Ist es denn möglich, in einer Welt – in der private Schatullen aufgebrochen, Briefe konfisziert werden, in der Menschen sich unter Schleiern verbergen und anderen den schützenden Schleier von der Seele reißen, in der sich kaum jemand traut, ohne den Schutz der Verkleidung, ohne die sprachliche Maskerade einander zu begegnen – wahrhaft zu lieben oder geliebt zu werden? Don Carlo liebt Elisabeth. Elisabeth ist mit Carlos Vater verheiratet. Eboli liebt Carlos und ist doch die Geliebte des Königs. Den rettenden Halt findet Carlos Herz schließlich in den revolutionären Gedanken seines Freundes Posa und erkennt doch zu spät, dass es keinen Ausweg geben kann … Dieses System der Kontrolle, das jeden Einzelnen dazu zwingt, mit gespaltener Identität zwischen Schein und Wahrheit zu leben, übernimmt und radikalisiert Verdi in seiner Komposition: Aus einem fast verlogenen Konversationston des Hofes bricht die individuelle emotionale Situation der Figuren durch; strahlendes Des-Dur verspricht eine leuchtende Zukunft, bevor einen Wimpernschlag später die düsteren Klänge der Inquisition den nahenden Tod vorhersagen. Unter der musikalischen Leitung von Chefdirigentin Oksana Lyniv und in der Regie von Jetske Mijnssen, die 2017 an der Oper Graz „Eugen Onegin“ inszenierte, wird die Welt des „Don Carlo“ zu neuem Leben erweckt: „Se dorme il prence, veglia il traditore“ („Wenn der König schläft, wacht der Verräter“).
Empfohlen ab 14 Jahren