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Spirituell, zeitgenössisch, grenzenlos – ­Spannendes aus dem Konzertprogramm

Zehn Reihen, mehr als 80 einzelne Konzerte, 14 Symphonieorchester und zahlreiche Chöre, Instrumental- und Vokalensembles und viele, viele hochkarätige Solisten und Dirigenten: Das Konzert­programm der diesjährigen Salzburger Festspiele ist umfangreicher denn je und bietet eine solche Fülle musikalischer Erlebnisse, dass hier nur ein paar Aspekte herausgegriffen werden können. Allein schon das Studium des Spielplans ist ein Vergnügen, eine Reise durch die Welt der Musik. Thematische Schwerpunkte legen Spuren durch dieses Universum, stiften Bezüge und stellen Zusammenhänge her.

Herbert-von-Karajan-Platz 11, A-5010 Salzburg

Ouverture spirituelle

Erstmals stellen die Salzburger Festspiele ihrem Hauptprogramm eine Ouverture spirituelle voraus, eine Reihe von Aufführungen geistlicher Musik aus sieben Jahrhunderten. In der abendländischen Musiktradition entstanden musikalische Werke von Rang lange Zeit vor allem in kirchlichem Kontext; sie dienten dem Gebet und der Verherrlichung Gottes, sind Zeugnis und Ausdruck des Glaubens in seinen sich wandelnden Ausprägungen – Klang gewordene Theologie, Andacht, Versenkung, aber auch Feier klerikaler Macht. Der katholische Ritus brachte musikalische Formen hervor, die Komponisten bis heute inspirieren, und die biblischen Texte ziehen Komponisten und Interpreten immer wieder neu in ihren Bann. Waren die darin geborgenen christlichen Glaubensinhalte für Musiker und Gemeinden früherer Jahrhunderte selbstverständlich, wurden Glaube und Heilszuversicht spätestens im 19. Jahrhundert zunehmend brüchig: Neben die Frömmigkeit tritt der Zweifel; ob Anbetung, Dank oder Klage – das musikalische Gebet wird individueller, seine Formen werden weiter gefasst, die Musik wird immer mehr zum persönlichen Ausdruck ihres Schöpfers und seiner Religiosität, bis die Sehnsucht nach Erlösung weitgehend abgekoppelt vom christlichen Glauben sich in autonomen Werken ausspricht. Für viele wurde die Musik zur Kunstreligion …
Doch nach wie vor verbindet die geistliche Musik die materielle und immaterielle Welt, entfalten Choräle und Motetten, Litaneien und Messen ihre Kraft, die wir heute losgelöst von konfessioneller Bindung als spirituell bezeichnen. Besinnung, Trauer und Trost, Geborgenheit und Zuversicht, Dank und Freude – all das können wir Heutigen bei der Begegnung mit großen religiösen Werken erleben, zu der die Salzburger Festspiele ab 20. Juli einladen. Mit zwei Aufführungen des Jedermann und Konzerten im Dom, in der Kollegienkirche und der Kirche Sankt Peter wird der von Kirchen und klösterlicher Architektur geprägte Stadtraum Salzburgs mit einbezogen.
Sir John Eliot Gardiner bringt mit dem Monteverdi Choir Pilgermusik und Kompositionen des 15. und 16. Jahrhunderts sowie Haydns Schöpfung mit den English Baroque Soloists zur Aufführung. Aus Mozarts Sakralschaffen erklingen die Waisenhausmesse KV 139 im Haus für Mozart sowie die virtuose Missa longa KV 262 und die Sakramentslitanei KV 243 im Dom; um die Aufführungssituation zu Mozarts Zeit wiederherzustellen, werden die historischen Gobelins aufgehängt. Seine unvollendete Messe c-Moll KV 427, deren „Kyrie“, „Gloria“, „Sanctus“ und „Benedictus“ 1783 bei Mozarts letztem Besuch in Salzburg in der Kirche Sankt Peter aufgeführt wurden, erklingt ebendort aufs Neue – zusammen mit einer Auftragskomposition von Johannes Maria Staud auf einen Text aus Dantes Göttlicher Komödie. Und als musiktheatralischer Beitrag kommt im Rahmen der Mozart-Matineen in der Stiftung Mozarteum das Geistliche Singspiel Die Schuldigkeit des ersten Gebots des elfjährigen Mozart zur Aufführung.
Auf dem Programm stehen ferner Händels Messias in einer Bearbeitung Mozarts, Schuberts Messe Es-Dur, Bruckners Te Deum in Kombination mit seiner 7. Symphonie und die Messe D-Dur von Antonín Dvořak, welche die Brücke zum thematischen Schwerpunkt „Über die Grenze“ schlägt.
Neben der christlichen Musiktradition, die im Zentrum der künftig jährlich stattfindenden Ouverture spirituelle steht, vergegenwärtigen drei Konzerte in diesem Jahr bedeutende jüdische Musikschöpfungen: Zubin Mehta führt mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter anderem Ernest Blochs Avodath Hakodesh (Gottesdienst), Kol Nidre von Arnold Schönberg und Mechaye Hametim (Auferweckung der Toten) von Noam Sheriff auf. Valery Gergiev gibt mit den Wiener Philharmonikern Strawinskys Psalmen-Sinfonie.
Aufführungen von Verdis Requiem und Hector Berlioz’ Messe solennelle führen das Thema über die Ouverture hinaus im Konzertprogramm weiter.

Salzburg contemporary

Zeitgenössische Musik hat einen festen Platz in Salzburg. Wie in der Reihe „Kontinent …“ in den letzten Jahren schon eine Komponistenpersönlichkeit mit ihrem Werk umfassender vorgestellt wurde, so setzt jetzt auch die neue Reihe Salzburg contemporary Schwerpunkte auf dem Werk zeitgenössischer Komponisten. Neben Bernd Alois Zimmermann (1918 bis 1970), dessen Oper Soldaten ihre Salzburger Erstaufführung erlebt, steht in diesem Jahr der Schweizer Komponist, Oboist und Dirigent Heinz Holliger im Mittelpunkt. Holliger, Jahrgang 1939, kam über die Begegnung mit Werken von Webern und Pierre Boulez zur Komposition; er studierte in Bern und Paris Oboe, Klavier und Komposition; seine Lehrer waren Sándor Veress und Pierre Boulez. Anfänglich beeinflusst durch das Vorbild der Zweiten Wiener Schule, empfing er durch Boulez wichtige Impulse vor allem für sein harmonisches Denken. Außerdem fanden zahlensymbolisch motivierte Strukturen Eingang in sein Komponieren. Eine Zeit des Experimentierens folgte, während deren Holliger die klangliche Substanz der Musik und auch die Rolle des Interpreten infrage stellte. In den Werken dieser Phase nutzte er elektronische Mittel und Geräusche zur Erzeugung von Klang, vom platzenden Luftballon über den Herzschlag des Solisten, der zum Schluss des Stücks die Bühne verlässt. Der Auflösung der Konzertsituation durch Einbeziehung des Interpreten in die musikalische Aktion entspricht eine Erosion des Klangs. Nach diesem Extrem setzte Holliger auch wieder herkömmlich gespielte Instrumente ein, reizte deren Klangspektrum aus und nutzte Kontraste und Abstufungen der Lautstärke bis zum völligen Verstummen. Ein Werk dieser Schaffensperiode ist Atembogen, das in einem Konzert zur Aufführung kommt.
Von früh an interessierte sich Holliger für Künstler im Grenzbereich zwischen Normalität und Wahnsinn, Leben und Tod; er vertonte Gedichte von Trakl, schrieb eine Kammeroper nach einem Text von Samuel Beckett und komponierte Texte von Hölderlin. Der zwischen 1975 und 1991 entstandenen Scardanelli-Zyklus greift die Texte auf, die der kranke Hölderlin in seinem Tübinger Turm als Tagebuch niederschrieb und mit dem Pseudonym Scardanelli zeichnete. Herzstück des Zyklus ist ein Stück für Soloflöte, denn der Dichter war ein guter Flötist. Ein Netz von Bezügen und Verweisen durchzieht Holligers Musik; das gilt auch für das Auftragswerk der Salzburger Festspiele, das sich auf Mozarts Sinfonia concertante bezieht und das Holliger selbst als Dirigent im Rahmen einer der Mozart-Matineen uraufführen wird. Zwei weitere Konzerte dirigiert Heinz Holliger, der sich mit Aufführungen moderner Musik als Dirigent einen Namen gemacht hat, in weiteren ist der weltberühmte Oboist als Instrumentalsolist zu erleben: Zusammen mit dem Zehetmair-Quartett spielt er verschiedene (auch eigene) kammermusikalische Werke; mit seiner Frau, der Harfenistin Ursula Holliger, und dem ORF-Radio-Symphonieorchester Wien führt er unter anderem das für das Paar komponierte Doppelkonzert für Oboe, Harfe und Streicher von Witold Lutosławski auf.
Außerdem erklingen im Rahmen von Salzburg Contemporary Kompositionen von Mozart, Schubert, Schumann, Strawinsky, Berg, Eisler, Dallapiccola, Ligeti, Boulez und eine Uraufführung des deutschen Oboisten Gustav Friedrichsohn.
Witold Lutosławski (1913–1994), einem der wichtigsten polnischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, hat das Cleveland Orchestra unter der Leitung von Franz Welser-Möst zwei Konzerte gewidmet, in denen auch die beiden Teile von Bedřich Smetanas Má Vlast (Mein Vaterland) aufgeführt werden. Sie verweisen auf einen weiteren thematischen Schwerpunkt des Konzertprogramms: „Über die Grenze“.

Über die Grenze

Die europäische Musiktradition lebte schon immer von unterschiedlichen Einflüssen, doch lange prägten französische und italienische Künstler und Stile den Geschmack der Aristokratie. Erst im 19. Jahrhundert, im Gefolge politischer Umwälzungen und des erstarkenden Bürgertums, entwickelte sich in Polen und Russland, in Böhmen und Ungarn das Interesse an den eigenen kulturellen Wurzeln. Komponisten fingen an, sich mit Volksmusik zu beschäftigen; sie sammelten und notierten die Lieder der einfachen Bevölkerung und ließen sich von ihnen anregen. Gerade im habsburgisch regierten Böhmen wurde die Musik zum Ausdruck nationaler Selbstfindung. Mit seinen Opern auf folkloristische Stoffe und den symphonischen Dichtungen Mein Vaterland und Die Moldau gilt Smetana als Begründer der eigenständigen tschechischen Musikkultur. Der eine Generation jüngere Antonín Dvořák, der als Erster Bratscher bei Aufführungen von Smetanas Opern mitwirkte, war mit der tschechischen Musik selbstverständlich vertraut. Er war auf dem Land aufgewachsen, hatte Geigenunterricht erhalten und die Orgelschule besucht; mehr als zehn Jahre spielte er Bratsche in einem Orchester, das in Cafés und auf öffentlichen Plätzen aufspielte, ehe es schließlich im Opern-
orchester des Prager Interimstheaters aufging. Als Komponist war Dvořák Autodidakt und eignete sich Kompositionstechnik an, indem er sich mit Werken Mozarts und Mendelssohns, Schumanns und Wagners auseinandersetzte. Seine Stoffe fand er nicht nur in seiner Heimat, sondern ließ sich von verschiedenen Einflüssen, zum Beispiel auch der „neudeutschen Schule“ Liszts, anregen. Während seines Aufenthalts in den USA beschäftigte er sich sogar mit Spirituals und Indiandermusik. Doch es war die Sammlung Klänge aus Mähren, die Dvořák den internationalen Durchbruch als Komponist brachte; Johannes Brahms trug mit seiner Unterstützung wesentlich dazu bei. So erklingen in einem Konzert des Dvořák-Schwerpunkts die Zypressen-Lieder und -Quartettstücke, kombiniert mit Brahms’ Ophelia-Liedern, in einem weiteren die Streichsextette von Dvořák, Brahms und Richard Strauss. Zwei weitere Kammerkonzerte stellen Dvořáks Klavierquartett Es-Dur op. 87 und die Romantischen Stücke in den Kontext anderer tschechischer Komponisten: Smetana, Janáček, Suk, Martinů.

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