Dennis Russell Davies dirigiert das Bruckner Orchester LinzRudolf Buchbinder interpretiert Johannes Brahms’ aufwühlendes 1. Klavierkonzert, das zu den schönsten romantischen Konzerten derEin a cappella-Auftritt der Kings Singers ist von höchstem Niveau, und sie sind weiterhin eines der begehrtesten Vokalensembles Das phänomenale Schwesternpaar Ferhan und Ferzan Önder spielt Wolfgang Amadeus Mozarts Konzert für 2 Klaviere und Gustav  MahlerFranzobel: Die Seemannsbraut – ein walsinniger Matrosenabend in 12 Knoten und 8 Shantys.

Klassisch anders in der Stahlstadt

Das Brucknerfest 2010 überzeugt mit konziser Programmatik und widmet sich schwerpunktmäßig verfolgten Komponisten, spannenden Grenzüberschreitungen und Werken der Klavierliteratur.
Untere Donaulände 7, A-4010 Linz

Der Untertitel, er gibt den Weg vor. „Klassisch anders“, so meinen unisono Wolfgang Winkler, künstlerischer Leiter der LIVA, und Wolfgang Lehner, kaufmännischer Leiter der LIVA, sei die „Feststellung einer grundsätzlichen Haltung“. Und in der Tat: Im Jahr nach den so spannenden Linz-2009-Veranstaltungen präsentiert sich das Brucknerfest 2010 (12. September bis 5. Oktober 2010) mit einer höchst konzisen Programmatik, in deren Rahmen sich internationale und heimische Positionen auf elegante Weise verknüpfen. Parallel dazu wird selbstverständlich auch das Werk von Anton Bruckner in der Gegenwart verankert – in Form von hochkarätigen Konzerten ebenso wie mittels einer wissenschaftlichen Veranstaltung.

Schwerpunkt Klavier
Drei hochinteressante Schwerpunkte lassen sich im Programm 2010 ausmachen: Zum einen widmet sich das renommierte Festival auf intensive Weise der Klavierliteratur und lädt dazu gefeierte Weltstars an die Donau. Nach der feierlichen Eröffnung im Linzer Brucknerhaus, in deren Rahmen eine Uraufführung von Ingo Ingensand zu erleben ist (mit Martin Achrainer, Bariton), bestreitet etwa Melvyn Tan gemeinsam mit dem Bruckner Orchester Linz unter Dirigent Dennis Russell Davies das Eröffnungskonzert mit der klassischen Linzer Klangwolke (Ludwig van Beethoven: 3. Klavierkonzert, Anton Bruckner: Symphonie Nr. 7). Der junge, hoch talentierte Pianist Herbert Schuch wiederum, der schon mit Pierre Boulez und Alfred Brendel zusammengearbeitet hat, widmet sich gemeinsam mit den Düsseldorfer Symphonikern unter Andrej Borejko Kompositionen von Robert Schumann, der vor 200 Jahren geboren wurde (auf dem Programm stehen zudem noch Gustav Mahlers Blumine und Edvard Griegs 1. Symphonie). Rudolf Buchbinder hingegen interpretiert Johannes Brahms’ aufwühlendes 1. Klavierkonzert, das zu den schönsten romantischen Konzerten der Literatur gezählt werden muss; an diesem Abend mit dem Tonhalle-Orchester Zürich unter Dirigent David Zinman ist zudem Brahms’ 4. Symphonie zu hören. Das phänomenale Schwesternpaar Ferhan und Ferzan Önder schließlich spielt Wolfgang Amadeus Mozarts Konzert für
2 Klaviere und Orchester KV 365/316a (mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Heinrich Schiff; auf dem Programm steht überdies Mahlers 1. Symphonie – auch ihm ist heuer ein Jubiläumsjahr gewidmet).

Diffamiert und verfolgt
Das Klavier bildet auch das Zentrum der musikalisch-literarischen Collage „Erinnern – für die Zukunft“, die Werke von Künstlern versammelt, die von den Nazis verfolgt und unterdrückt wurden. Dieser von Michael Lahr konzipierte Abend, der gleichzeitig einen kleinen Schwerpunkt zur Zeitgeschichte eröffnet, präsentiert daher Kompositionen etwa von Paul Dessau, Hanns Eisler, Vitezslava Kaprálová und Arthur Schnabel sowie Texte unter anderem von Dietrich Bonhoeffer, Bertolt Brecht, Antoni Slonimski, Jura Soyfer und Stefan Zweig (mit Gregorij H. von Leitis, Erzähler, und Dan Franklin Smith, Klavier).
Mit ähnlicher Thematik setzt sich auch ein Programmpunkt unter dem Titel „‚Entartete‘ Musik“ auseinander, der von Anna Maria Pammer (Sopran), Clemens Zeilinger (Klavier) und Erwin Steinhauer (Sprecher) bestritten wird. „Auch für Musik muss es Scheiterhaufen geben“, hetzte 1933 die Zeitschrift für Musik. Damit war die Saat gelegt für die Verfolgung von Kurt Weill, Hanns Eisler oder Friedrich Hollaender sowie für die Diffamierung selbst toter Komponisten wie Gustav Mahler oder Felix Mendelssohn Bartholdy. An diesem Abend im ORF-Landesstudio wird multimedial gezeigt, wie die Nazivorwürfe lauteten und worin die „Verbrechen“ der „entarteten“ Komponisten bestanden.

Neue Sichtweisen
Als „Klassisch anders“ – und damit sind wir beim dritten Schwerpunkt – kann man überdies eine Reihe von Veranstaltungen sehen, die Grenzen überschreiten und neue Sichtweisen offerieren. So transformiert etwa der 1965 geborene Linzer Komponist und Saxofonist Thomas Mandel, ein ausgewiesener Bruckner-Experte, mit dem Temporary Jazz Orchestra Bruckners 7. Symphonie in die Musiksprache der Gegenwart. Zudem präsentiert das Brucknerfest einen ungewöhnlichen Fidelio: Ein zusätzlicher Text von Walter Jens („Roccos Erzählung“, gelesen von Miguel Herz-Kestranek) fügt Beethovens Oper eine neue, spannende Dimension hinzu. Auf der Bühne des Brucknerhauses wirkt ein exquisites Ensemble: So sind unter anderem Endrik Wottrich, bestens bekannt auch durch die Bayreuther Festspiele, als Florestan, Kurt Rydl als Rocco und Sergei Leiferkus als Pizarro zu erleben. Leonore wird von Anna-Katharina Behnke verkörpert, es spielt das Bruckner Orchester Linz unter Dennis Russell Davies.
Wie eine inhaltliche Verknüpfung von Fritz von Herzmanovsky-Orlando und Herman Melville klingt der Titel einer Uraufführung von Franzobel: Die Seemannsbraut – ein walsinniger Matrosenabend in 12 Knoten und 8 Shantys. In der Tat ließ sich der österreichische Schriftsteller und Dramatiker von Moby Dick inspirieren, aber auch von seinem zur See fahrenden Onkel sowie unzähligen Reisen übers Meer. Zu erwarten ist ein schunkelnder Abend, der von großen und kleinen Katastrophen erzählt, von Schiffbrüchen, Walfängern, Sehnsüchten und Hafenbräuten. Als Galionsfigur der Bühnenflotte ist Maxi Blaha zu sehen, für die Inszenierung sorgt das griechische Regietalent Sarantos Zervoulakos, die Musik stammt von Klaus Dickbauer. Andocken, und zwar ans Brucknerfest, werden auch Posthof und Kinderkulturzentrum Kuddelmuddel: In Erstem findet eine von Vielfalt geprägte Veranstaltungsreihe unter Beteiligung etwa von Cornelius Obonya, Thomas Maurer, Lukas Resetarits und Austrofred statt. Das Kuddelmuddel wiederum bildet den Rahmen für spannende Kindertheaterproduktionen, die in farbenprächtige Fantasiewelten entführen oder von aufregenden Abenteuern erzählen.
Zu den weiteren Höhepunkten des diesjährigen Brucknerfests zählen überdies ein feiner musikalischer Wandertag an der Rodl mit Wolfgang Winkler sowie Musikern des Bruckner-Orchesters Linz; Kammermusik mit dem Minguet-Quartett (Josef Suk, Jörg Widmann, Robert Schumann); Orgelkonzerte mit Franz Josef Stoiber (Johann Sebastian Bach, Alexandre Guilmant, Olivier Messiaen), Jean-Claude Zehnder (Bach, Georg Böhm, Bernardo Pasquini und andere) und Daniel Zaretsky (Max Reger, Joseph Rheinberger, Christopher Kuschnarew und andere); Orchesterkonzerte mit dem Israel Chamber Orchestra (Dirigent: Roberto Paternostro; Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart), dem Bruckner-Orchester Linz (Dirigent: Stanisl´aw Skrowaczewski; Bruckner: Symphonie Nr. 5) und den Wiener Philharmonikern (Dirigent: Nikolaus Harnoncourt; Bruckner: Symphonie Nr. 8); ein Konzert mit dem wunderbaren britischen A-cappella-Ensemble The King’s Singers, das gregorianische Choräle ebenso intoniert wie Vertonungen von Bruckner, Carlo Gesualdo und Thomas Tallis; ein Konzert, das dem Vokalwerk von Anton Bruckner gewidmet ist (mit dem Kammerchor der Anton-Bruckner-Privatuniversität Linz; Robert Holzer, Bass; Philipp Sonntag, Orgel; Thomas Kerbl, Klavier, Dirigent); und ein hochkarätig besetztes Symposion, das sich mit Anton Bruckner und Oberösterreich in der Musikforschung auseinandersetzt.

Informationen
12. September bis 5. Oktober 2010
Brucknerhaus
Untere Donaulände 7, A-4020 Linz
Tel. (+43-732) 76 12-0
www.brucknerhaus.at

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