Der Horizont ist des Menschen wichtigste Orientierung. Er verortet unseren Blick im Raum und in der Landschaft, gibt inneren und äußeren Welten Halt. Will man über Landschaft reden, will man Landschaftsmalerei ausstellen, ist dies untrennbar mit dem Menschen verbunden. Die Entwicklung der Landschaftsdarstellung ist durch die Jahrhunderte stets Ausdruck unseres Verhältnisses zur Natur. Gleichgültig, ob Natur darin eine göttliche ist, die sich in den überweltlichen goldenen Himmeln manifestiert, oder menschengemachte Landschaft – sie ist stets Spiegel des eigenen Erlebens und Bühne menschlicher Sehnsüchte. Dies bedingt unser Naturbild.
Die Aufgabe der mittelalterlichen Holztafeln von Fra Angelico besteht in der konzentriert meditativen Schau des Heilsgeschehens. Engelsscharen und Heilige agieren nicht im Hier und Jetzt, sondern in einem überzeitlichen goldenen Himmelsraum. Doch der Humanismus und die Natur¬wissenschaften verändern den Blick des Einzelnen auf die Welt. Die im Spätmittelalter immer wieder betonte Eigenverantwortlichkeit des Individuums erfordert ein Agieren im Hier und Jetzt. Das Sich-seiner-selbst-bewusst-Werden ermöglicht ein Sich-der-Umwelt-bewusst-Werden. Man bricht auf, um die Welt zu erforschen. Sie dehnt sich aus und gewinnt in den Weltlandschaften perspektivisch-mathematische Dimensionen. Die Tiefen¬dimension wird durch eine raffinierte Farb-Staffelung auf der Fläche erzeugt.
Im 17. Jahrhundert erobert die Landschaftsmalerei die Kabinette der Sammler. Van Ruysdaels stimmungsvolle Naturschilderungen seiner holländischen Heimat erfreuen sich großer Beliebtheit, sowohl bei Bürgern als auch bei Handwerkern. Andere Künstler wie Breenbergh spezialisieren sich auf gut bezahlte Historien mit biblischen oder antiken Szenen, die in weiträumigen antiken Ruinenlandschaften spielen. Ist die Natur noch im Barock Schauplatz göttlichen Waltens, verändert sich mit der Aufklärung der Blick in die Landschaft und im 18. Jahrhundert wird sie zum Spiegel menschlicher Stimmungen. Seit dem frühen 19. Jahrhundert gewinnt die Landschaftsmalerei eine noch nie dagewesene Bedeutung. Im Blick auf die erhabene Natur bei von Rohden verbirgt sich die Sehnsucht nach der verlorenen, der unzerstörten, vom Menschen unberührten Natur.
Verfolgt man die Entwicklung bis ins späte 19. Jahrhundert, beginnt sich die Natur als Abbild zunehmend aufzulösen. In den atmosphärischen Impressionen Monets oder in den Farbströmen Vlamincks wird sie immer mehr zum Experimentierfeld einer fortschreitenden Abstraktion.
Es ist ein Glücksfall, dass sich in der Sammlung Rau für UNICEF hervorragende Land¬schaften befinden, die diese Entwicklung anschaulich dokumentieren und die menschliche Perspektive auf die Welt, die Gustav Rau am Herzen lag, festhalten. Dazu Dr. Oliver Kornhoff, Direktor des Arp Museums: »Die Landschafts¬malerei aus der Sammlung Rau lädt ein, unsere Welt genauer zu betrachten und die bedrohte Schönheit und Vielfalt unserer Umwelt zu entdecken. Das Leitthema »Natur & Landschaft« ist in Kooperation mit der Bundesgartenschau in Koblenz in diesem Jahr in allen unseren Ausstellungen präsent und wird nun auch von den wunderbaren Gemälden der Alten Meister aufgenommen.