Das diesjährige Ausstellungsprogramm des Buchheim Museums kennzeichnet zwei Aspekte. Zum einen werden besondere Einzelstücke und Werkgruppen aus den Buchheim’schen Sammlungen gezeigt, die wahre Neuentdeckungen sind. Zum anderen werden erstmals Leihgaben aus anderen Sammlungen zu sehen sein, die das Spektrum des Hauses um neue Akzente bereichern. Inhaltliche Ansätze und Schwerpunkte, die in der eigenen Kollektion angelegt sind, werden ergänzt, ausgebaut, weiterverfolgt und weitergesponnen …
Karl Schmidt-Rottluff: Die Holzstöcke –Werke aus dem Brücke Museum Berlin
„Karl Schmidt-Rottluff hat nicht nur ein bedeutendes malerisches Werk hinterlassen“, so Magdalena M. Moeller, „sondern er ist auch einer der herausragenden Druckgrafiker des Expressionismus. Insbesondere sein Holzschnittschaffen liefert einen ganz entscheidenden Beitrag zur Grafik der Moderne am Beginn des 20. Jahrhunderts.“
1975 übereignete Karl Schmidt-Rottluff dem Brücke Museum über 200 Holzstöcke als Geschenk, das seitdem über einen einzigartigen Schatz verfügt. Kürzlich wurden diese Holzstöcke, von denen der Künstler per Hand vorwiegend nur einige wenige Exemplare abzog, restauriert und erstmals in einer Ausstellung im Brücke Museum präsentiert. Es freut uns besonders, dass wir 30 dieser wertvollen Unikate nun im Buchheim Museum zeigen können.
Die ausgewählten Holzstöcke aus dem Brücke Museum und die dazugehörigen Holzschnitte, also die Abzüge auf Papier, stammen aus dem Zeitraum von 1905 bis 1920. Damit können in dieser Schau
die künstlerische Entwicklung von Karl Schmidt-Rottluff, der Wandel seines Stils und die unterschiedliche Handhabung der Holzschnitttechnik von den Anfängen bis in die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg unmittelbar nachvollzogen werden. Einzigartig ist dabei – dank der Leihgaben aus dem Brücke Museum – die Gegenüberstellung von Holzstock und Druck. Vor allem aber ist die Begegnung mit originalen Holzstöcken ein besonderes Kunsterlebnis, in dessen Genuss man äußerst selten kommt, zumal wenige Holzstöcke von anderen „Brücke“-Künstlern erhalten sind.
Anfänglich hatte Schmidt-Rottluff kaum Interesse, die Eigenheiten des Langholzes, wie etwa den Verlauf der Maserung, als Ausdrucksmittel zu nutzen. Der frühe Holzschnitt Bäume im Winter (1905 oder früher), der im Übrigen zusammen mit dem dazugehörigen Holzstock als Geschenk von Erich Heckel ins Brücke Museum gelangte, zeigt zwei asymmetrisch ins Bild gesetzte Bäume auf weißem Grund, deren Erscheinung auf ein bewegtes schwarzes Lineament reduziert ist. Das an ostasiatischen Vorbildern geschulte Werk ist aufgrund seiner vereinfachten Formensprache beeindruckend. Frappierender jedoch ist allerdings der Vergleich von Holzstock und Holzschnitt. Denn der Holzstock gewinnt durch dynamische Schnittlagen in den Feldern, die im Abzug als weiße Fläche erscheinen, eine an Flachreliefs erinnernde Qualität. Hier wie beim Liegenden Akt (1906) schneidet Schmidt-Rottluff mit der V-förmigen Klinge des Geißfußes tief in das Holz ein. Der lineare Charakter dieser Darstellungen verliert sich, als er nach einer zweijährigen Pause das Holzschnittverfahren wieder aufgreift und mit anderen Messern, insbesondere dem Hohleisen, schabend und schneidend gegen die Faser arbeitet, um malerische Strukturen zu erzielen. In Arbeiten wie Haus hinter Bäumen (1911) und Abendunterhaltung (1911) hat er diese kleinteilige Arbeitsweise überwunden, konzentriert sich auf großflächige Wirkungen und lässt die Ästhetik des Holzes sprechen. Kraftvolle Schnittführung und kammartige Strukturen kennzeichnen die gesteigerte Expressivität der Holzschnitte insbesondere ab 1912/13 – manche Holzstöcke, wie der freigestellte Kopf von Mutter (1916), erreichen skulpturale Qualität. Ausgestellt ist auch ein nicht ausgeführter Holzstock mit einer Motivskizze, der unmittelbaren Einblick in Schmidt-Rottluffs Arbeitsweise gibt.
8. Juli bis 7. Oktober 2012
Von der sinnlichen Lust am Gesehenen – unbekannte Schätze aus der Buchheim’schen Expressionistensammlung
Tatsächlich gibt es in den Beständen von Bildern, Zeichnungen und Druckgrafiken deutscher Expressionisten, die Lothar-Günther Buchheim zusammengetragen hat, immer wieder Neues zu entdecken. Auf den Rückseiten von drei Gemälden, die von Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff gemalt wurden, befinden sich beispielsweise Bilder, die bislang noch nie für Besucher zugänglich waren. Auch tauchte auf der Rückseite eines Aquarells von Ernst Ludwig Kirchner eine locker niedergeschriebene Zeichnung auf. Freilich muss man sich angesichts dieser Werke fragen, warum die Künstler diese auf die Rückseite verbannten: Waren sie mit der Arbeit, dem Gemälde oder der Zeichnung, nicht zufrieden und verwarfen also das Geschaffene? Oder war es lediglich Materialknappheit, die sie bewog, beide Seiten von Leinwänden oder Papieren zu nutzen, was bedeuten könnte, dass keine Wertung mit den Werken verbunden war? Möglicherweise wurde ein Urteil erst später getroffen und dann gar nicht vom Künstler selbst, sondern von einem Sammler oder einem Kunstwissenschaftler, der die Rückseite der Vorderseite vorzog oder sie für bedeutender hielt? – Wir zeigen in unserer Ausstellung nun beide Seiten, die Vorder- und die Rückseite, recto und verso, stellen sie zur Diskussion und gewähren damit gleichzeitig einen Einblick in die Werkstatt der Künstler. Die fraglos beeindruckendste Entdeckung ist dabei Erich Heckels farbintensives Gemälde Zimmer mit Akten (1910).
Noch unmittelbarer wird der Zugang zur Arbeitsweise von Ernst Ludwig Kirchner aber durch einen weiteren, noch nie präsentierten Schatz, den Lothar-Günther Buchheim wie seinen Augapfel hütete und in seinem Haus barg. Es handelt sich um eine Reihe von Skizzenbuchblättern von Kirchner, die aus den Dresdner, Berliner und Davoser Jahren stammen.
Einige Motive sind unmittelbar an den Moritzburger Teichen entstanden, wo vorwiegend Kirchner und Heckel, aber auch Pechstein sich mit den Modellen aufhielten und Szenen des freien Lebens in der Natur notierten. Viele Zeichnungen kreisen um Kirchners zentrales Thema Tanz: um tanzende Paare, um Auftritte von Solisten oder weiblichen Tanzgruppen. Zahlreiche Blät-ter sind Notationen von Akrobaten- und Clownsnummern, die Kirchner in Varietés, womöglich auch im Zirkus machte. Aber er hielt auch Motive der Dresdner Stadtlandschaft fest sowie Menschen in Lokalen und das Leben auf der Straße. Und als er in der Schweiz lebte, beschäftigten ihn die Welt der Bauern – ihre Tiere, ihr Arbeitsalltag –, die ihn umgebende Natur sowie moderne Sportarten. Höhepunkt der Schau sind fraglos zwei Skizzen mit Berliner Straßenszenen.
Kirchner selbst maß der Skizze grundlegende Bedeutung bei, ja er betrachtete Zeichnung und Skizze als „besten Prüfstein für die künstlerische Arbeit des Bildenden“. Laut Wolfgang Henze sind insgesamt 11 000 Skizzen von Kirchner bekannt. 1927 schreibt Kirchner über sich und seine Skizzen: „Ich habe noch nie einen so rastlos arbeitenden Künstler wie Kirchner gesehen … Wo er geht und steht, arbeitet er … Seine Zeichnungen sind in der Tat Notizen, die er sehr rasch hinwirft, so, wie man etwas aufschreibt. Ein Blatt bedeckt sich schnell mit großen zusammenhängenden Strichen, einer grafischen Einheit, in der alle Formen eng verbunden sind.“
8. Juli bis 7. Oktober 2012
Text: Clelia Segieth
Informationen Buchheim Museum der Phantasie
Am Hirschgarten 1, D-82347 Bernried
Tel. +49 (0) 81 58/99 7 00
April bis Oktober: Di–So und Fei 10–18 Uhr
November bis März: Di–So und Fei 10–17 Uhr
www.buchheimmuseum.de
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