Bild: Nikolaus Harnoncourt Bild: Michael KapsnerBild: Lara St. JohnBild: Maria Jonas

Der Menschheit Würde

Zugegeben, es klingt pathetisch, dieses Thema,unter dem die styriarte 2009 stehen wird. Aber es gibt Anlass für dieses Pathos, für diese leidenschaftliche Regung: Denn Nikolaus Harnoncourt, der Künstler unter den Künstlern der styriarte, wird in diesem Jahr 2009 achtzig Jahre alt. Und wem, wenn nicht ihm, kann mit Fug und Recht zugestanden werden, dass er als Künstler die Verantwortung für die Welt, die Gesellschaft, in der wir leben, immer in ganz besonderem Maß übernommen hat?
Sackstraße 17, A-8010 Graz

Programm-Highlights 2009
Porgy, Bess und Nikolaus
Mit der Produktion der Meisteroper George Gershwins erfüllt sich Nikolaus Harnoncourt einen ganz großen Herzenswunsch. Was kaum jemand wusste: Gleich nachdem die Oper Porgy and Bess 1935 in New York herauskam, lag der vom Onkel postversendete Klavierauszug im Harnoncourt’schen Musikzimmer in Graz. Schon als kleines Kind lernte Nikolaus Harnoncourt so die geniale Musik Gershwins kennen und lieben, wenn sein Vater am Klavier die unsterblichen Nummern von „Summertime“ bis „I Got Plenty O’ Nuttin’“ anstimmte. Jetzt will er in der styriarte darauf zurückkommen, und er hat sich dafür spannendste Partner gesichert.
Eine durchweg schwarze, vorwiegend afroamerikanische Sängerbesetzung, darunter der Neuseeländer Jonathan Lemalu (Porgy) und die Kanadierin Measha Brueggergosman (Bess), das Chamber Orchestra of Europe und der Arnold Schoenberg Chor bilden das musikalische Fundament für fünf konzertante Vorstellungen. Die Premiere am 29. Juni und vier weitere Abende (1., 3., 5. und 7. Juli) werden als exklusive Produktion der styriarte in der Helmut-List-Halle zu sehen sein.
Blickt man zum zweiten Projekt, das Nikolaus Harnoncourt in der styriarte 2009 erarbeiten wird, so landet man bei der Frage nach dem Wert des menschlichen Lebens vor Gott. Mit dem Händel-Oratorium Jephtha (im Stefaniensaal am 18. und 19. Juli) zeigt Harnoncourt, wie Georg Friedrich Händel das unerbittliche alttestamentarische Finale der Geschich-te in einem Akt aufklärerischer Gnade menschlich umdeutet.
Concentus Musicus Wien und Arnold Schoenberg Chor werden dabei ebenso wenig fehlen wie in Harnoncourts dritter styriarte-Arbeit 2009, dem Dettinger Te Deum und dem Dixit Dominus von Händel in Stainz am 11. und 12. Juli. Hier ganz neu bei der styriarte: Emma Bell, Bibiana Nwobilo und Kenneth Tarver.

Jahresregenten
Georg Friedrich Händel starb 1759. Ihm wird im Stefaniensaal ein Fest gewidmet, das die grandiose Academy of Ancient Music unter Paul Goodwin gemeinsam mit den wunderbaren Stimmen von Nuria Rial und Sonia Prina ausrichtet („Ein Fest für Händel“, 4. Juli).
Henry Purcells Geburtstag jährt sich 2009 zum 350. Mal. Seiner gedenkt die styriarte mit mehreren Programmpunkten: Thomas Höft hat dessen Antikriegsstück King Arthur (am 28. und 30. Juni in der Remise Mariatrost) neu übersetzt. In einer konzertanten Fassung werden Schauspieler die gesprochenen Texte auf Deutsch vortragen, die Musiknummern erklingen im englischen Original. Hermann Max und seine Ensembles musizieren. Die blinde Sopranistin Gerlinde Sämann gibt die ebenfalls blinde Figur der Emmeline, in der wie in Porgy die Achtung vor dem gehandicapten Menschen thematisiert wird.
In ganz neuem Klanggewand ertönt eine Suite aus Purcells Fairy Queen, nämlich in einer Fassung für Saxofondoppelsextett, gespielt neben einigen Hits von Gershwin und Dmitri Schostakowitsch von der Selmer Saxharmonic unter Milan Turkovic („The Saxy Queen“, 13. Juli, Helmut-List-Halle). Noch einmal Purcell, diesmal im Originalton: Lorenz Duftschmid packt einige von dessen schönsten Fantasias, Airs und Grounds aus und spielt sie mit seinen Kollegen von Armonico Tributo Austria im akustisch großartigen Minoritensaal („Golden Age“, 17. Juli).
Das Haydn-Jahr 2009 (200. Todestag) wird niemand überhören können. Auch die styriarte feiert im Schloss Eggenberg ein Fest für Haydn (27. Juni) und hat sich dafür Christophe Coins Ensemble Baroque de Limoges eingeladen. Diesem gesellt sich der steirische Drehleiervirtuose Matthias Loibner zu und lässt uns nach 200 Jahren Haydn-Stücke für die Lira organizzata wiederhören. Tags darauf schon kann man den styriarte-Dauerbrenner, das beliebte Quatuor Mosaïques, drei Haydn-Quartette gleich zweimal spielen hören – sicher auch jedes Mal ein Fest („Kaiserquartett“, 28. Juni). Beim Alte-Musik-Festival in Brügge hat sie im letzten Jahr den Fortepiano-Wettbewerb souverän für sich entschieden, 2009 kommt sie nach Graz: Stefania Neonato spielt mit sprühendem italienischem Temperament Werke von Muzio Clementi und Haydn, die dieser der hochtalentierten jungen Pianistin Theresa Jansen auf den Leib geschrieben hatte („Haydn in London“, 5. Juli).
Fehlt noch der Vierte im Bunde: Das zwischenzeitlich aus rassistischer Verblendung auch verschmähte Wunderkind Felix Mendelssohn Bartholdy erblickte vor 200 Jahren das Licht der Welt. Auch ihm zu Ehren feiert die styriarte ein Fest, bei dem dessen Deutung des Schiller’schen Gedichts „An die Künstler“ das Herzstück bilden wird. Das Orchester recreation spielt unter Roy Goodman, Lara St. John überbringt das berühmte Violinkonzert als Geschenk („Ein Fest für Mendelssohn“, 10. Juli). Pierre-Laurent Aimard kommt wieder und bringt seine Schwester mit. Sein Klavier und ihr Cello werden Mendelssohn- und Beethoven-Werke gegenüberstellen („Family Affairs“, 7. Juli).
Orgelwerke aller Jahresregenten 2009 kombiniert Michael Kapsner in einem spannenden Programm, das er an der barocken Sankt Veiter Kirchenorgel am Vogau in gewohnt grandioser Manier exekutieren wird („Halleluja“, 28. Juni).

Black Power
Schon erstaunlich früh gelang es Farbigen, mit ihren außergewöhnlichen Begabungen auf dem europäischen Parkett Fuß zu fassen: Dem gefeierten Violinvirtuosen George Bridgetower verehrte Beethoven ursprünglich seine Kreutzersonate. Das Multitalent Joseph de Boulogne, genannt der Chevalier de Saint-Georges, beeindruckte mit seinen Künsten auf Florett und Geigenbogen und komponier-
te spannende Violinmusik. Anton Steck spielt das furiose Programm am 14. Juli („Black Power 1800“). Der schwarze Angelo Soliman kam im Wien Josephs II.
zu großen Ehren. Erst dessen Nachfahr Franz I. trat die tolerante Aufklärung mit Füßen und ließ Soliman ausgestopft ausstellen. Musik der Freigeister Ludwig van Beethoven und Wolfgang Amadeus Mozart, gespielt vom London Fortepiano Trio, umschließt eine Lesung über das Leben des Mohren aus Wien am 19. Juli.
Jordi Savall
Wunderbar in das Thema der styriarte 2009 fügt sich Jordi Savalls Monumentalprojekt Jerusalem. Verschiedenste musikalische Stränge eint der charismatische Katalane und versucht auf musikalischem Weg, wieder einen Weg der Verständigung zwischen den in Jerusalem bis heute aufeinanderprallenden Kulturen. Er bringt dafür neben seinen eigenen Ensembles auch eine Truppe von Schofarbläsern (Widderhorn) mit nach Graz („Jerusalem“, 25. Juli). An den keltischen Wurzeln Europas gräbt Jordi Savall in seinem Konzert „Zeitreisen“ am 23. Juli, mit schottischen und irischen Jigs, Hornpipes und Reels. Der Ausnahmekönner an der Harfe Andrew Lawrence-King und Pedro Estevan, der zärtlichste Trommler der Welt, graben mit.

Auswärts
Es geht auch wieder aufs Land! Neben Stainz (Konzerte mit Nikolaus Harnoncourt) sucht die styriarte 2009 auch das Freilichtmuseum Stübing wieder auf und trifft dort auf Leute aus vielen Völkern: beim Folk Fest Stübing am Sonntag, dem 5. Juli. Bei der Landpartie im Benediktinerstift Sankt Lambrecht werden wir sehen und hören, unter welchen Umständen Benediktiner den Menschen würdig halten für Gottes Heil. Weit gespannt ist das musikalische Angebot, das wieder für einen Tag und eine Nacht zur Teilhabe am klösterlichen Leben einlädt („Ordo virtutum“, 18. Juli).

Eröffnung
Zum Schluss noch zurück an den Start: Mit Verve werfen sich recreation unter dem Dirigat ihres Nochchefs Andrés Orozco-Estrada an die Gestade Amerikas und erblicken dort Miss Liberty, welche die Fackel der freien amerikanischen Gesellschaft hochhält. Die Musik zu dieser Reise liefern Aaron Copland, Leonard Bernstein, Samuel Barber und George Gershwin. Der Stefaniensaal wird am 26. Juni bei freiem Eintritt beben (Zählkarten à 4 Euro).

Leserkommentare

Zum Kommentieren kostenfrei registrieren oder anmelden.