Den bahnbrechenden Neuerungen der folgenreichen künstlerischen Bewegung schlugen oft genug Unverständnis und Ablehnung entgegen. Der niederländische Künstler und Architekt Theo van Doesburg hat dies auf die Formel „aussen quadrat – innen Biedermeier“ gebracht. Kaum eine kulturelle Kontroverse zeigt dies deutlicher als die „Erfurter Museumsfrage“. Erfurt stand nicht nur in engem Austausch mit dem Bauhaus, sondern entwickelte sich selbst zu einem nationalen Brennpunkt moderner Kultur. Das heutige Angermuseum konnte unter den Direktoren Edwin Redslob, Walter Kaesbach und Herbert Kunze dank der Unterstützung des jüdischen Schuhfabrikanten Alfred Hess eine bedeutende Sammlung des Expressionismus aufbauen, die es freilich gegen den tradierten „biedermeierlichen“ Kunstgeschmack schwer hatte. Die üble Hetze gegen das Museum und den „jüdischen Kulturbolschewisten“ Hess verweist zudem auf das politische Spannungsfeld, in dem sich die „klassische Moderne“ der 1920er-Jahre bewegte.
Zugleich hat auch der Städtebau der „goldenen Zwanziger“ mit großen Projekten wie Nordbad und Stadion für Furore gesorgt. Eine Reihe von öffentlichen Bauten und Wohnungsbaukomplexen wie im Hanse-Viertel zeigen zudem, dass in Erfurt die Ideen des Bauhauses, anders als in Weimar, auf breiter Front architektonisch-städtebaulich umgesetzt wurden. Aber auch in Erfurt lebten hinter so mancher quadratisch-nüchternen Bauhaus-Fassade Menschen mit „biedermeierlichen“ Vorstellungen, hatten das „neue Bauen“ und Wohnen mit vielen Vorbehalten zu kämpfen. Zugleich verkörperte Erfurt in Thüringen modernes Großstadtleben. Das ausgebaute Kaufhaus „Römischer Kaiser am Anger“ (Anger 1) steht für den modernen Massenkonsum der 1920er-Jahre, in den Kinos, Hotels, Restaurants und Varietés herrschte Hochbetrieb, das Leben pulsierte in der alten Metropole Thüringens. Auch dies stieß nicht nur auf Begeisterung, sondern erzeugte Kulturpessimismus und Moderneängste.
Diese Widersprüchlichkeit wird in der Ausstellung durch einen hohen Inszenierungsgrad und erstklassige Exponate eingefangen. Und spätestens wenn man sich als Besucher ausschnittartig einen Blick in die damalige heterogene und politisch klar strukturierte Zeitungslandschaft gönnt, drängt sich der Verdacht eines gar nicht so „fernen Spiegels“ auf …
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16. Mai 2009 bis 31. Januar 2010
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