Francke-DenkmalGlücksbringer von Findelkindern, The Foundling Museum London Foto: Richard BryantHistorische Bibliothek Foto: Ingo Gottlieb 

Kinder, Krätze, Karitas. Waisenhausgeschichte in den Franckeschen Stiftungen

Das von August Hermann Francke 1698 gegründete hallesche Waisenhaus und seine weltweiten Ausstrahlungen stehen im Mittelpunkt der Gesamtschau einer überaus wechselvollen Geschichte der Waisenfürsorge vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
Franckeplatz 1, Haus 37, D-06110 Halle/Saale

Mit dem Bau eines Waisenhauses legte der Theologe August Hermann Francke (1663–1727) den Grundstein für sein Lebenswerk. Was 1698 als Armen- und Waisenanstalt vor den Toren Halles begann, entwickelte sich innerhalb von 30 Jahren zu einer einzigartigen Schulstadt mit mehreren Schulen – für Waisen bis zum adeligen Zögling –, Druckerei, Buchhandlung, Apotheke, Handwerksbetrieben, Gärten, einem Krankenhaus sowie wissenschaftlichen Instituten. Die Schulstadt, deren pädagogische und religiöse Reformen den Ruf Halles durch ganz Europa und bis nach Übersee trugen, galt Zeitzeugen als das „neue Jerusalem“. Während ihrer Blütezeit lebten und arbeiteten hier bis zu 3000 Menschen.
Das bis heute erhalten gebliebene und weltweit einmalige Bauensemble der Franckeschen Stiftungen steht auf der Vorschlagsliste der UNESCO. Der Lindenhof mit dem längsten Fachwerkhaus Europas oder die beeindruckende Historische Bibliothek von 1728 faszinieren ebenso wie die barocke Kunst- und Naturalienkammer im ehemaligen Schlafsaal des Waisenhauses. Ursprünglich für den anschaulich-praktischen Schulunterricht angelegt, gehört sie zu den wenigen noch erhaltenen Vorläufern des modernen Museums und gilt als einzige vollständig erhaltene Kuriositätenkammer Europas, die den ganzen Wissenskosmos des 18. Jahrhunderts umfasst.
Eingebettet in die Geschichte der Waisenfürsorge vom Mittelalter bis zur Gegenwart, illustriert die Jahresausstellung im Historischen Waisenhaus mit über 400 Objekten die Kraft und Wirkungen der von Halle ausgehenden Reformen. Im Gegensatz zur gängigen Arbeitserziehung von Waisenkindern war der Alltag in Halle von christlicher Erziehung und einem aufgeklärten pädagogischen Konzept geprägt, sollten Franckes Schüler doch später dessen Ideen in die Welt tragen. Schon im 18. Jahrhundert wurden in Europa, Nordamerika oder Südindien Einrichtungen getreu dem berühmten halleschen Vorbild gegründet. Auch die Diakonie, die Realschule in Deutschland, die erste protestantische Mission und Millionen deutschsprachiger Volksbibeln haben ihren Ausgangspunkt in den Franckeschen Stiftungen.
Die Eröffnung der Jahresausstellung krönt ein ganz besonderes Ereignis: Georg Friedrich Händel gehörte zu den Förderern des 1739 gegründeten Foundling Hospital in London. Sein erstes Benefizkonzert für das Waisenhaus (in Anwesenheit des Prinzen und der Prinzessin von Wales) bot ein opulentes Programm mit Auszügen aus Werken, die heute zu den bekanntesten von Händel zählen, sowie das extra für diesen Anlass komponierte „Foundling Hospital Anthem“. Dieses außergewöhnliche Konzert erklingt in historischer Aufführungspraxis im Waisenhaus Franckes und in Händels Geburtsstadt Halle authentisch wieder.

Informationen
Kinder, Krätze, Karitas. Waisenhäuser in der frühen Neuzeit
Jahresausstellung 2009
17. Mai bis 4. Oktober 2009
Historisches Waisenhaus

Vorschau 2010
Gebaute Utopien. Jahresausstellung 2010
Mai bis Oktober 2010, Historisches Waisenhaus

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