Der Jedermann, natürlich; die Uraufführung von Peter Handkes neuem Text Immer noch Sturm; ein weiteres neues Stück: Die vier Himmelsrichtungen von Roland Schimmelpfennig; Shakespeares Maß für Maß im Salzburger Landestheater; das Young Directors Project mit fünf Arbeiten von jungen Regisseuren beziehungsweise Theatergruppen, die aus dem üblichen Rahmen des Theaters heraustreten und andere Orte und Formen finden, um mit den Zuschauern in Interaktion zu treten.
Das Schauspielprogramm der Salzburger Festspiele ist vielfältig wie eh und je. Sicher ein Höhepunkt: Goethes Opus magnum Faust als Theatermarathon, wie ihn Peter Stein vor einigen Jahren in Berlin erstmals gewagt hat. Auf der Perner-Insel in Hallein inszeniert Nicolas Stemann der Tragödie ersten und zweiten Teil am Stück. Unter dem Motto „Auf eigene Faust“ bietet der Programmschwerpunkt außerdem eine literarisch-musikalische Reise vom Himmel durch die Welt zur Hölle (Klaus Maria Brandauer und Lars Vogt), Murnaus Stummfilm mit neu bearbeiteter Livemusik (Ensemble Resonanz) und weitere Reflexionen in Wort und Musik (unter anderem mit Daniel Kehlmann, Jon Fosse, Margarete Mitscherlich, Ben Becker und Gustav). Angestiftet von dem lesenswerten Essay des ungarischen Philosophen László Földényi über den Glauben an den Teufel im Festspielprogramm, begeben wir uns auf die Spur von Fausts zwiespältigem Spielgefährten.
Mit dem Bösen wollen wir Heutigen eigentlich nichts zu schaffen haben. Wir sind uns nicht einmal so sicher, ob es
das überhaupt (noch?) gibt, das Böse. (Dem Guten misstrauen wir ja auch. Suggeriert nicht das gern benutzte Wort „Gutmensch“, es sei ebenso einfach wie naiv und damit wenig erstrebenswert, „gut“ zu sein?) Die Bösewichter – die finsteren Gestalten und düsteren Charaktere, die Zyniker und Taschenspieler auf Leinwänden und Bühnen – faszinieren uns. In ihnen erkennen wir uns wieder. Das Böse – kein metaphysischer Abgrund, sondern eine Theaterfigur. Wir begegnen ihm mit Verständnis, ja Sympathie.
Teufel aus der Tiefe
Das war nicht immer so; die weitaus meiste Zeit wurde das Böse im christlichen Abendland als zerstörerische Macht gefürchtet, die nicht nur Leib und Leben – mithin die irdische Existenz – bedrohte, sondern auch die jenseitige, das Seelenheil, kosten konnte. Der Teufel, eine übermächtige Gewalt aus der Tiefe (Tiefe – Teufe – Teufel, so eine von mehreren Herleitungen des deutschen Worts), trachtet danach, den Menschen aus der Gnade Gottes hinabzureißen ins ewige Verderben. Keine Menschengestalt, sondern ein Ungeheuer aus dem Meer, das Züge von Wal, Schlange, Krokodil in sich vereint, so imaginierten babylonische und kanaanitische Mythen den Leviathan, der einer anderen Lesart zufolge im Wort „Taivel“ (Leviat) steckt: die hebräische Bezeichnung für das „sich Windende“, mit dem sich Vorstellungen von Unordnung und Chaos, von Gottferne, Niedertracht und Neid verbinden.
Drachen und Schlange
Mit dem „sich Windenden“ fängt der ganze Schlamassel an, mit der Schlange im Garten Eden, mithin mit dem menschlichen Ungehorsam, Fürwitz und Erkenntnisdurst. Was zu dem Paradox führt, dass eben das Streben nach der Erkenntnis von Gut und Böse als Ursprung des Bösen gedeutet werden kann … Auch wenn das menschliche Bemühen um Erkenntnis Jahrhunderte später ein Stück weit rehabilitiert wird, als Luther dem Teufel ein Tintenfass nachwirft, gelten Wissenschaft und Erkenntnisstreben durch die Zeiten hindurch immer wieder als des Teufels. Mit der Schlange (mal mehr gefährlicher Drache, mal mehr niedriger Wurm) verknüpfen sich Assoziationen des Weiblichen, und so verkörpert sie vor allem den hinterlistigen Aspekt des Bösen: Die Bildgestalt des Versuchers beziehungsweise der Versucherin, in der sich das Schlechte und das Schlüpfrige verbinden, kodiert die Verteufelung der Frau als Werkzeug des Bösen.
Satan und Luzifer
Das Böse als fundamentale Kraft, die sich in Auflehnung, Gewalt und Vernichtung äußert und systematisch den göttlichen Heilsplan hintertreibt, wird meist mit einem anderen Namen bezeichnet: mit dem Satan. Aus dem Hebräischen abgeleitet, entsprechen ihm die deutschen Umschreibungen „der (böse) Feind“ oder „der Widersacher“: Der Satan ist das Gott und seiner Schöpfung entgegengesetzte Prinzip der Zerstörung, er ist der Gegenpol, die Antithese, der Antichrist – und damit jene „Kraft, die stets das Böse will“ … Schon in Christopher Marlowes Tragedy of Dr. Faustus (1589) oder Miltons Paradise Lost (1667) wird Satan mit Luzifer in Verbindung gebracht oder gleichgesetzt: Der gefallene Engel, der sich in Stolz und Machtgier gegen Gott überhoben hat, verkörpert das Gegenteil christlicher Demut. Als Erklärungsmuster und abschreckendes Beispiel für Überhebung und Rebellion gegen die himmlische (und klerikale) Herrschaft entfaltet der Mythos Luzifers schon früh jene Faszination des Bösen, die so modern anmutet.
Der Geist, der stets verneint
„So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, mein eigentliches Element“ – so präsentiert sich Goethes Mephistopheles mit einigen Bedeutungsfacetten seines Namens, der auch
als derjenige, „der das Licht scheut“ oder „der den Gestank liebt“, gedeutet werden kann. Bei Goethe verschmelzen alle möglichen Facetten und Deutungstraditionen des Bösen in einer einzigen Gestalt. Als Geist, der stets verneint, und Gestalt, die alles, was sie behauptet, im nächsten Moment unterläuft, ist die Rolle des Mephis-to zu jeder Zeit eine Herausforderung für die Darsteller – als Projektionsfläche für zeitgenössische Begierden und Ängste. Mephisto darf und muss fast alles sein,
nur nicht langweilig oder eindimensional, darin stimmen die Aufführungskritiken von damals bis heute überein; doch mit dem Zeitgeist verändern sich die Konturen der Figur.
Bocksfuß und Teufelsschwanz
Ausgestattet mit bildkräftigen Attributen des Aberglaubens wie Hörnern, Bocksfuß, Schwefelgestank und Feuerspuk samt der sprichwörtlichen Scheu vor Weihwasser und Drudenfuß, hält der Teufel zunächst in durchaus archaischer Gestalt seinen Einzug auf den Bühnen. Bart und Perücke nachtschwarz, das Kostüm schwarz und rot, wie es die Theatertradition „im Fach der Intriguants“ vorsah, so lauten Louis Schneiders präzise Anleitungen für die Maske und die rechte Bühnenerscheinung von Teufelsgestalten (Berlin 1831) – mit ausgesprochenem Bedauern, dass „einige andere örtliche Eigenheiten des Teufels […] als Hörner, Pferdefüsse und eine gewisse räthselhafte Verlängerung hinterrücks selten auf dem Theater“ vorkämen. Im Unterschied zu manchen seiner Interpreten ist bei Goethe die Ironie von Anfang an dabei: „Das also ist des Pudels Kern, der Kasus macht mich lachen.“
Der Herr der Ratten, Wanzen und Läuse
Als „Herrscher dieser Welt“ (Luther) und überzeugter Materialist propagiert Goethes Teufel das Streben nach irdischer Macht und die Hingabe an den irdischen Genuss als lohnende Lebensziele: ein zugkräftiges Gegenbild zu christlich-asketischem Lebenswandel, bürgerlicher Wohlanständigkeit und Untertanengeist. Das konnte – vor allem in der Frühzeit der Faust-Aufführungen – durchaus volkstümlich derb und deftig geschehen.
„Laufen wir diesem Teufel durch das ganze Gedicht nach, finden wir ihn […] keck und frech und zotig“, notierte der Schauspieler Kurt Seydelmann in den 1830er-Jahren und spielte ihn als orgiastische Urgewalt, als krächzendes Scheusal, einen wahren „Herrn der Ratten, Wanzen und Läuse“ (Herbert Ihering). Doch allzu plakative Verkörperung des faustischen (und menschlichen) „Triebwillens“ stieß alsbald auf Missfallen, die Kritiker mahnten den Verzicht auf Effekt und Spektakel und wetterten wie Ludwig Bechstein gegen Darsteller, die „aus dieser Partie eine Hanswurstrolle“ machen; wieder andere fordern von „Mephisto einen guten Theil Komik“, der „die tragische Wirkung des Faust eher erhöhen“ werde.
Höllenfürst gegen Volksteufel
Rang- und Klassenunterschiede gelten unter Teufeln wie im Publikum, und so setzte sich mit darstellerischer Virtuosität, die „Sophisterei, Lockerheit, List, Lüge, Verschlagenheit, Schadenfreude, Verführungskunst, Hohn und endlich teuflische[n] Triumph“ zum Ausdruck bringt, der Höllenfürst gegen den „derben Volksteufel“ durch.
Mit scharfem Profil und schlanker Gestalt führte er überzeugender das Florett des geistreichen Dialogs und der messerscharfen Argumentation und verwies die bulligen Satyrn und Unterweltsproleten auf ihre Plätze als Dienstpersonal bei der Walpurgisnacht. Dafür gibt es theologische und theatralische Gründe: Die Todsünden formen des Teufels Erscheinung, indem Zorn, Verachtung und Spott seiner Physiognomie die charakteristischen Linien verleihen, während Neid und Geiz dem Körper scharfe Konturen geben.
Artist und Verführer<7strong>
So präsentiert sich der Teufel als eleganter Herr von Welt; auf dem Hut die lodernde Hahnenfeder, glänzt er in der Konversation und bewegt sich ungezwungen bei Hof. Körperliche Agilität bis hin zu artistischer Beweglichkeit setzt sich im Lauf der Schauspielergenerationen und Inszenierungsgeschichte als mephistophelische Grundanforderung durch wie das schwarze Trikot des Tänzers als Grundform des Kostüms, das dann zeit- und szenenbedingt mit Insekten- oder Fledermausflügeln, Pelerinenmantel, Jagdgewand oder höfischem Rock beziehungsweise Frack oder Cut ergänzt wird (als vornehmen Herrn im Varieté imaginiert Tankred Dorst Ende des 20. Jahrhunderts den Teufelsvater seiner Anti-Faust-Figur Merlin).
Zugleich ist der Teufel immer auch ein Komödiant – ein Artist, der Purzelbäume schlägt, mit Taschenspielertricks brilliert und mit Schädeln oder Seelen jongliert. Charakteristisch für diese Mischung ist jenes Gründgens-Lächeln, das Klaus Mann in seinem Mephisto-Roman als „aasig“ bezeichnet. Anhand von historischen Rollenporträts wird deutlich, wie sehr Gründgens die Aufführungstradition geprägt hat: Seit den 1940er-Jahren ähnelt die Mehrzahl der Mephistopheles-Figuren seinem Anti-Pierrot mit hochgezogenen Augenbrauen; geschmeidig, bart- und haarlos, fast androgyn und etwas künstlich harmoniert diese Teufelsgestalt auf wundersame Weise mit der Entwicklung des allgemeinen Schönheitsideals. Konsequenterweise schlüpft dann Ende der 1970er-Jahre Maria Becker als erste Frau in die Rolle Mephistos (und spielte ihren Faust an die Wand).
Rollentausch
„Der Teufel ist der Held des Stücks“, postulierte 1810 Madame de Staël in ihrem Bericht aus Deutschland. Dem widersprach der Schauspieler Ludwig Dessoir: „Das Stück heißt Faust und nicht Mephisto, und die größte Kunst des Mephisto
ist vielleicht, auf Kosten der Hauptrolle nicht zu sehr in den Vordergrund zu treten.“ Besteht auch der metaphysische Antagonismus zwischen Teufel und Gott, so fesselt auf der Bühne doch die Wette von Faust und Mephisto. Als Gegenspieler brauchen und charakterisieren sie einander gegenseitig. Der Kampf tobt im Inneren einer Seele; als „Schatten“ im Sinne Carl Gustav Jungs verkörpert der Teufel Fausts im Dunkeln liegende Seelenanteile. Gelegentlich gab es Inszenierungen, in denen Faust und Mephisto einander gleichen wie Brüder. Mehr und mehr ist aus der Faust-Tragödie eine Tragödie des Teufels geworden: „Dass aber Mephistos Zynismus seine eigentliche Tragik ausmacht, ist der wahre moderne Aspekt, mit dem sich jeder heutige Darsteller dieser Rolle auseinanderzusetzen hat. Denn die Gebrochenheit, die geistige Unbehaustheit, das Vakuum und die Ausgeworfenheit des menschlichen Geists sind Grundthemen …“, schrieb Leopold Lindtberg zu seiner Salzburger Inszenierung von 1961/63. Daran hat sich seither nicht viel geändert, nur treten die Ergebnisse unseres faustischen Weltentwerfens und -verbesserns immer deutlicher zutage: „Am Ende wird nichts gewonnen sein“, schreibt der Dramaturg der Salzburger Faust-Produktion, Benjamin von Blomberg. „Auch wenn die Erde sich hat dienstfertig kolonisieren lassen – eines Tages wird sich die Natur zurückholen, was ihr der teuflische Faust gewaltsam entriss …“ Wie wird dieser Rollenwechsel aussehen?
Text: Barbara Maria Zollner
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