Der Schauplatz von Sciarrinos neuem Musiktheater nach einem lyrischen Roman von Elisabeth Smart ist ein großer Bahnhof. Ein Ort kollektiver Ströme und Wanderungen, des Ineinanders von Masse und Vereinsamung. Ein Ort vergrößerter Geräusche, ein Sammelbecken für die Heimatlosen. Die Protagonistin ist eine Frau, die obdachlos und verloren scheint und eine schmerzdurchwachte Nacht erlebt: Sie spricht in Rätseln, bleibt ungehört oder unverstanden, wir erleben einzig Fragmente ihrer Geschichte und ihrer Begegnungen.
Salvatore Sciarrino gehört zu den zeitgenössischen Komponisten, die maßgeblich zur Erneuerung des Musiktheaters in unserer Zeit beigetragen haben. Seine unverwechselbare Klangsprache, die oft die Grenzen des Klangs abtastet, verbindet sich mit einer neuartigen Dramaturgie. Flüsternde Klänge und vokale Andeutungen entspinnen eher innere als äußere Geschichten. Das Fragmentarische, Zögerliche, manchmal zeitlos Schwebende ersetzt vordergründige Theatralik und Aktion. Das Unterdrückte scheint wesentlicher als das Ausgedrückte, die Andeutung wichtiger als das scheinbar Eindeutige. So umkreisen seine Musiktheaterwerke, für die zahlreiche literarische Quellen die Textgrundlage bilden, oft das Unsichtbare oder Namenlose, den inneren Raum und das eingefrorene Gefühl. Sciarrinos Musiktheater macht uns aufmerksam.