Marie Duplessis war in ihrem ersten Beruf Modistin, größere Einnahmen bezog sie freilich aus ihrer Nebenbeschäftigung als eine der begehrtesten Kurtisanen im Paris ihrer Zeit. Als Zwanzigjähriger begegnete ihr der junge Dumas, und als sie, kaum älter als er, wenig später an der Schwindsucht starb, fasste er ihre Geschichte in einen Zeitroman. Bald darauf wurde aus diesem ein Bühnenstück. Mehrfach musste die Premiere verschoben werden, die Hüter der öffentlichen Doppelmoral brandmarkten den Stoff als anstößig. 1852, nur wenige Wochen nach der Uraufführung, sah Verdi eine der Pariser Aufführungen. Er erkannte das Potential von Dumas’ Vorlage für seine eigenen musikdramatischen Ziele.
Wie schon Rigoletto und Il trovatore legte auch La traviata den Fokus auf die Person eines gesellschaftlichen Außenseiters. Verdi ging damit ein neues Risiko ein – das Risiko des Zeitstücks: La traviata spielte in der Gegenwart und nahm dem Publikum so jegliche Möglichkeit zu innerer Distanzierung von der enthaltenen Gesellschaftskritik. Was im Schauspiel gerade noch angegangen wäre, entpuppte sich als zu viel für die Oper. Eine Hure als Opernheldin? Noch dazu eine, für die man Mitleid empfinden soll? Die Premiere 1853 endete in einem Fiasko.
Der einstige Brecht-Schüler Freyer hat mit seiner Inszenierung von Carl Maria von Webers Der Freischütz (1980) in Stuttgart und mit seinen ZAUBERFLÖTEN-Inszenierungen in Hamburg, bei den Schwetzinger und Salzburger Festspielen stilbildende und Theatergeschichte schreibende Inszenierungen geschaffen. Diesen Anspruch möchte er auch in der Mannheimer Traviata-Inszenierung, die übrigens seine erste ist, einlösen.
Freyer hat in Mannheim mit Die Zauberflöte für 20 Finger und Médée zwei herausragende Inszenierungen präsentiert. Er ist ein Magier der Bilder, ein Visionär des Theaters: Der Maler, Bühnen- und Kostümbildner, Regisseur und Stückemacher Achim Freyer, der in seiner Arbeit wie kein anderer die Grenzen zwischen Bühne und bildender Kunst auslotet. Seine Inszenierungen sind poetische „Gesamtkunstwerke“ aus Malerei, Sprache, Musik, Choreografie, Raum und Licht, die in archaischen Bildern von menschlichen Mythen erzählen.