Arnulf Rainer. Malerei um die Malerei zu verlassen. Eine Retrospektive

Die Ausstellung Arnulf Rainer. Retrospektive im Museum Moderner Kunst Kärnten MMKK zeigt mit fast 100 Werken einen sehr umfassenden und repräsentativen Querschnitt des österreichischen Künstlers Arnulf Rainer, der international zu den wichtigsten Vertretern der Moderne zählt und im kommenden Jahr seinen 80. Geburtstag feiert.
Burggasse 8, A-9020 Klagenfurt

Die Retrospektive, die im Wesentlichen auf den Beständen des Museums Essl in Klosterneuburg/Wien basiert, beginnt mit frühen Werken aus Rainers Zeit in Kärnten. Arnulf Rainer kommt 1945 kriegsbedingt nach Kärnten, besucht bis zur Matura (1949) die Staatsgewerbeschule in Villach. Die ersten Werke sind surreal figurative Zeichnungen aus dem Jahr 1947, denen abstrakte, an den Gestus des Informel angelehnte „Zentralisationen“ und „Vertikalgestaltungen“ folgen. 1949 lernt Arnulf Rainer Maria Lassnig kennen. Beide inszenieren 1951 die Ausstellung Unfigurative Malerei im Künstlerhaus in Klagenfurt, eine Ausstellung, die in der Öffentlichkeit für große Aufregung sorgt.
In den Jahren 1953/54 beginnt die erste Phase explizit als solche gekennzeichneter „Übermalungen“, „Zumalungen“, „Reste“ – Bilder, die sich aus den vorangegangenen Werkphasen entwickelt haben und vorläufig vom Künstler selbst als „Bedeckung“ charakterisiert werden. Die Übermalung repräsentiert nicht nur das Überdecken von Motiven oder einzelnen Bildelementen, sondern erscheint als ein abstrakter, offener Prozess, den Arnulf Rainer immer wieder aufs Neue aufgreift, fortsetzt, verdichtet und transformiert. Rainer praktiziert die so genannten Übermalungen in seiner Malerei, aber auch auf Werken anderer Künstlerfreunde und auf historischen Vorlagen. Die Werke zeichnen sich allesamt durch eine für Arnulf Rainer charakteristische strukturelle Offenheit aus, die sein künstlerisches wie kulturelles Verständnis ausmacht. Er experimentiert mit unterschiedlichen Formen von Bildträgern. Es entstehen runde Bilder (Tondi), ab 1954 bezieht Rainer auch die Kreuzform mit ein. Die strenge, nüchterne und zugleich symbolische Form bietet in Verbindung mit der expressiven, gestischen Bearbeitung auf der Oberfläche spannungsvolle Kompositionen. Die Kreuzform spielt bis heute eine zentrale Rolle. Im Lauf der Jahre greift Rainer diese immer wieder auf und wendet verschiedene Techniken und Gestaltungsformen an. 1954 stellt er in der von Monsignore Otto Mauer geleiteten Galerie nächst Sankt Stephan in Wien aus, einem damals wichtigen Zentrum künstlerischer Avantgarde. Hier findet er ein Forum, seine monochromen Schwarzbilder zu präsentieren.
Mitte der 1960er Jahre entstehen die ersten fotografischen Selbstdarstellungen, Face farces und Body Language, die er als Vorlage für Übermalungen wählt.
Wie bereits in früheren Arbeiten, wie z.B. den Blindgestaltungen, geht es auch in dieser Serie um ein Experimentieren mit dem körpersprachlichen Ausdruck. Rainer posiert in verschiedenen, zum Teil grotesk anmutenden Positionen vor der Kamera, mit verzerrter bis grimassenhafter Mimik und Gestik. Diese Serie der Selbstdarstellung stellt einen immer wiederkehrenden Komplex in seinem Werk dar, der im Kontext künstlerischer Spracherweiterung zu sehen ist. Die künstlerische Bearbeitung von Fotovorlagen stellt neben den monochromen malerischen Übermalungen eine zweite grundlegende Form der Überarbeitung dar. Während die erste im Sinne eines Überdeckens bzw. auch als eine Form von Auslöschung auf der Oberfläche der Bilder erscheint, ist die letztere durch Akzentuierung, Korrektur und durch pointiertes Hervorheben gekennzeichnet. In beiden Vorgehensweisen vollziehen sich zwei Praktiken, jene der Dekonstruktion und der Konstruktion, die sich einerseits konkret auf das soweit noch erkennbare Motiv beziehen und sich andererseits im Hinblick auf die künstlerische Praxis als ein kultureller Gestus präsentieren. Rudi Fuchs schreibt sehr zutreffend von einer gestischen Grammatik und malerischen Dramaturgie im Werk Arnulf Rainers. Die Bildaussage definiert sich konkret auf der formalen Ebene und diskursiv in der künstlerischen Technik, in die die kulturelle Auseinandersetzung mit der österreichischen Tradition eingeschrieben ist. Ende der 1970er Jahre folgt die Arbeit an den Totenmasken, die einen erneuten Konzentrationspunkt in Rainers Werkzyklus darstellen, ebenso die Fingerschmierereien. Das dezidierte Aufgreifen von sakralen Motiven verdichtet sich zu Beginn der 1990er Jahre. In allen Schaffensphasen ist der offene Bildbegriff verbindlich, das heißt die Arbeit an jedem einzelnen Werk, ob Zeichnung, Fotografie oder Malerei, erweist sich als ein Prozess, der grundsätzlich offen und unabschließbar erscheint. Zeichnerische und malerische Techniken und nicht zuletzt auch fotografische Verfahren durchdringen einander. Die spannungsvolle Verflechtung von Form und Inhalt, von Symbol und Symbolisiertem eröffnet einen radikal modernen Diskurs insbesondere über die österreichische Bildtradition. Unter diesem Aspekt wird es möglich, die divergenten Ausdrucksformen im Werk Rainers in ihrer Kohärenz zu begreifen, ohne ihre unterschiedlichen Erscheinungsformen zu glätten, und dieses künstlerische Konzept vor dem geistesgeschichtlichen Kontext der Moderne zu reflektieren. Das spezifische Profil Rainers, das ihn einerseits mit Österreich verbindet, andererseits in den europäisch-amerikanischen Diskurs treten lässt, ist die Auseinandersetzung mit Geschichte. Damit rückt sein Œuvre in die geistige Nähe des französischen Philosophen Michel Foucault, der mit dem Begriff des Archivs und dem Verfahren der Archäologie historische Selbstverständlichkeiten dekonstruiert. Rainer reflektiert in seiner Kunst ein Modell des geschichtlichen Bewusstseins. Im Dialog mit den kulturellen (Bild)-Relikten verweist er auf Brüche in den bekannten Sichtweisen und versteht es, in seiner eigenen künstlerischen Praxis traditionelle Mechanismen der Kunstproduktion erfolgreich zu unterlaufen, indem er eine offene, nicht greifbare Form von Ästhetik etabliert.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit zahlreichen Abbildungen, einer umfassenden Werkanalyse von Andrea Madesta und dem Text Der Totenmaskenbildner von Josef Winkler.
Arnulf Rainer. Retrospektive
bis 15. Februar 2009

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