Foto: Yefim BronfmanFoto: KKL-Luzern-KonzertsaalFoto: Magdalena KozenáFoto: Kappelbrücke, Luzern Foto: Claudio Abbado und das Lucerne Festival Orchestra

Musik in Luzern – ein Naturereignis

Jahr für Jahr treffen sie sich bei LUCERNE FESTIVAL im Sommer: die besten Orchester der Welt, die berühmten Dirigenten, die gefeierten Solisten. Aber der Spielplan begnügt sich nicht damit, ein Gipfeltreffen der Branchengrößen zu bieten – die rund 70 Konzerte und die Rahmenprogramme folgen vielmehr einem Leitgedanken. Und der heißt in diesem Jahr: Natur.
Hirschmattstrasse 13, CH-6002 Luzern

Schon Johann Wolfgang von Goethe hat es gewusst: „Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen / Und haben sich, eh’ man es denkt, gefunden“, dichtete er in einem einstmals viel zitierten Sonett. Tatsächlich eiferte die Kunst stets dem Vorbild der Natur nach, versuchte, sie zu imitieren, sie zu spiegeln oder zu überhöhen. Der Künstler wurde selbst zum Schöpfer, der in seinen Werken die Welt ein zweites Mal erschuf. Gerade für die Musik bot die Natur den besten Nährboden: Der Gesang der Vögel, das ewige Lied des Meeres, der Lauf der Jahreszeiten oder die Erhabenheit der Bergwelt haben die Komponisten durch die Jahrhunderte hinweg inspiriert. Wie auch die philosophischen Fragen, die um die Natur des Menschen kreisen, um das Rätsel der Wiedergeburt oder um das Ideal der Natürlichkeit.
Bei den Interpreten, die LUCERNE FESTIVAL für den Sommer 2009 eingeladen hat, ist das Thema „Natur“ jedenfalls auf regen Widerhall gestoßen. Claudio Abbado etwa, der mit seinem LUCERNE FESTIVAL ORCHESTRA das Defilee der Stars eröffnet, dachte sogleich an Mahler – und an dessen Erste Sinfonie, die mit der vielsagenden Vortragsbezeichnung „Wie ein Naturlaut“ anhebt. Simon Rattle musiziert mit den Berliner Philharmonikern Die Jahreszeiten von Joseph Haydn – und spürt dem Naturalismus in der Musik nach: mit der Symphonie fantastique von Hector Berlioz. Um den Mythos des Waldes geht es, wenn Thomas Hengelbrock mit dem Mahler Chamber Orchestra Carl Maria von Webers Freischütz aufführt; und der wilde russische Frühling erwacht zu tönendem Leben, wenn Esa-Pekka Salonen mit dem Philharmonia Orchestra London Igor Strawinskys Le sacre du printemps zelebriert.
Die drei großen Jubilare des Jahres 2009 – Joseph Haydn, Georg Friedrich Händel und Felix Mendelssohn Bartholdy – gelangen ausgiebig zu Gehör. Haydns Londoner Sinfonien zum Beispiel erklingen in Konzerten mit den Wiener Philharmonikern und Nikolaus Harnoncourt, dem Koninklijk Concertgebouworkest und Mariss Jansons sowie dem Chicago Symphony Orchestra und Bernard Haitink. John Eliot Gardiner, seine English Baroque Soloists und der Monteverdi Choir folgen den Spuren des auserwählten Volks und interpretieren Händels Oratorium Israel in Egypt, Philippe Herreweghe und das Orchestre des Champs-Élysées bereisen mit Mendelssohn und seiner Dritten Sinfonie die schottischen Highlands – und sie treffen dort auf Riccardo Chailly mitsamt dem Gewandhausorchester Leipzig, die sich unter anderem Mendelssohns Hebriden-Ouvertüre vorgenommen haben.
Natur und Kunst – zu diesem Stichwort steuern auch die beiden „artistes étoiles“ des Sommers 2009 aufschlussreiche Erkenntnisse bei. Magdalena KozŠená, die tschechische Mezzosopranistin, ist eine Meisterin des ganz natürlichen Gesangs, und dazu braucht es, paradox genug, die höchste Kunstfertigkeit. Sie singt unter der Stabführung von Abbado Gustav Mahlers Rückert-Lieder und interpretiert mit Mariss Jansons Gesänge von Henri Duparc; auch gestaltet sie eine Liedermatinee mit der japanischen Pianistin Mitsuko Uchida und widmet sich mit dem Lautenconsort Private Musicke der Alten Musik: italienischen und spanischen Meistern des 17. Jahrhunderts, klingenden Preziosen einer fernen und doch so nahen Epoche. Dem amerikanischen Pianisten Yefim Bronfman wiederum scheint die Natur keinerlei Grenzen gesetzt zu haben: Seine Virtuosität, seine kraftvolle „Pranke“, seine Spontaneität und Sensibilität werden in aller Welt bestaunt. Dabei waltet Bronfman in aller Gelassenheit am Klavier: Wie ein Fels in der Brandung zelebriert er seine Kunst mit fast stoischer Ruhe und entfesselt doch einen Sturm der Gefühle; so zu erleben bei einem Klavierrecital, einem Kammermusikprogramm und bei Klavierkonzerten von Esa-Pekka Salonen und Johannes Brahms mit dem Philharmonia Orchestra und den Wiener Philharmonikern.
Und die zeitgenössische Musik? Die beiden Composers-in-Residence, die den Sommer in Luzern prägen werden, widerlegen den gängigen Verdacht, dass die Moderne mit der Natur nicht so viel am Hut habe. Kaija Saariaho zum Beispiel, die unorthodoxe finnische Komponistin, lässt sich von Polarlichtern und Seerosen zu neuen Werken inspirieren. Und ihr junger deutscher Kollege Jörg Widmann folgt immer wieder den Spuren des „Erzromantikers“ Robert Schumann – nicht nur in seinem Jagdquartett, dem ein Thema von Schumann zugrunde liegt. Beide Komponisten werden auch mit neuesten Werken zu erleben sein: Widmann etwa mit einem gerade vollendeten, für Heinz Holliger komponierten Oboenkonzert, das zur Uraufführung gelangt, Saariaho wiederum mit einer Hommage an den schwedischen Regisseur Ingmar Bergman, Laterna Magica, die von den Berliner Philharmonikern herausgebracht wird. Pierre Boulez und seine LUCERNE FESTIVAL ACADEMY aber erforschen die zweite Natur der Klänge: Musik mit Liveelektronik, die den Klangkosmos unerforschter Galaxien eröffnet.
Vieles gibt es zu entdecken bei LUCERNE FESTIVAL im Sommer 2009. Spektakuläre Debüts werden Sie erwarten: etwa des jungen lettischen Dirigenten Andris Nelsons, der mit seinem City of Birmingham Symphony Orchestra und Vesselina Kasarova als Solistin gastiert; Antonio Pappano und die Accademia di Santa Cecilia, die erstmals nach Luzern kommen, mit italienischem „Naturrepertoire“ von Gioacchino Rossini, Mendelssohn und Ottorino Respighi im Reisegepäck; oder auch die chinesische Pianistin Yuja Wang, die als weibliche Antwort auf Lang Lang gilt (der im Staraufgebot ebenfalls nicht fehlt …). Ein Höhepunkt reiht sich an den anderen, sechs Wochen lang – die Reise nach Luzern lohnt sich in jedem Fall.

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