Prometheus raubte den Göttern das Feuer und schenkte es den Menschen. Dadurch entfesselte er ungeahnte produktive, zugleich aber auch verheerende Kräfte. Angeregt vom Mythos, bieten die Festspiele Zürich auch im heurigen Sommer einen besonderen Rahmen für Begegnungen der Künste, die in mehr als 150 Veranstaltungen die Vielfalt des Zürcher Kulturlebens widerspiegeln.
Luigi Nono als thematischer Schwerpunkt
Künstlerisches Herzstück ist Luigi Nonos selten aufgeführtes Opus magnum Prometeo – Tragedia dell’ascolto. Ein einmaliges Klangerlebnis verspricht die Aufführung dieses Glanzpunkts der musikalischen Avantgarde am 2. Juli in der Tonhalle unter der Leitung von Ingo Metzmacher. Entstanden im Jahr 1985, ist es ein kompromissloser Versuch, in der Musik die großen Themen der Menschheit zum Klingen und zur Sprache zu bringen. Eine wichtige Rolle bei der Umsetzung spielt der jeweilige Raum mit seinen akustischen Besonderheiten – er wird als eine „eigene Stimme“ in die Musik einbezogen.
Neben diesem Glanzstück der musikalischen Avantgarde bietet eine Reihe weiterer Veranstaltungen im Rahmen der Festspiele Zürich die Gelegenheit, sich mit dem Werk Luigi Nonos auseinanderzusetzen. Dieses Jahr wäre Luigi Nono 90 Jahre alt geworden. Fast ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod gilt er als einer der größten europäischen Komponisten seiner Zeit – und wird dennoch nur selten gespielt.
Entfesselung der Kräfte in der Musik des 20. Jahrhunderts
Das Festspielprogramm des Tonhalle-Orchesters Zürich steht ganz im Zeichen des Abschieds von seinem langjährigen Chefdirigenten David Zinman. Er bringt seinen Beethoven-Zyklus zum Abschluss und lässt mit Gustav Mahlers Auferstehungssinfonie dessen von Luigi Nonos Prometeo wieder aufgegriffene positive Utopie erstrahlen. Daneben widmet sich das Tonhalle-Orchester primär den zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts entfesselten Kräften der Fantasie und lässt die ganze Vielfalt dessen erklingen, was in der Musik seit Beginn des 20. Jahrhunderts möglich geworden ist.
Jazz des 21. Jahrhunderts erklingt wiederum in der Konzertreihe „Prometheus meets Jazz“, einer Kooperation zwischen dem Jazzclub Moods und dem Museum Rietberg. Im Sommerpavillon des Museums erklingt etwa die Volksmusik der Zukunft von Noldi Alder & Markus Lauterburg,
das geniale Klanguniversum des Drummers und Klangtüftlers Julian Sartorius, meditativer „Minimal Funk“ von Nik Bärtsch & Sha sowie die mediterrane Kunstmusik der Poeten des Jazz Trovesi/Coscia.
Schwerpunkt 1914 und Festspielpremieren von Opernhaus und Schauspielhaus
Der Beginn des 20. Jahrhunderts brachte auch eine Entfesselung verheerender Kräfte mit sich – zum 100. Mal jährt sich der Erste Weltkrieg am 28. Juni. Diesem Thema widmen sich die Ausstellung 1900–1914. Expedition ins Glück sowie zahlreiche Führungen des Landesmuseums Zürich. Ebenfalls aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts stammen die Festspielpremiere des Opernhauses, Puccinis Western-Oper La fanciulla del West, und die Vorstadtlegende Liliom, ein vom Schauspielhaus Zürich eingeladenes Gastspiel des Burgtheaters Wien.
Der Mythos im Wandel der Zeiten
Rüdiger Safranski eröffnete die Festspiele mit seinem Festvortrag „Prometheus und kein Ende“. In weiteren Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Ausstellungen wird über die Wirkung und Bedeutung des Prometheusmythos im Wandel der Zeiten bis in die Gegenwart nachgedacht. Die in Kooperation mit der Universität Zürich konzipierte Veranstaltungsreihe „Archipel Prometheus“ beleuchtet mit vier Themeninseln unterschiedliche Aspekte des Prometheusstoffs in verschiedenen historischen Epochen. Dabei treten Wissenschaft, Literatur und Musik miteinander in Dialog. Eine Kabinettausstellung im Kunsthaus reflektiert den Wandel der künstlerischen Beschäftigung mit der Figur des Prometheus, indem sie Gemälde und Zeichnungen von Johann Heinrich Füssli mit einem eindrucksvollen Werk der Gegenwartskunst von Javier Téllez konfrontiert. Das Geschenk des Prometheus an die Menschheit, das Feuer, ist ein zentraler Bestandteil des Universums des Zen-Meisters Sengai, dem das Museum Rietberg eine Ausstellung widmet.
Prometheus im Theater der Gegenwart
Diverse Theateraufführungen verpflanzen das Festspielthema in die heutige Zeit: Im Schauspielhaus zeigt etwa das Multiplayer-Video-Stück Situation Rooms von Rimini Protokoll die Schattenseiten des „prometheischen Feuers“. Das Publikum erlebt die globalisierte Welt der Waffen, der Herrschenden und Flüchtenden hautnah mit. In der Gessnerallee raubt Chris Kondeks und Christiane Kühls Anonymous P. den Mächtigen die Daten statt das Feuer – und gibt den Menschen in der eigens für die Festspiele produzierten installativen Performance ihre Privatsphäre zurück.
Festspiele für alle
Für Festspielstimmung mitten in Zürich sorgt das Opernhaus seit diesem Jahr jeweils mit einer Live-Opernübertragung auf den Sechseläutenplatz – 2014 verwandelte es den Platz mit Verdis Rigoletto in ein Freiluftparkett. Den fulminanten Schlusspunkt des Festivals setzt ein rauschendes Festspielfest in der Gessnerallee – dieses Jahr mit dem Tanzspektakel VADER (Vater) des belgischen Kollektivs Peeping Tom und einer rauschenden Party im Anschluss.
Informationen und Tickets
www.festspiele-zuerich.ch
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