Im Museum eines Eisenplastikers wird die weitläufige und gegensätzliche Thematik der Eisenverarbeitung zelebriert. Das Haus des erklärten Amateurschlossers Jean Tinguely öffnet sich der hohen Schule des wehrhaften Harnischs, dem großartigen Handwerk der „Plattnerei“ und zeigt eiserne Männerroben für Krieg, Turnier und Prunk. Das Projekt ist eine Hommage an eine frühere Wiener Präsentation (1991), geht aber mit mehr als 60 Harnischen aus Graz, Wien und Solothurn, zwölf Roben des Florentiner Modekünstlers Roberto Capucci, Werken von Eva Aeppli und Niki de Saint Phalle sowie Figurinen von Oskar Schlemmer und vielem mehr, welche die große Halle und die Galerie samt Aufgang bevölkern und das Welttheater zu existenziellen Themen ausweiten, in Dramaturgie und Größe weit darüber hinaus. Dies alles im Visier von allerhand „Kriegsgerät“ von Tinguely, Bernhard Luginbühl und Daniel Spoerri samt einem apokalyptischen Comic von M. S. Bastian.
Die Auswahl aus dem Weltreich ritterlicher Rüstungskultur, das sich vom gesamten Europa nach der Türkei, Indien und Tibet bis Japan erstreckte, beschränkt sich auf Harnische aus dem Habsburger Weltreich und der Eidgenossenschaft und spiegelt somit auch eine aufwühlende Epoche mitteleuropäischer Geschichte. So stammen die zumeist zwischen 1485 und 1570 gefertigten „Metallkleider“ aus den letzten beiden europäischen original Zeughäusern, aus Graz in der Steiermark, Grenzgebiet gegen die türkischen Invasoren, und aus Solothurn. Landsknechte, schwere Reiterei, „böse Buben“ und Husaren aus der phänomenalen Grazer Sammlung rufen mit einer Solothurner „Delegation“ die Erinnerung an die Schlachten von Morgarten, Sempach und Näfels wach. Geriffelte Prunkrüstungen aus Graz, vor allem aber 14 exzeptionelle Exemplare aus der Rüstkammer des Kunsthistorischen Museums Wien, „maßgeschneiderte“ und reich verzierte Metallkleider für Kaiser und Erzherzöge, Kurfürsten und Landgrafen, illustrieren den Übergang zu den Turnierharnischen nach 1500 in der Zeit Kaiser Maximilians I., des „letzten Ritters“. Je ein „Plankengestechharnisch“ aus Graz und Wien weisen insbesondere auf fabelhafte skulpturale Qualitäten und den höfischen Glanz der Turniere hin.
„Ein Prunkharnisch wird heute wohl kaum mehr als Kunstobjekt angezweifelt, und dies nicht nur seines ehrwürdigen Alters wegen. Es ist einfach ,stählerne Plastik‘. Doch ging es in der Wiener Ausstellung Roben wie Rüstungen primär darum, den modischen Aspekt dieser Rüstungen ins Auge zu fassen, den diese mit Capuccis Schöpfungen zu teilen scheinen. Andererseits ist zu bedenken, dass die damals ausgestellten Roben des Modeschöpfers Capucci bereits heute allgemein als Kunstwerke Anerkennung gefunden haben.
Weder der Plattner noch Capucci beschränken sich auf die Kunstfertigkeit, aus den verschiedenen Materien Kleidung zu schaffen. Sie teilen auch die Gabe, diese Materialien zu verwandeln: Der Stahl wird wie Stoff geformt und umgekehrt Stoff auch wie Stahl behandelt. Es geht in beiden Fällen um die Fantasie, mit der diese Künstler aus nicht kongenialen Materialien andere Welten erschließen, neue Einsichten eröffnen und damit den Bereich des Erfahrbaren verändern. Damit treten sie über das ,Modische‘ und das rein ,Kunsthandwerkliche‘ hinaus. Dennoch soll hier noch einmal betont werden, dass der Vergleich zwischen der Plattnerkunst und der Modekunst des Capucci nicht unmittelbar verbindend ist, sondern sich rein assoziativ ergibt.
In der Gegenüberstellung der scheinbar so gegensätzlichen Materialien wie Eisen und Stoff wird die gemeinsame Akzeptanz modisch künstlerischer Kreationen deutlich, ob als Dokument der Würde oder als Herausforderung. So zerrinnt der Zeitunterschied zu gleicher Gültigkeit und individueller Utopie, was nur die ,Mode‘ in höchster künstlerischer Form derart nonchalant, experimentell und offenherzig zu leisten vermag. Denn letztlich teilen die Träger der Roben Capuccis ein ähnliches Los wie die Träger von Prunkharnischen: Die müssen den von ihnen gewählten Umhüllungen gerecht werden.
Im Unterschied zu Capuccis Roben diente der Harnisch seinem Träger nicht immer nur zur Zierde, sondern seine ursprüngliche Funktion galt dem ritterlichen Wunschtraum der ,Unverwundbarkeit‘, also dem Schutz des Leibs. Doch bald schon gewann auch der modische Aspekt Bedeutung. Denn eben jene Kreise, die eine Rüstung trugen, waren es auch, die das öffentliche Leben bestimmten, den Ton angaben.
Noch im Lauf des 16. Jahrhunderts begann der Harnisch seine ursprüngliche Funktion als Schutzhülle einzubüßen. Technische wie militärische Neuerungen stellten die Idee der ,Unverwundbarkeit‘ des Ritters zunehmend infrage. Doch wurde damit der Harnisch nicht obsolet, im Gegenteil. Allein die kostspielige, so schwer zu formende Materie eignete sich vorzüglich zu prunkvollen Anfertigun-gen. Je weniger effektiv der Harnisch als Schutz wurde, desto mehr entwickelte er sich zum exklusiven künstlerischen Objekt, ja zum Standeskleid der Schicht, die ihn sich leisten konnte. Als Standessymbol wird er das liebste Requisit des europäischen Adels, an dessen prunkvoller Ausführung Rang und Stellung seines Trägers sichtbar werden.
Nun war der Harnisch das bevorzugte Kostüm des Adels, wenn es darum ging, sich der ,memoria‘ zu stellen, das heißt Porträt zu sitzen: Jeder sah in einer strahlenden, prunkvollen, oft das Licht nach allen Richtungen hin reflektierenden stählernen ,Hülle‘ viel imponierender und heroischer aus als in einem noch so eleganten textilen Äquivalent; so ist es nur natürlich, dass sich neben den berühmten Kriegsleuten und Feldherren auch deren Herrscher und Fürsten bewusst in dieser Art von ,Robe‘ porträtieren ließen. Der Harnisch im Porträt – ob nun ganz, dreiviertel oder halb – lebt weiter, selbst bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts, also in eine Zeit hinein, in der er schon längst außer Gebrauch war.
Gerade weil Capuccis Roben sich den modischen Trends entziehen und bereits etwas zeitlos Gültiges, ,Überzeitliches‘ an sich haben, wird ihr hoher künstlerischer Gehalt unmittelbar einsichtig. Mehr noch als die Prunkharnische entziehen sie sich der eigentlichen Funktion der Körperumhüllung und werden zu Kunstwerken, ,Skulpturen in Stoff‘.“
Christian Beaufort-Spontin, Die Rüstung
als Robe, Ausstellungskatalog Roben
wie Rüstungen, Wien 1991.
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