Elektra © Wolfgang SilveriMeistersinger © Rupert LarlDer Intendant der Tiroler Festspiele Erl Gustav Kuhn © Rupert LarlDavide Cabassi © Zoe VincentiElektra: Klytämnestra (Vertraute) © Wolfgang SilveriElektra: Mädchengruppe © Wolfgang Silveri

Tradition auf dem Prüfstand

„Liebe – und dann tu, was du willst“: Was einst Kirchenvater Augustinus riet, kann auch als musikalisches Selbstverständnis von Gustav Kuhn gelten. Die Liebe zur Musik ist von jeher seine Antriebsfeder. Sie führte ihn um die halbe Welt – und ins Passionsspieldorf Erl. Dort finden die von ihm gegründeten Tiroler Festspiele Erl 2010 zum 13. Mal statt.
Mühlgraben 65, A-6343 Erl

„Kultur ist für mich mehr, als eine Schiene zu bedienen“, meint Gustav Kuhn. „Kultur ist Auseinandersetzung.“ Dieser Geist der Auseinandersetzung prägt die Tiroler Festspiele Erl, die Kuhn 1997 als Intendant, Dirigent und künstlerischer Gesamtleiter gründete. Im Juli geht sein „Festival der Auseinandersetzung“ nun in die nächste Runde: Für vier Wochen wird das kleine Dorf Erl im Tiroler Unterland zum Festspielmekka, Gäste von nah und fern reisen an.
Wenn Maestro Kuhn inszeniert und dirigiert, dann stellt er die Tradition auf den Prüfstand. Lange überlieferte und kaum mehr hinterfragte Interpretationsmuster verschwinden, neue, frische Ideen finden Gehör – ans Tageslicht kommt die musikalische Substanz der Werke.
Das Resultat: So mancher Opernfreund reibt sich verwundert die Augen und mag kaum seinen Ohren trauen. Denn die eine oder andere Arie hat er schon so oft gehört, kennt sie fast auswendig – und doch: So klang sie noch nie, so entstaubt, befreit vom Interpretationsballast vergangener Tage, rein und berührend.

Musik als Lebenselixier
Die Liebe zur Musik ist prägend für Gustav Kuhns Leben: Geboren in Salzburg, hatte er mit 25 Jahren zwei Universitätsabschlüsse in der Tasche, begann seine Dirigentenlaufbahn in Istanbul, setzte sie in Neapel, Berlin, Rom, Paris, New York und vielen anderen bedeutenden Opern- und Konzerthäusern der ganzen Welt fort. Dabei hat er nie ein Blatt vor den Mund genommen, wenn es darum ging, die Missstände des Klassik- und Opernbetriebs zu kritisieren. Jungen Musikern würden unnötig Steine in den Weg gelegt, vielversprechende Begabungen administrativen Auswüchsen geopfert. Die Antriebsfeder für sein rastloses kreatives Schaffen, aber auch für seine Kritik ist seine Liebe zur Musik. Sie ist für ihn Lebenselixier und Ansporn zu immer neuer Aktivität, zu Wandlung und Neubeginn.
Ein solcher Neubeginn sind die Tiroler Festspiele Erl. Für ihn einerseits die Verwirklichung eines Lebenstraums, andererseits Ausdruck seines Bestrebens, junge Musiker und Musikerinnen zu fördern. Über die Jahre hat sich so ein Festival von internationalem Ansehen etabliert.
Klassik mit Kontrasten aus Tirol
Dieses Jahr stehen zwei bedeutende Opern auf dem Programm der Tiroler Festspiele Erl: Wolfgang Amadeus Mozarts Zauberflöte wird neu inszeniert, dabei wirken die bühnenerfahrenen Erler Kinder mit und verleihen der Oper jugendlichen Charme. Richard Wagners Fliegender Holländer, die zweite Opernneuproduktion, eröffnet den Zyklus der frühen Werke Wagners, der 2012 abgeschlossen sein wird.
Im Passionsspielhaus erklingen aber auch große symphonische Werke aus Klassik und Romantik: Anton Bruckners Siebte und Ludwig van Beethovens Neunte Symphonie, Mozarts Klavierkonzert Nr. 9, Johannes Brahms’ Deutsches Requiem und Modest Mussorgskis Bilder einer Ausstellung.
Ein wichtiger Programmbestandteil sind auch Werke aus Tirol – originell und noch nie zuvor aufgeführt zeigen sie, welche musikalischen Schätze das Land Tirol bereithält. So interpretiert die Osttiroler Musikbanda Franui Lieder von Gustav Mahler aus zeitgenössisch-tirolerischer Sicht in österreichischer Erstaufführung. Zwei „Orchesterstücke“ des Wiltener Stiftsorganisten Kurt Estermann feiern Premiere – der gebürtige Tiroler setzt Zeichen und lässt aufhorchen.
Eine weitere Uraufführung ist der Einakter Die Hochzeit von Ernst Ludwig Leitner. Die alte Volkssage vom Bräutigam, der von der Hochzeit weg seinen Freund ins Jenseits begleitet, hat der Tiroler Autor und Publizist Alois Schöpf zu einem Opernlibretto verdichtet.

Kammermusik mit preisgekrönten Interpreten
Die Erler Pfarrkirche und das Gasthaus Blaue Quelle sind ebenfalls beliebte Aufführungsorte der Tiroler Festspiele Erl. Dort finden die Erler Kammermusikkonzerte statt, die bis vor Kurzem noch als Geheimtipp galten, sich aber über die Jahre als künstlerisch bedeutende Säule der Tiroler Festspiele Erl etabliert haben.
Das Repertoire reicht dabei von Claudio Monteverdi und Johann Sebastian Bach über Mussorgski, Robert Schumann und Béla Bartók bis hin zu zeitgenössischen Komponisten wie Moritz Eggert, Barbara Romen oder Gregor Mayrhofer. Zu hören sind dabei zum Beispiel Jasminka Stancˇul am Klavier und das tschechische Zemlinsky-Quartett, das im Mai den renommierten „Concours International de Quatuor à Cordes de Bordeaux“ gewonnen hat.
Der weltweit gefeierte Pianist Davide Cabassi ist seit Jahren zu Gast in Erl. 2010 präsentiert er innerhalb des Erler Kammermusikzyklus zum ersten Mal eine eigene Konzertserie: „Cabassi & Friends“. Diese verbindet virtuoses musikalisches Können und eine ganz besondere, nämlich freundschaftliche, Atmosphäre. Für Cabassi eine einmalige Gelegenheit, „auf ganz spezielle, ‚reine‘ Art Musik zu machen“. Auf dem Programm stehen unter anderem Schumanns Carnaval op. 9, Giuseppe Martuccis Klavierquintett op. 45 und Mussorgskis Lieder und Tänze des Todes. Ein besonderes Highlight sind Franz Schuberts Lebensstürme, die Cabassi und seine Frau Tatiana Larionova vierhändig spielen werden.

Specials
Neben Opern, Konzerten und Kammermusik sind die „Specials“ besonders charakteristisch für die Tiroler Festspiele Erl: In diesem Jahr wird das Projekt Spem in alium präsentiert – ein siebenstündiger Vokalmarathon nach der 40-stimmigen Motette von Thomas Tallis. Was eigentlich für 40 Stimmen komponiert ist, die zu einem großen Klanggebilde verschmelzen sollen, wird in Erl von genau zwei Sängern aufgeführt – eine gesangliche und mentale Herausforderung. Schließlich verwandelt sich das Passionsspielhaus in einen Kinosaal, wenn dort Friedrich Murnaus Faust von 1926 mit Livemusik des Schweizer Komponisten und Saxophonisten Daniel Schnyder gespielt wird.

Informationen
Tiroler Festspiele Erl
Adamgasse 1, A-6020 Innsbruck
Tel. (+43-512) 57 88 88-11
[email protected]
www.tiroler-festspiele.at

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