Doch es gibt einen roten Faden, der sich durch Leben und Werk dieser Musikerinnen zieht. Alle fünf sind aufgewachsen und sozialisiert in der ehemaligen Sowjetunion, einem Staatengebilde, das auf unvorstellbar großer Fläche die unterschiedlichsten Kulturen und Sprachen zu vereinen versuchte. Alle fünf Komponistinnen mussten sich auf dem schmalen Grat zwischen Widerstand und Anpassung ans Sowjetregime bewegen. Trotzdem konnten sie eine leidenschaftliche und individuelle musikalische Sprache entwickeln. In ihren Kompositionen sind die Auseinandersetzung mit der Musik ihrer Herkunftsländer und ihre Verbundenheit mit der zeitgenössischen Musik spürbar. Das Ensemble 09 spannt in seiner Präsentation den Bogen zwischen den Kulturen.
Sofia Gubaidulina, tatarisch-russischer Herkunft, ist fasziniert von Zahlenmystik und Symbolik. Ihre Kompositionen beruhen einerseits auf genauen und präzise rational erdachten Bauplänen, andererseits auf intuitiven Einfällen. Onute Narbutaite gilt als die wichtigste Komponistin Litauens. Ihre Musik ist geprägt von konstruktivem Denken und einer emotionalen musikalischen Sprache, die den Werken Leichtigkeit verschafft. Die Winterserenade für Querflöte, Violine und Viola (1997) ist eine Hommage an Franz Schubert, in der Themen aus seiner Winterreise anklingen. Frangis Ali-Sade, geboren in Aserbaidschan, wirkt in Berlin und wurde von den unterschiedlichen Kulturkreisen geprägt, in denen sie lebt(e).
Thematisch wichtig ist ihr die Verbindung zwischen Ost und West in der Musik des 20. Jahrhunderts. Ali-Sades Kompositionsstil bewegt sich zwischen der traditionellen Musik ihrer Heimat und der teilweise experimentellen Gegenwartsmusik. Für Jelena Firssowa ist Musik die Sprache der Sinne und der Expressivität. Die Stimmung der Komposition Crucifixion für Violoncello und Bajan aus dem Jahr 1993 wird ihrem Titel "Kreuzigung" gerecht. Eine gepeinigte Solostimme kämpft in den hohen Lagen des Cellos. Aus der Tiefe drohen die markanten Akkorde des Bajans, der osteuropäischen Form des Knopfakkordeons. Galina Ustwolskaja galt neben Sofia Gubaidulina als Grande Dame unter den russischen Komponistinnen. Ihre Musik wird von einer asketischen und rhythmischen Kraft getragen. In ihren Werken vertonte sie häufig christliche Texte, die ihre tiefe Gläubigkeit widerspiegeln. Dazu bediente sie sich einer musikalischen Sprache, die geprägt ist von extremen Kontrasten und abrupten dynamischen Wechseln. Das dreisätzige Trio für Violine, Klarinette und Klavier entstand 1949 und wurde 1968 uraufgeführt.
Mit:
Joachim Brandl - Viola
Ildiko Deak - Flöte
Christoph Kieleithner - Klarinette
Lisa Kürner - Cello
Mariko Onishi - Klavier
Thomas Schaupp - Violine
Andrej Serkov - Bajan
Programm:
S. Gubaidulina: Silenzio für Akkordeon, Violine, Cello
O. Narbutaite: Winterserenade für Flöte, Violine, Viola
F. Ali-Sade: Music for Piano
J. Firssowa: Crucifixion für Cello, Akkordeon
G. Ustwolskaja: Trio für Klarinette, Violine, Klavier