Richard Strauss’ Die Frau ohne Schatten, Die Sache Makropulos von Leoš Janáček und Verdis Macbeth sind die drei Opernpremieren des diesjährigen Salzburger Festspielsommers. Weder Die Frau ohne Schatten noch Die Sache Makropulos zählt zu den häufig gespielten Stücken des Opernrepertoires – nicht zuletzt aufgrund der Herausforderungen an die Besetzung. Und Verdis Adaption von Shakespeares Macbeth hat vor allem erst in den letzten 15, 20 Jahren verstärkt Interesse auf sich gezogen. Was die drei Werke darüber hinaus miteinander verbindet, fällt nicht gleich ins Auge und berührt doch Themen, die ästhetisch und inhaltlich zur Salzburger Festspieldramaturgie gehören.
In all diesen Werken geht es nicht mit rechten Dingen zu, scheint es; Zauberei und Hexenwesen haben entscheidende Folgen für die Handlung. Alle drei Werke imaginieren Kräfte außerhalb der alltäglichen Realität und handeln von einer Wirklichkeit, die angesichts einer mehr oder weniger als begrenzt und eng empfundenen menschlichen Existenz sowohl Bedrohung als auch Verheißung bedeuten kann. Magie wie auch ihre wissenschaftliche Schwester, die Alchemie, haben das Ziel, den Übergang von einem Zustand in den anderen zu bewirken; ihr Thema ist die Transformation oder Verwandlung.
Die Frau wirft keinen Schatten …
Geradezu eine Hymne an die Verwandlung als das Geheimnis des Lebendigen schlechthin ist Die Frau ohne Schatten von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss. Ihre vierte gemeinsame Oper sollte, so wünschten beide, die Krönung ihrer kongenialen Zusammenarbeit werden. Die Idee dazu, das „reiche Geschenk einer glücklichen Stunde“, stellte Hofmannsthal Strauss 1911 in einem Brief als „Zaubermärchen“ vor: „… es verhielte sich, beiläufig gesagt, zur Zauberflöte so, wie sich der Rosenkavalier zum Figaro verhält: Das heißt, es bestände hier wie dort keine Nachahmung, aber eine gewisse Analogie.“ Zentrale Figur der Oper ist die Tochter des Geisterfürsten Keikobad, die der Kaiser der südöstlichen Inseln auf der Jagd nach einer Gazelle erbeutet und zur Frau gewonnen hat. Doch nicht ganz, denn die Kaiserin „wirft keinen Schatten“, das heißt, dass sie kein Kind erwartet – und noch nicht ganz Mensch geworden ist. Hat sie nach 12 Monaten keinen Schatten, muss sie ins Geisterreich zurückkehren, der Kaiser aber wird versteinert. Um das zu verhindern, bittet die Kaiserin ihre Amme aus dem Geisterreich um Hilfe: Diese steigt mit ihr hinab in die niedrige Welt der Menschen. Die Frau des Färbers Barak, unzufrieden mit ihrem Leben, lässt sich gern von Zaubereien der Amme betören, die ihr ein schöneres, glanzvolles Leben vorgaukeln – im Austausch gegen ihren Schatten und die Möglichkeit, Kinder zu bekommen. Die Kaiserin begreift, dass sie den Schatten auf Kosten des Lebensglücks des Färberpaars gewinnen würde; zugleich sieht sie, wie der Kaiser schon versteinert. In einem großen inneren Kampf verzichtet sie darauf, den Schatten an sich zu nehmen. Auf geheimnisvolle Weise löst sie damit den Bann, der den Kaiser gefesselt und das Färberpaar getrennt hielt, und in einer Apotheose feiern die beiden liebenden Paare und ein Chor der ungeborenen Kinder die Hingabe an das Leben mit seinen Verwandlungen.
Geisterfürst, Falke, Wasser des Lebens
Die Märchenstücke Carlo Gozzis (die ja auch Turandot und andere Opern inspirierten), das durch E. T. A. Hoffmann bekannte Schattenmotiv von Peter Schlehmil, Goethes Gedicht „Die Geheimnisse“ und eine Erzählung aus 1001 Nacht sind die wichtigsten Quellen, aus denen Hofmannsthal schöpfte, und er verschmolz Elemente von Märchen und Mysterienspiel, goethesche Weltdeutung und Ideen Nietzsches zu diesem Projekt, von dem er selbst sagte, es könnte „die schönste aller existierenden Opern“ werden. Auch an theatralischen Effekten sparen die beiden Autoren nicht: Der Kontrast zwischen Geister- und Menschenwelt, zwischen „hohem“ und „niedrigem“ Paar und ihren verschiedenen Sphären, der sich in unterschiedlichen Orchesterbesetzungen widerspiegelt, und Schauplätze wie ein Pavillon im kaiserlichen Garten, die Hütte des Färberpaars und ein Geistertempel wecken märchenhafte Assoziationen und beflügeln die Fantasie.
Verwandlung als Inbegriff der menschlichen Existenz
Doch das Motiv der Verwandlung ist mehr als eine Herausforderung an Theaterzauber und Ausstattungskunst. Existenziell verstanden, ist Verwandlung ein zentraler Begriff für Hugo von Hofmannsthal wie auch für das Verständnis von Goethes Werk und somit geradezu ein Leitmotiv für die Salzburger Festspiele vom Jedermann bis zur Zauberflöte. Vor gut 100 Jahren, als die Festspiele noch nicht gegründet waren, doch die ihnen zugrunde liegenden Ideen schon gärten, ersehnten Denker und Künstler den Ausbruch aus der Stagnation überlebter Gesellschaftsstrukturen und beschworen das Lebensprinzip der Verwandlung mit einer Emphase, die uns Heutige oft merkwürdig berührt, fast befremdet – vielleicht gerade deshalb, weil wir in unserem Lebensalltag inzwischen unablässigen, oft als zu schnell empfundenen Veränderungen unterworfen sind, die wir mit Prozessoptimierung und Change Management zu bewältigen suchen. Und wenngleich der Begriff der Verwandlung vor allem die innere – psychische, auch spirituelle – Wirklichkeit und Erfahrung meint, ist die gesellschaftliche Existenz doch darin einbezogen, und die Verwandlung etwa in der Frau ohne Schatten beschwört eine utopische Einheit, in der alles aufgehoben ist – Körper, Geist und Seele, innen und außen, das Ich und die Anderen, Individuum und Gesellschaft.
Die letzte romantische Oper
Vier Jahre rangen Dichter und Komponist um Die Frau ohne Schatten, beide im Bewusstsein, etwas Außerordentliches zu schaffen, aber auch mit Widerständen und unterschiedlichen Auffassungen in Detailfragen, insbesondere beim dritten Akt. Der Komponist wollte mehr Text, wo der Dichter schon alles gesagt sah; bei der musikalischen Ausgestaltung von Kaiser, Kaiserin und Amme vermisste Strauss „die roten Blutkörperchen“ seines Rosenkavalier-Terzetts und schrieb schließlich an Hofmannsthal: „Ich werde mir noch jede Mühe geben, den III. Akt in Ihrem Sinne zu formen, aber wir wollen den Entschluss fassen, Die Frau ohne Schatten sei die letzte romantische Oper“ (1916). Drei Jahre später, erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, wurde Die Frau ohne Schatten schließlich uraufgeführt – an der Wiener Staatsoper, kurz danach folgte das Nationaltheater in München. Doch erst Clemens Krauss’ erste Salzburger Aufführung 1932 brachte den Durchbruch für das in jeder Hinsicht anspruchsvolle Werk.
Seither hat Die Frau ohne Schatten an größeren Opernhäusern einen festen Platz und stellt immer wieder eine Herausforderung für Regie, Sänger und Orchester dar. Die Partitur, aus Leitmotiven dicht gewebt, ist äußerst komplex, dabei suggestiv (man denke nur an das Falkenmotiv). Die Aufführungen mit dem gefeierten Strauss-Dirigenten Christian Thielemann am Pult der Wiener Philharmoniker und einer exquisiten Sängerbesetzung versprechen, ein außerordentliches musikalisches Ereignis zu werden – zumal mit durch das Mahler-Jahr geschärften Ohren. Genauso gespannt sein darf man auf die Inszenierung: Christof Loy, der in Salzburg zuletzt das Händel-Oratorium Theodora auf die Bühne brachte, hat nicht nur bereits Rosenkavalier und Ariadne inszeniert, sondern auch die strausssche „Opera domestica“ Intermezzo, die mit der Frau ohne Schatten mehr zu tun hat, als auf den ersten Blick ersichtlich ist (auch weil ihre weibliche Heldin ebenso wie die Färbersfrau von Strauss’ Ehefrau Pauline inspiriert wurde). Die psychologische Genauigkeit von Loys Regiearbeiten lässt erwarten, dass bei dieser Frau ohne Schatten nicht allein die Ausstattung regiert. Wie Regisseur Christof Loy, Bühnenbildner Johannes Leiacker und Kostümbildnerin Ursula Renzenbrink die märchenhaften Züge dieser Oper mit ihren symbolischen Bedeutungen auf die Bühne bringen, ist ab 29. Juli im Großen Festspielhaus zu erleben.
Eine 300-jährige Heldin
Um Verwandlung geht es auch in Věc Makropulos (Die Sache Makropulos), einer späten Oper von Leoš Janáček, mit der die Salzburger Festspiele ihren vorbildlichen Janáček-Zyklus fortsetzen. Christoph Marthaler und Anna Viebrock erarbeiten wieder die Inszenierung, Esa-Pekka Salonen hat die musikalische Leitung über. Mit Angela Denoke, der faszinierenden Salzburger Katja Kabanowa, gibt es eine überragende Sängerdarstellerin für die Hauptfigur der Oper. „Eine 300-jährige Schönheit – und ewig jung –, aber ihr Gefühl ist ausgebrannt! Br! Kalt wie Eis!“, beschreibt Leoš Janáček die Heldin seiner 1923 begonnenen Oper. „Aber ich werde sie erwärmen, damit die Leute Sympathie für sie empfinden. Ich könnte mich immer noch in sie verlieben.“ Diese merkwürdige Heldin ist eine gewisse Emilia Marty, eine gefeierte Sängerin. Sie schaltet sich in einen über Generationen ausgetragenen Rechtsstreit, eben die „Sache Makropulos“, ein. Es geht um das Erbe der Familie Prus, das ein gewisser Gregor beansprucht, der sich jedoch nur auf eine mündliche Verfügung stützen kann. Emilia Marty verrät, wo sich ein Testament befindet, das Gregors Anspruch stützt, und will zugleich ein ebenfalls dort befindliches griechisches Dokument an sich bringen. Es enthält das Rezept für ein Lebenselixier, das ihr Vater vor 330 Jahren an ihr erprobt hat und dessen Wirkung nun, wie sie spürt, nachlässt. Denn Emilia Marty ist Elina Makropulos – und Ekaterina Myschkin und Elian McGregor … Immer wieder neue Männer verlieben sich in sie, einst der Vater jenes Gregor und jetzt auch die Prozessbeteiligten Albert Gregor, Jaroslav Prus und dessen Sohn Janek, doch sie ist der Verehrer überdrüssig. Denn die vielen Leben haben sie verhärtet und ausgebrannt, sie empfindet nichts mehr für andere und bleibt ungerührt, selbst als sich der junge Janek ihretwegen umbringt. Ihr einziges Ziel ist, das Elixier wiederzugewinnen. Doch je näher sie ihrem Tod kommt, desto menschlicher wird sie, desto mehr öffnet sie sich der Empfindung: Zuletzt verschenkt sie die Rezeptur für das Elixier und stirbt. Das Dokument verbrennt.
Die letzte große Verwandlung
Der Tod als letzte große Verwandlung, als Voraussetzung, um wirklich und wahrhaft Mensch zu sein – dieses Motiv erinnert an Hofmannsthals und Strauss’ Ariadne, die sich der Liebe des Bacchus nur öffnet, weil sie ihn für den Tod hält, und auch an das Schicksal von Kaiser und Kaiserin. In ihrem erschöpfend unaufhörlichen Leben beneidet Emilia Marty alias Elina Makropulos die gewöhnlichen Sterblichen, die nur als „Dinge und Schatten“ existieren, weil sie in ihrem kurzen Leben Wert und Sinn finden können, die ihr entglitten sind. Janáčeks Oper beruht auf einem Schauspiel von Karel Čapek, das der Komponist 1922 sah: Das zeitkritische Stück entzündete damals eine Diskussion über biologische Forschung und technischen Fortschritt; sein Autor schrieb mehrere utopisch-fantastische Romane und brachte unter anderem den Begriff „Roboter“ in den Sprachgebrauch. Janáček aber interessierte sich – wie auch im Schlauen Füchslein – vor allem für den Kreislauf von Werden und Vergehen, den Konflikt zwischen Materialismus und dem Lebendigen und für die psychologische Entwicklung seiner Protagonistin. „Eine 330-jährige Frau, die noch jung und schön ist. Möchten Sie das auch sein? Und können Sie sich vorstellen, dass sie unglücklich war?“, schrieb Janáček an seine junge Geliebte. „Wir sind glücklich, weil wir wissen, dass unser Leben nicht lange währt. Deshalb ist es notwendig, jeden Augenblick zu nutzen, und richtig zu nutzen.“
Die Verweigerung des Lebens
Die Angst, in dem kurzen Leben nicht zu erreichen, was man doch unbedingt erreichen will: Reichtum und Macht – diese Obsession treibt Macbeth an, vor allem aber seine Lady. Hexen prophezeien dem siegreichen Feldherrn einen steilen Aufstieg, und kaum vernimmt Lady Macbeth die Kunde, plant sie schon die Ermordung des Königs. Sie traut dem Gang des Lebens nicht, sie muss dem Schicksal auf die Sprünge helfen. Doch das ist die Handlungsweise, die von einem Mann erwartet und bei einer Frau verurteilt wird; deshalb ist Macbeth ein Tyrann und Mörder, der Lady aber haftet das Signum des Teuflischen an. „Entweibt mich“, fordert sie in ihrem Monolog bei Shakespeare, und von Sigmund Freud über Jan Kott bis Marilyn French gilt die Preisgabe des Weiblichen als Schlüssel zum Verständnis der Lady Macbeth. Die Ahnung vom Gang des Lebens mag Hexenwerk sein, sich ihm mit Gewalt entgegenzustellen, zu erzwingen, was sich vielleicht – oder vielleicht auch nicht – entwickelt, erstickt das Leben im Keim. Das männliche Prinzip allein, ohne weibliches Komplement, macht die Welt zum Schlachtfeld. Shakespeares düsteres Psychogramm der Macht wurde im 19. und 20. Jahrhundert mehrfach vertont; eines der jüngsten Werke ist die 2001/02 komponierte Macbeth-Lesart des 1947 geborenen sizilianischen Komponisten Salvatore Sciarrino. Es wird im Rahmen der Reihe „Der Fünfte Kontinent“ am 4. und 5. August konzertant in der Kollegienkirche aufgeführt. Verdis Macbeth ist die einzige (relativ) frühe Oper, die Verdi in seinen späteren Schaffensjahren überarbeitet hat, fasziniert durch ihre Modernität, ihre kontrastreiche und packende musikalische Prägnanz. Peter Stein und Riccardo Muti bringen das Werk in der Fassung von 1865 in der Felsenreitschule heraus, die am 3. August Premiere hat.
Text: Barbara Maria Zollner
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