In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hat sich nach anfänglicher Dominanz der Abstraktion und in Abkehr von jeder einfachen, unreflektierten Realitätssicht in Paris wie vorher schon in Wien oder zeitgleich auch in Prag und anderswo eine im weitesten Sinn figurative Kunstauffassung entwickelt, die von dem Kunstkritiker und Schriftsteller Michel Random als l’art visionnaire, als „visionäre Kunst“, bezeichnet worden ist. Ihre Ursprünge liegen zu einem guten Teil in der Nachkriegsentwicklung des Surrealismus, von dem sie sich jedoch schon im Ansatz in ihrem Anliegen, in Anspruch und Umsetzung unterscheidet.
Ihre Kennzeichen sind imaginatives Herangehen, metaphysische Wesensschau, Subjektivität und Innerlichkeit in der Wiedergabe der Erscheinungen und eine komplexe Realitätssymbolik, welche die Totalität eines ganzen Weltbildes in poetischen Metaphern von archetypischer Gültigkeit spiegelt. Sie ist voller Geheimnis und magischer Bildkraft, erschöpft sich jedoch nicht in einer bloßen Wiedergabe von Traumgesichten und Exaltationen esoterischer Fantastik, sondern verweist auf grundlegende Seinserfahrungen und die zeitgenössische Wirklichkeit wie deren widerstreitende Möglichkeiten, Krisen und Perspektiven.
Um solches leisten und Visionen von existenzieller Dimension formulieren zu können, bedarf es einer vollendeten Beherrschung der künstlerischen Mittel, wobei für die „Französische Schule“ vor allem die Tradition von Callot über Piranesi bis zu Bresdin, Hugo, Meryon, Redon und Doré vorbildhaft scheint.
Die Ausstellung umfasst insgesamt 150 Werke von 14 ausgesuchten Meistern, deren Schaffen mehr als ein halbes Jahrhundert umspannt. Als eigenständige Strömung ist die visionäre Kunst in Frankreich eine Entwicklung der 60er-Jahre, die in den 70er- und frühen 80er-Jahren zur Blüte gelangte, doch bis heute modifiziert fortwirkt. Erstmals überhaupt wird nun die „Schule visionärer Grafiker von Paris“ als eigenständiger Beitrag Frankreichs zur figurativen Kunst der Gegenwart im deutschsprachigen Raum einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert.
Text: Gerd Lindner
Die Künstler der Ausstellung
Hélène Csech, Dado, Érik Desmazières, Yves Doaré, François Houtin, Le Maréchal, Étienne Lodého, François Lunven, Alain Margotton, Jean Michel Mathieux-Marie, Didier Mazuru, Georges Rubel, Gérard Trignac, Jean-Pierre Velly.
bis 9. September 2012
Informationen
Panorama Museum
Am Schlachtberg 9
D-06567 Bad Frankenhausen
Tel. +49 (0) 346 71/61 90
Di–So 10–18 Uhr
www.panorama-museum.de
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