Die Grenzen zwischen Jazz und Pop sind ebenso flexibel wie empfindlich. Wer sie auf falschem Fuß überschreitet, droht auf unwegsamem Gelände zu verschwinden. Silje Nergaard war schon immer eine überaus sensible Grenzgängerin. Doch es ging ihr nie um die programmatische Überschreitung von Linien, sondern immer um ein lebendiges Verhältnis zu ihrer ungewöhnlich sanften und doch eindringlichen Stimme. So auch auf ihrer neuen CD "Unclouded". Wer die Norwegerin kennt, wird überrascht sein. Ihr Timbre klingt vertraut, alles andere ist komplett neu. So lässt sie sich nur von zwei Gitarren begleiten, die auch mal verhalten perkussiv eingesetzt werden können, kein Schlagzeug, keine Keyboards. Was wie ein krasser Bruch mit ihrer Vergangenheit klingt, ist in Wirklichkeit ein Bekenntnis zu ihren Wurzeln. Am Anfang ihrer Laufbahn trat sie meist nur mit zwei Begleitern auf, einer davon in der Regel ein Gitarrist. Und sie fühlte sich großartig. Zu diesem Gefühl zurückzukehren, war für die inzwischen weltbekannte Sängerin ein langer Reifeprozess. Die beiden Gitarristen Hallgrim Bratberg und Havar Bendiksen sind folglich viel mehr als bloße Begleiter. Sie sind Mitverschworene, deren Saitengesang mit der Stimme der Sängerin zu einem einzigen Klanggedicht verschmilzt. In dieser Umgebung fiel es der erfahrenen Vokalistin auch nicht schwer, sich in einer Art vokalem Spiegel neu zu entdecken. Mit "Unclouded" wagt Silje Nergaard einen kompletten Neuanfang und bleibt doch ganz bei sich selbst. Ein bewegendes Album, das in seiner ergreifenden Offenheit perfekt in unsere Zeit passt.