Johannes Kleinbecks Geschichte der Zärtlichkeit zeichnet nach, von welchen Ängsten und Sehnsüchten Rousseau, Kant, Hegel und später auch Freud angesichts dieser Umwälzung heimgesucht worden sind. Sie entdeckt aber auch ein Kernstück bürgerlicher Philosophie, das sich nicht von einer spezifisch modernen Form patriarchaler Machtausübung trennen lässt. Denn die Entrechtung des ehelichen Beischlafs markiert den Beginn einer Entwicklung, die uns bis heute umtreibt: Die männlichen Privilegien finden sich immer weniger über die rohe Gewalt oder die Zwänge des Rechts, immer mehr über ein – dem Anschein nach – freies Spiel von Blicken, Gesten und Worten abgesichert.
In den rund 1500 Brautbriefen, die sich Freud und Bernays in den 1880er-Jahren geschrieben haben, wird das problematische Erbe dieser Geschichte besonders deutlich. Denn über nichts streiten die Verlobten so vehement wie über die Frage, was »Zärtlichkeit« bedeuten soll, wie sie geäußert und geteilt werden darf und wie nicht. In der von Freud ersehnten Ästhetik und Charakteristik der Frau, in den von ihm geforderten Gefühlen in der Liebe, in der Freundschaft und in der Familie, in der Einnahme unterschiedlicher Drogen und im Verkehr von Briefen, Münzen, Worten und Körpern werden all jene widersprüchlichen Zuschreibungen der Zärtlichkeit wiederkehren, die das Denken der Ehe von Rousseau bis Hegel bestimmt haben.
Buchpräsentation von Johannes Kleinbeck und Diskussion mit Rafael Jakob
Johannes Kleinbeck ist Literaturwissenschaftler, Mitherausgeber der Reihe Neue Subjektile und Übersetzer u. a. von Judith Butler und Jacques Derrida. Er arbeitet als wissenschaftlicher Assistent am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin.
Rafael Jakob hat deutsche Literatur, Philosophie, Gräzistik und Informatik studiert. Er ist wissenschaftlicher Assistent am Institut für Germanistik der Universität Wien.
Mit freundlicher Unterstützung des Verlages Matthes & Seitz
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