Der Mannheimer Kristallschädel wurde speziell für die Ausstellung Schädelkult hergestellt Curt-Engelhorn-Stiftung für die Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim, © rem, Foto: Jean ChristenTrophäen(büffelhorn)schädel des Phom- oder Konyak-Naga, verziert mit Mithunhörnern (Bos frontalis; Nagaland oder Arunachal Pradesh, Indien), vor 1911 Sammlung Lucian Scherman, Staatliches Museum für Völker­kunde München Schädel mit Mosaikbesatz aus Türkissteinen, Mexiko, even­tuell Oaxaca, Puebla, Guerrero, eventuell Mixteken, vor 1500 n. Chr. © Museum of Anthropology Athens, Foto: Theodoros Pitsios Munduruku, brasilianisches Amazonasgebiet um  1850; die präparierten Köpfe der Feinde wurden zu Beginn eines dreijährigen Festzyklus reich geschmückt © Museum der Weltkulturen Basel, Foto: Markus Gruber Blick in die Fashion-Vitrine Schwarze Szene in der Ausstellung Dekoration und Produkte, XtraX Neu-Ulm © rem, Foto: Jean Christen Schädelkorbwächter (mbulu ngulu) Reliquiarfigur der Kota in Gabun. Holz, belegt mit Kupfer und Messing, rem Mannheim, Foto: Marion Jourdan, remAhnenschädel mit Gravur und Bleiauftrag, Privatsammlung, Dayak, Borneo, 19. Jh.; der Ahnenschädel wurde mit feinen Bleieinlegearbeiten verziert © Hugo Maertens, Brügge

FASZINATION SCHÄDEL – Der Kult um den Kopf

Rund 300 Exponate, einzigartige Schädelfunde und Kopfpräparate von rund 40 Leihgebern aus ganz Europa, sind vom 11. Mai bis 1. Dezember 2013 in der Kunsthalle Leoben zu sehen.
Kirchgasse 6, A-8700 Leoben

Dem menschlichen Kopf kam in vielen Kulturen und zu allen Zeiten eine besondere Bedeutung zu. Er galt von jeher als Zentrum des Denkens, als Sitz von spiri­tueller Kraft und Persönlichkeit. Nicht umsonst hat der Schädel des Menschen immer wieder eine besondere Rolle gespielt. So war er Machtsymbol, Objekt der Begierde und des Hasses, diente als Trophäe oder als Andenken an Verstorbene.
Die Ausstellung, die bereits in Mannheim und Schleswig über 100 000 Besucher begeistert hat, ist momentan in Herne bei Bochum zu sehen. Anhand von rund 300 eindrucksvollen Exponaten aus bedeutenden europäischen Sammlungen zeigt sie, wie unterschiedlich Zugang und Umgang mit dem menschlichen Schädel in verschiedenen Kulturen waren.
Ein Besuch der Ausstellung bietet neben spannenden naturwissenschaftlichen Einblicken einen Streifzug durch die Geschichte und die verschiedenen Kulturen der Kontinente.

Europa. Von Langköpfen und fremden Völkern
Zur Zeit der Völkerwanderung war Europa der Siedlungsplatz zahlreicher germanischer Volksgruppen. Gräberfelder aus dieser Zeit geben häufig Auskunft darüber, welche Gruppen in welchen Regionen ansässig waren. Die Funde aus diesen Gräbern zeigen auch, dass damals der sogenannte Turmschädel ein ­besonderes Schönheitsideal gewesen sein muss. Man geht davon aus, dass die Tradition der Kopfdeformation über die Hunnen von Zentralasien nach Mitteleuropa gelangt ist. Solche Funde werden deshalb als Hunnenschädel bezeichnet, ohne dass damit eine Volksgruppenzugehörigkeit verbunden ist.

Afrika. Musik, Schmuck und ­Ahnenverehrung
Entgegen allgemeinen Vorstellungen hat der Kopf- und Schädelkult in Afrika keine weit verbreitete Ausformung gefunden. Verschiedene Belege zeigen aber, dass auch auf diesem Kontinent in einzelnen Regionen Ahnenschädel, Kopftrophäen oder Teile von Schädeln eine besondere Wertschätzung erfahren haben. Aus Schädelteilen wurden Musikinstrumente hergestellt, Schädelschalen wurden als Resonanzkörper verwendet, und Teile des menschlichen Schädels, wie zum Beispiel Unterkieferknochen, wurden zur Dekora­tion von Gegenständen benutzt. Kunstvoll übermodellierte und farbig gestaltete Ahnenschädel sind aber vor allem von der Insel Madagaskar bekannt.

Asien. Schädelriten und ­Kopftrophäen
Auch im Hinduismus und im Buddhismus spielt der Kopf eine besondere Rolle. Im tantrischen Ritual zählen kunstvoll bearbeitete und dekorierte Schädel zu den bedeutendsten Kultobjekten.
Von der Insel Borneo und von einigen Volksgruppen im Nordosten Indiens sind anders motivierte Schädelverehrungen bekannt. Bei den Naga und Dajak war die Kopfjagd ein wichtiger Bestandteil des religiösen und gesellschaftlichen Lebens.

Ozeanien. Schädelmasken und ­Übergangswesen
Die Regionen Ozeaniens werden oft mit magischen Ritualen in Zusammenhang gebracht. Es überrascht daher nicht, dass auch auf den zahlreichen Inseln die besondere Wertschätzung des Kopfs und des Schädels eine große Rolle spielt. Dekorierte und übermodellierte Schädel werden zum Gedenken an die Ahnen hergestellt. Sie zeigen nicht den Zustand des Lebenden, sondern sein Übergangsstadium in die Welt der Vorfahren.

Mittel- und Nordamerika. Fruchtbarkeitsrituale, Schädeljuwelen und Skalpe
Im Denken und Fühlen der Menschen Mittelamerikas zeichnet sich der Kopf als Sitz von Lebenskraft aus. Die wohl populärsten Darstellungen des menschlichen Schädels in Mittelamerika sind die von Mythen umrankten Kristallschädel. Trotz der Tatsache, dass sie in der Zwischenzeit als Fälschungen entlarvt wurden, haftet ­ihnen immer noch der Glanz des Geheimnisvollen an. Für Nordamerika sind da­gegen die Skalpe der Besiegten das prominenteste Beispiel für den Kopfkult.

Südamerika. Schrumpfköpfe und ­Kopfdeformationen
Synonym für einen Kopf- und Schädel-kult in Südamerika sind sicherlich die Schrumpfköpfe. Obwohl sie nur von einer kleinen Volksgruppe im Süden Ecuadors hergestellt wurden, sind sie weltweit bekannt. Als Talisman fanden sie Verwendung auf der Jagd.
In gewissen Gegenden Südamerikas waren auch unterschiedliche Arten der Kopf­deformation bekannt. Mit verschiedenen Hilfsmitteln brachte man den Kopf kleiner Kinder in eine runde oder lang gestreckte Form.

Europa. Verehrt, angebetet und ­gesammelt
Unübertroffen scheint die Verehrung des menschlichen Schädels im historischen Europa zu sein. Kunstvoll bemalte Schä-del in Beinhäusern zeugen ebenso davon wie die kostbaren Reliquien verschiedener Heiliger in Kirchen und Klöstern.
Die Geschichte der wissenschaftlichen Schädelsammlungen sowie die Rassenkunde sind weitere Themen in der europäischen Kulturgeschichte, die den menschlichen Kopf betreffen.

Faszination Schädel heute
In Mexiko ist der Día de los Muertos (der Tag der Toten) am 1. November – das Fest zum Gedenken an die Verstorbenen – ein buntes Volksfest. In vielen Schaufenstern stehen Totenschädel aus Zucker und Schokolade, die häufig die Namen der Toten auf der Stirn tragen.
Ein anderes Beispiel für eine moderne „Schädelverehrung“ ist die Verwendung des Totenkopfsymbols in der Gothic-Szene.

Forschung
Wesentliche Erkenntnisse aus einem interdisziplinären Forschungsprojekt des German Mummy-Projekts an den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim und der Universität Freiburg werden ebenfalls in der Ausstellung thematisiert. Besondere Beachtung gilt dabei den übermodellierten Schädeln und Schädelmasken aus Ozeanien. Mittels CT-Scans und CT-Daten werden digitale Gesichtsrekonstruktionen durchgeführt. So können mögliche Ähnlichkeiten der Masken mit den Verstorbenen eruiert werden. Dazu werden eindrucksvolle CT-Animationen in der Ausstellung präsentiert.
Einzelne Aspekte der Gehirnforschung werden während der Ausstellung durch Vorträge von namhaften österreichischen Medizinern und Wissenschaftlern thematisiert.
Gegenwärtige Standpunkte der Auseinandersetzung mit der Faszination Schädel sind in der Begleitausstellung „Streetart” zu sehen, die vom 26. April bis 31. August 2013 im Kunstraum in Leoben stattfindet. Der Hamburger Fotograf Peter Fritz hat sich auf die Suche begeben und Schädelabbildungen aller Art fotografisch festgehalten. Eine Auswahl aus seiner riesigen Schädelfotosammlung wird auch in Leoben gezeigt.

FASZINATION SCHÄDEL – Der Kult um den Kopf
11. Mai bis 1. Dezember 2013, täglich 9–18 Uhr

Informationen

Kunsthalle Leoben

Kirchgasse 6, A-8700 Leoben

www.schaedelkult.at

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