare Vision für das Museum ist: Ich möchte hier zeigen, dass moderne Naturwissenschaften wichtig, interessant und spannend sind und dass sie eine gesellschaftliche Relevanz haben.

SIMsKultur: Aufgefallen ist mir hier der Aspekt Kommunikation. Sie holen die zahlreichen Wissenschaftler, die hier im Haus tätig sind, aus ihren Büros und zeigen diese mit ihrer Arbeit. Sonst fragt sich der Besucher: Was machen diese über 60 Leute eigentlich?

Ganz allgemein zur Forschung: Es ist tatsächlich kaum in der Öffentlichkeit bekannt, dass wir hier eine ganze Menge Wissenschaftler haben, dass wir zudem ­eine der größten außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Österreich sind. Wir sind ein Kompetenzcenter auf dem Gebiet der Biowissenschaften und Geowissenschaften, und wir möchten das verstärkt nach außen hin zeigen.

 

SIMsKultur: Es gibt gerade hier verschiedene Initiativen, die von Ihnen angestoßen wurden: 2011 findet das Jahr der Chemie im NHM mit einer Reihe verschiedener Aktivitäten statt.

Das internationale Jahr der Chemie hat ­eine interessante Möglichkeit mit sich gebracht. Wir versuchen hier zum ersten Mal Chemie, was an sich nicht gesondert im Museum thematisiert ist – es gibt keinen eigenen Sonderausstellungsbereich –, zu zeigen: Wir haben Ausstellungen auf dem Gebiet der Natur, der Geowissenschaften, Biowissenschaften et cetera. Natürlich steckt hier überall Chemie dahinter, wo­rüber sich das Publikum vielleicht keine Gedanken gemacht hat. Wir möchten nun in jedem Saal – ob dies nun bei den Meteoriten ist, in der Frühgeschichte, bei den Mineralien oder bei den Vögeln und den Fischen – zeigen, wo ein interessanter Konnex zwischen Natur und Chemie besteht, wo man beispielsweise ein interessantes Phänomen chemisch erklären kann. Bei den Meteoriten beispielsweise etwas sehr Grundlegendes. Dort werden wir erklären, wo die chemischen Elemente überhaupt herkommen – wo kommt die ganze Natur, die ganze Materie überhaupt her? Bei den Fischen etwa kann man eine besondere Eigenschaft erläutern: In der Antarktis gibt es Fische, die eine Art Frostschutzmittel in Blut und Gewebe haben, damit sie in den kalten Gewässern nicht einfrieren. Daran kann man zeigen: Das ist eine rein chemische Reaktion. So kann man die chemischen Zusammenhänge erklären.

SIMsKultur: Ein Programmpunkt für 2011 in Ihrem Mu­seum hat unsere Aufmerksamkeit ganz besonders geweckt: Die Ausstellung Weltraum. Die Kunst und ein Traum. Sie läuft vom 1. April bis 15. August. Dabei kooperieren Sie – und das ist der Clou – mit der Kunsthalle wien. Diese zählt mit ihren oft unkonventionellen Ausstellungen zu den international renommierten Einrichtungen für zeitgenössische Kunst in der Stadt. Könnten Sie uns bitte kurz schildern, wie es zur Zusammenarbeit dieser unterschiedlichen Einrichtungen gekommen ist, und vielleicht verraten Sie uns auch ein paar inhaltliche Details?

Wie es zur Zusammenarbeit gekommen ist, erklärt sich schnell: Ich bin als Wissenschaftler nicht nur Museumsdirektor, sondern nach wie vor Professor der Universität Wien, und mein Fachgebiet hat im weiteren Sinn mit Weltraumforschung zu tun. Daher hat die Kunsthalle den Kontakt zu mir aufgenommen und mich für wissenschaftliche Fragestellungen um Hilfe gebeten. Bei den Gesprächen hat sich ergeben, dass es interessant wäre, wenn wir eine Kooperation mit Ausstellungsstücken machen. Denn die Kunsthalle war daran interessiert, unter den gezeigten Kunstwerken, die sich mit Weltraum beschäftigen, weil die Künstler dieses Thema aufgegriffen haben, auch Meteoriten zu präsentieren. Umgekehrt zeigen wir im NKM Kunstwerke. Wir haben ebenfalls gemeinsame Vermittlungsprogramme. Es wird Vorträge und Podiumsdiskussionen geben, wobei die eher kunstorientierten Diskussionen bei uns im NKM abgehalten werden und die eher naturhistorisch orientierten in der Kunsthalle. So wird versucht, das Publikum etwas zu durchmischen.

SIMsKultur: Was ist an Kunst bei Ihnen zu sehen?

Eines der schönen Stücke wird in der unteren Kuppelhalle gezeigt: eine Projek­tion der bekannten Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist.

 

SIMsKultur: Wie geht es weiter?

Mir ist es mit solchen Ausstellungen ganz allgemein wichtig, nicht nur neue Besucherschichten anzusprechen, sondern auch das Haus dem Dialog mit anderen Fachrichtungen zu öffnen. Gerade in dem Interface zwischen Naturwissenschaften und Kunst ist in Zukunft einiges zu erreichen. Schon im vergangenen Jahr gab es im Kontext des Themenjahrs „Fotografie“ zwei Ausstellungen über künstlerische Fotografie im Haus. Wir haben eine weitere Ausstellung hier im Haus geplant – ergänzt durch ein Filmfestival über Kunst in der Biologie und die Biologie in der Kunst: synthetische Biologie/Biofiction. Dieses Festival wird ab Mitte Mai hier stattfinden. Das ist auch ein kontroverses Thema. Ich glaube, mit solchen Aktionen schaffen wir es, das Museum ins 21. Jahrhundert zu bringen: indem wir uns neuen Fragestellungen nicht verschließen.

 

SIMsKultur: Sie fahren ein neues Programm. Ihr Museum ist ein Kulturmagnet in Wien und will es auch bleiben. Dennoch gibt es eine gewisse Konkurrenz zu den anderen großen Museen und Ausstellungshäusern der Stadt: wenn es um das Wirtschaften geht, um Besucherstatistiken, um die Akquise von zusätzlichen Finanzmitteln, um mediale Aufmerksamkeit. Wie positionieren Sie sich mit Ihrem Haus in der Museumsszene Wiens im Hinblick auf diese Kernfragen?

Es ist eine schwierige Situation. Nicht für die Besucher, denn es gibt in Wien ein sehr breites kulturelles Angebot, viele Kunstmuseen und viele andere künstlerisch wertvolle Programme. Aber gerade das NHM hat hier eine Chance, die wir nutzen können, denn wir sind das einzige Naturkunde­museum in der Stadt. Wir sind daher in der Lage, Programme zu zeigen, die es anderswo nicht gibt. Daher habe ich beispielsweise meine kontroverse Entscheidung getroffen, Aquarien nicht weiter im Haus zu führen. Denn dafür gibt es andere Ins­titutionen in dieser Stadt. Ich wollte unsere doch relativ knappen Ressourcen nicht zu sehr zersplittern und mich auf die Kernkompetenz dieses Hauses konzentrieren.

SIMsKultur: Sie verstehen sich auch als Dienstleistungszentrum, wie Sie es eingangs beschrieben haben. Dazu gehört die Mittel­akquise. Was unternimmt das Museum hier?

Das war früher kein Thema. Aber ich habe, seit ich im Amt bin, eine Stabsstelle im Haus zu dem Thema Forschungskoordination und Fundraising eingerichtet. Es gibt natürlich Forschungsprojekte, die drittmittelfinanziert sind, doch diese Anzahl möchten wir drastisch erhöhen, sodass wir gerade für die Forschung Mittel von Forschungsförderungsorganisationen lukrieren können – national wie interna­tional. Auf dem Gebiet der Sponsoren gab es hier bisher kaum Aktivitäten. Auch hier fangen wir gerade an, mit verschiedenen Leuten zu reden.

 

SIMsKultur: Zum Schluss noch eine Frage: Das Bewahren ist eine der Säulen eines Museums. Das Sammeln neben der wissenschaftlichen Erschließung eine weitere. Was würden Sie sich für das NHM in Wien wünschen?

Wir haben in allen drei Gebieten einen großen Bedarf. Die Sammlungen wachsen, sind sehr wertvoll. Wir haben Platzprobleme. Das heißt: In spätestens fünf Jahren werden unsere Speicher maximiert sein. Was tun wir dann?

Für die Öffentlichkeit am sichtbarsten stellt sich die Frage, was mit den Schau­sälen passiert und wie es um Sonderausstellungen im NHM steht. Unser Problem ist, dass wir keinen Platz für Sonderausstellungen haben, wenn wir jetzt, so wie geplant, die Sonderausstellungen wieder einbauen. Wir brauchen also dringend Platz für Sonderausstellungen. Die einzige Chance, die ich hier sehe, ist, in den Untergrund zu gehen und vielleicht eine gemeinsame Lösung mit dem Kunsthistorischen Museum anzudenken – in der Unterkellerung des Maria-Theresien-Platzes. So hätten wir etwa gemeinsam nutzbare Veranstaltungsräume und für jedes Mu­seum endlich zeitgemäße Räume entweder für Dauer- oder Sonderausstellungen.

 

SIMsKultur: Sie denken also an die Kulturforumsidee, ähnlich wie sie beim Louvre in Paris gelöst wurde?

Hier ist es mir noch wichtig zu sagen: Wir befinden uns zwar in einem historischen Bereich, doch muss man schon bedenken, dass in der Hofburg 1000 Jahre lang gebaut wurde. Es ist nicht einzusehen, wa­rum der letzte Bau hier 1914 fertiggestellt worden ist und hier danach nichts mehr passieren darf. Es ist in der Stadt in jedem Jahrzehnt, in jedem Jahrhundert etwas gebaut worden, und natürlich kann man auch etwas dazubauen. Eine Stadt ist etwas Lebendiges, und in 200 Jahren wird man auch die Architektur des 21. Jahrhunderts für interessant ansehen.

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