Die Wechselausstellungen des Buchheim Museums – es sind drei bis vier im Jahr – rekrutieren sich ausschließlich aus den Beständen der Sammlung Buchheim, die der Maler, Fotograf, Verleger, Kunstbuch- und Romanautor Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) zusammengetragen hat.
Buchheims Sammelleidenschaft galt im Bereich der klassischen Moderne vorwiegend dem deutschen Expressionismus. Die 1905 in Dresden gegründete Künstlergemeinschaft „Brücke“ (1905–1913), zu der Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein, Otto Mueller, vorübergehend auch Emil Nolde gehörten, rückte er ab Mitte der 1950er-Jahre zunächst durch seine Bücher, dann aber auch durch Ausstellungen seiner Sammlung wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, nachdem die Kunst der „Brücke“ wie die der gesamten europäischen Avantgarde unter den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamiert worden war. 1959 erschien dann sein Band Die Neue Künstlervereinigung München und der Blaue Reiter, eine detaillierte und umfassende Darstellung der Entwicklungsgeschichte des „Blauen Reiters“ und des engeren Kreises der Künstler um Wassily Kandinsky und Franz Marc. Buchheim legt darin nicht nur überzeugend dar, dass die „N. K. V. M.“ in programmatischer Hinsicht sowie durch ihre internationale, interdisziplinäre Ausrichtung wesentliche Voraussetzungen für den „Blauen Reiter“ schuf, sondern er konnte erstmals den Briefwechsel zwischen Franz Marc und August Macke einsehen und in Auszügen publizieren.
Die Vielfalt der im Almanach Der Blaue Reiter (1912) reproduzierten Werke – sie reicht von der Kunst der deutschen, französischen und russischen Avantgarde über die Wegbereiter der Moderne sowie Kunst der Antike und des Mittelalters bis hin
zu völkerkundlichen und volkskundlichen Stücken, auch Kinderzeichnungen und Arbeiten von Autodidakten – hat Buchheim wohl als Sammler bestätigt. Denn auch seine Begeisterung galt auf breiter Basis Werken, die er als unakademisch und unkonventionell, also als unmittelbare und „echte“ künstlerische Äußerungen empfand, wie Arbeiten von Laien, aber auch Hinterglas- und Votivbilder, afrikanische und asiatische Kunst und vieles andere mehr, was heute die zahlreichen unterschiedlich gestalteten Räume des Buchheim Museums in wechselnder Auswahl lebendig bestückt.
Zum diesjährigen 100-Jahre-Jubiläum des „Blauen Reiters“ und im Kontext des „Blauen Jahres“ zeigt das Buchheim Museum nun zwei Kabinettausstellungen mit Werken von Alexej Jawlensky und Lyonel Feininger. Der Russe – Jawlensky kam 1896 zusammen mit seiner Förderin Marianne von Werefkin nach München – und der Amerikaner (Feininger lebte und arbeitete bis zu seiner Exilierung in Deutschland) repräsentieren quasi den „Inner Circle“ und den erweiterten Kreis des „Blauen Reiters“, wobei man vorausschicken muss, dass sich der „Blaue Reiter“ nie als Künstlervereinigung mit festen Mitgliedern verstand, sondern als lose Verbindung gleichgesinnter Künstler um die beiden Redakteure des Almanachs, Wassily Kandinsky und Franz Marc.
Jawlensky und Werefkin kam im Vorfeld der „N. K. V. M.“ und des „Blauen Reiters“ als Vermittler der künstlerischen Vorstellungen Gauguins und der „Fauves“ entscheidende Funktion zu, während Feininger, durch Alfred Kubin vermittelt, 1913 von Franz Marc aufgefordert wurde, sich an der Ausstellung Erster Deutscher Herbstsalon zu beteiligen, an deren Konzeption die „Blauen Reiter“ im Wesentlichen mitwirkten. Beide Künstler, die als Menschen gegensätzlich waren, kennzeichnet eine lange Phase des Suchens, während deren sie beharrlich ihrer Berufung als Maler folgten. Was beide jedoch entscheidend mit dem „Blauen Reiter“ verbindet, ist ihr Verständnis des Kunstwerks als Manifestation einer geistigen Vision. Jawlenskys farbintensive, expressive Malerei der Vorkriegsjahre gewann unter dem Druck äußerer Umstände – zu Beginn des Ersten Weltkriegs musste er aus Deutschland fliehen – in den Variationen eine meditative Dimension. Die darauffolgenden Serien der abstrakten Köpfe waren für Jawlensky Ausdruck einer „Sehnsucht zu Gott“. Feininger wandelte sich in der Auseinandersetzung mit dem Kubismus, vorwiegend mit dem Orphismus Robert Delaunays, vom hintersinnigen Karikaturisten zu einem Maler lichtdurchfluteter, prismatisch aufgefächerter Kompositionen, Beschwörungen einer entmaterialisierten, geistigen Welt.
Lyonel Feiningers Aquarell Blaue Brücke schlägt nicht nur eine Brücke zu Jawlensky, denn beide schlossen sich 1924, zusammen mit Paul Klee und Kandinsky,
zur Ausstellungsgemeinschaft „Die Blaue Vier“ zusammen. Sie schlägt auch einen Bogen zu den Gemälden, Zeichnungen, Aquarellen und Druckgrafiken der Maler der Künstlergemeinschaft „Brücke“, die sich rund sieben Jahre vor dem „Blauen Reiter“ formierte und den Beginn des Expressionismus in Deutschland markiert. Franz Marc, der unter anderem bei seiner Suche nach Werken für den Almanach auch mit den „Brücke“-Malern Kontakt aufnahm, schrieb 1911 im Almanach: „In unserer Epoche des großen Kampfes um die neue Kunst streiten wir als ‚Wilde‘, nicht Organisierte, gegen eine alte, organisierte Macht … Wer sind diese ‚Wilden‘ Deutschlands? Ein großer Teil ist wohlbekannt und viel beschrieben: Die Dresdener ‚Brücke‘, die Berliner ‚Neue Sezession‘ und die Münchener ‚Vereinigung‘. Die älteste von den dreien ist die ‚Brücke‘. Sie setzte sofort mit großem Ernst ein, aber Dresden erwies sich als ein zu spröder Boden für ihre Ideen …“
Neben den beiden Kabinettausstellungen mit Werken von Jawlensky und Feininger sind also auch ausgewählte Arbeiten der „Brücke“-Maler Teil dieser Schau, die darüber hinaus, durch eine Dokumentation, Unterschiede und Gemeinsamkeiten des künstlerischen Selbstverständnisses der „Brücke“ wie des „Blauen Reiters“ anzudeuten sucht.Text: C. Segieth
Historie, Kunst und Kultur im und ums Saarland live erleben!
10. April bis 30. Dezember 2011
Informationen
Buchheim Museum
Museum der Phantasie/
Sammlung Buchheim
Am Hirschgarten 1, D-82347 Bernried
Tel. (+49-81 58) 99 70-0
www.buchheimmuseum.de
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