Architektur mit dramatischen Eigenschaften
Wer meinte, den dortigen quaderförmigen, sandsteinfarbenen Bau betreten zu dürfen, der mit seinem gläsernen Obergeschoss die Alte Pinakothek in die Moderne spiegelt, der täuschte sich! Es geht nach unten, tief nach unten: Ausgräbern gleich, steigen die Besucher 36 Stufen hinunter und betreten durch eine gezielt schmale Tür aus Tombak, stark kupferhaltigem Messing, eine unter der Erde liegende Grabkammer voller Schätze. Das ist Baudramaturgie vom Feinsten. Sie stammt vom Reißbrett des Kölner Architekten Peter Böhm. Dieser Meister der Platzausnutzung gruppierte einen zweigeschossigen unterirdischen Bau aus Beton und Glas um einen 38 Meter langen Lichthof. So fällt auch noch 11 Meter unter der Erde großzügig natürliches Licht in die überhohen Säle – wenn auch nicht in alle.
Sensationelle Exponate
2000 Objekte hat die Direktorin des Museums, Dr. Sylvia Schoske, aus den 8000 der Sammlung ausgewählt und zu 13 thematischen Einheiten zusammengefasst: Einer der Räume trägt den Titel „Kunst und Form“. Er behandelt den stilistischen Wandel im Verlauf der verschiedenen ägyptischen Herrscherdynastien. Ein anderer, leider sehr voller Raum führt das Thema „Schrift und Text“ aus, ein dritter den „Jenseitsglauben“. In diesen Räumen entfaltet sich der immense Reichtum aus den Magazinen. Da stehen hinter Glas nicht, wie früher, nur vier Uschebtis, Statuetten, die in der Unterwelt Arbeit für den Toten verrichten sollten, sondern etwa 100 – in unterschiedlichsten Größen, Formen und Materialien. Die exquisit bemalten Holzsärge, schon in der Residenz ein Höhepunkt, ergänzen nun ein Sarkophag, ein bemalter Kastensarg, ein leinenes Mumientuch, ein Perlennetz als Mumienauflage, ganze Reihen von Mundöffnungsgeräten, Skarabäen, Schutzamuletten und, und, und. Sogar eine Herde kleiner Kühe hat dort Platz gefunden: Ihr Besitzer wollte im Jenseits nicht auf Hornvieh verzichten. Die Fülle wie die Verschiedenheit der Exponate lassen spürbar werden, wie immens hoch der Stellenwert der Jenseitsfürsorge im alten Ägypten war.
Neben Fülle bietet das neue Domizil jedoch endlich auch den Raum für so reizvolle wie lehrreiche Überraschungen. Die Abteilungen „Ägypten in Rom“ und „Nach den Pharaonen“ zeichnen historische Entwicklungslinien nach: wie sich der ägyptische Kult im antiken Rom ausbreitet und zum Vorbild für die christliche Ikonografie wird. Eine Isis aus Bronze, die ihrem Sohn Hapokrates die Brust gibt, könnte als Marienfigur durchgehen. Priestergewänder aus dem frühchristlichen Ägypten lassen staunen, nicht nur wegen ihres großartigen Erhaltungszustands.
Der Raum „Nubien und Sudan“ verortet das Umfeld, vor dem die ägyptische Kultur sich entfaltet: „Die Keramik war im Sudan schon um 5000 vor Christus hoch entwickelt. Da wusste noch kein Ägypter, wie man einen Topf macht“, so der Ägyptologe Prof. Dr. Dietrich Wildung. Aus dem Sudan stammt auch eine im vergangenen Jahr vom deutschen Grabungsteam in Naga gefundene Dauerleihgabe, welche die bisherige Sammlung aufs Schönste komplettiert: eine Stele der meroitischen Königin Amanishaketo. Ihren Goldschmuck aus Siegelringen, Ohrgehängen und Oberarmbändern erwarb Ludwig I., der Begründer der Ägyptischen Sammlungen, 1839. 174 Jahre später kommt nun ein Abbild der Trägerin hinzu – ein archäologischer Glücksfall.
Gelungener Auftritt bei aller Vielfalt
Dass all diese fantastischen, frisch restaurierten Objekte bestens zur Geltung kommen, verdankt das Museum den Münchner Innenarchitekten Raißle und Sieber. Ihr Büro Die Werft umgab die Exponate mit knapp 3 Meter hohen, schlanken Glasvitrinen. So gelangen auch kleinste Köpfe zur Geltung, optisch entstehen Einheitlichkeit und Ruhe. Schwarze Stahlplatten hinterlegen die frei an den Wänden stehenden Skulpturen und geben ihnen so einen – perfekt ausgeleuchteten – Rahmen. Eine Leitlinie und Raumtexte, ebenfalls aus Tombak, sorgen dafür, dass der Besucher die Atmosphäre der labyrinthischen Grabarchitektur erfährt, ohne verloren zu gehen. Daneben schuf Die Werft technische Vermittlungsleistungen der Sonderklasse: An ihren Medienwürfeln und mithilfe ihrer Multimediaguides kann jeder Besucher selbst entscheiden, wie viel er über die Exponate erfahren will. Auch das Konzept für einen „Übersetzungsschlitten“ stammt von den Gestaltern: Dank ihm kann man die Bilder und Zeichen des Ägyptischen Totenbuchs auf einer 8 Meter langen Papyrusrolle deuten, ohne Ägyptologie studiert zu haben.
Text: Gabriele Hoffmann
Informationen
Staatliches Museum ägyptischer Kunst
Gabelsbergerstraße 35, D-80333 München
Tel. +49 (0) 89/2892 7630
Di 10–20 Uhr, Mi–So 10–18 Uhr
http://www.smaek.de
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