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Drei Jahrhunderte Oper

Wer glaubte, Salzburg könne nicht
mehr überraschen, wird sich wundern: Das Musiktheaterprogramm der diesjährigen Festspiele umfasst nicht nur eine gediegene Mischung aus drei Jahrhunderten Operngeschichte, sondern bietet einige echte Salzburger Novitäten. Einzigartiges und Einmaliges will Alexander Pereira bei den Salzburger Festspielen bieten – was auch heißt, dass mit Wiederaufnahmen im nächsten Jahr nicht zu rechnen ist. Für Liebhaber und Neugierige gilt gleichermaßen: Carpe diem!

Herbert-von-Karajan-Platz 11, A-5010 Salzburg

Beispielhafte Mozart-Aufführungen seien ein Erfolgskriterium für einen Intendanten der Salzburger Festspiele, gibt der neue Festspielchef Alexander Pereira zu Protokoll – und kredenzt zum Einstand eine neue Zauberflöte. Das große Novum: Nikolaus Harnoncourt wird diese Produk­tion mit seinem Concentus Musicus musikalisch verantworten – und bringt damit die historische Aufführungspraxis nach Salzburg. Der deutsche Regisseur Jens ­Daniel Herzog, der neben beachtlichen Schauspielarbeiten in den letzten Jahren vermehrt Opern inszeniert und seit Herbst 2011 die Oper in Dortmund leitet, bringt die Zauberflöte auf die Bühne der Felsenreitschule (Ausstattung: Mathis Neidhardt). Solisten sind unter anderen Bernard Richter (Tamino), Mandy Fredrich (Königin der Nacht), Julia Kleiter (Pamina) und Georg Zeppenfeld (Sarastro).

Die Zauberflöte ist nicht nur das Werk Mozarts, sondern auch das von Emanuel Schikaneder. Wurde er für den Text auch oft geschmäht, so wäre die Zauberflöte ­ohne ihn doch undenkbar. Der Librettist, Sänger, Schauspieler, Regisseur und Theaterdirektor Schikaneder war es schließlich, der Mozart beauftragte, für sein aufstrebendes Vorstadttheater auf der Wieden ein Singspiel zu schreiben. Heuer jährt sich Schikaneders Todestag zum 200. Mal – ein Anlass, sich etwas intensiver mit dem Ur-Papageno zu befassen, der solchen Einfluss auf das Wiener Theater Ende des 18. Jahrhunderts hatte. Dass der 1751 im niederbayerischen Straubing geborene Schikaneder ein umtriebiger, fantasievol-ler und geschickter Impresario war, ein Stehaufmännchen, doch auch von wechselvollen Zeitläuften gebeutelt, lässt sich etwa anhand des Romans Der Sommer
der Gaukler von Robert Hültner (Verfilmung: Marcus H. Rosenmüller) oder der neuen Biografie von Eva Gesine Baur nachvollziehen.

 

Auf Schikaneders Spuren ins Labyrinth

Schikaneder beförderte maßgeblich die Herausbildung des Genres der Zauber­oper, die mit märchenhafter Handlung, übernatürlichen Gestalten und allerhand Bühnenzauber auf heitere, leichtfüßige Weise schon die Stoffvorlieben der Romantik antizipierte; sie brachte zahlreiche Werke hervor, die – mit Ausnahmen wie etwa Ferdinand Kauers Donauweibchen – heute weitgehend vergessen, teils auch verschollen sind. Schon die Vorgängeroper zur Zauberflöte, Der Stein der Weisen oder Die Zauberinsel, stammt aus Schikaneders Feder; er schrieb aber auch eine Fortsetzung, die nun bei den Salzburger Festspielen zu erleben ist: Das Labyrinth, der zweyte Teil der Zauberflöte oder Der Kampf mit den Elementen.

Im titelgebenden Labyrinth müssen Tamino und Pamina ihre letzten Prüfungen vor den Elementen Erde und Luft ablegen, während die Königin der Nacht und ihr Gefolge mit einem falschen Liebestrank, allerlei Zauberspuk und Erpressung ver­suchen, die Liebenden neuerlich zu trennen und Pamina aus dem Reich Sarastros zu entführen, damit sie anstelle von Tamino Tipheus heirate. Auch Papageno muss gegen die Verführungsversuche einer Mohrin seine Treue bewähren. Von den Gängen des Labyrinths über ein Nebel­kabinett, Wald und Berggipfel bis zum Wolkenpalast der sternflammenden Königin entfaltet sich die verwickelte Handlung an spektakulären Schauplätzen, bis schließlich Tamino im Zweikampf den Konkurrenten besiegt und die Königin der Nacht samt Gefolge wie ehemals Prome­theus an den Berg gekettet wird …

Die Vertonung stammt von dem heute fast vergessenen Komponisten Peter von Winter (1754–1825), der quasi in die Mannheimer Hofkapelle hineingeboren wurde und Schüler von Abbé Vogler war wie später Carl Maria von Weber und Meyerbeer. Von Winter folgte dem Kurfürsten Karl Theodor nach München und studierte 1780 als Stipendiat Komposition bei Antonio Salieri in Wien. Als Hofkapellmeister in München initiierte er mit den Musikalischen Akademien die Konzerttradition der Hofkapelle. Seinen europaweiten Ruhm als Komponist begründete das Singspiel Das unterbrochene Opferfest (1796).

Die komisch-heroische Oper Das Labyrinth wurde 1798 im Wiedener Theater uraufgeführt; wie in der Zauberflöte sangen Schikaneder die Rolle des Papageno und Mozarts Schwägerin Josepha Hofer die Königin der Nacht. Das Stück hatte trotz mancher negativer Kritik für Libretto und Komposition großen Erfolg und erlebte bis weit ins 19. Jahrhundert vielerorts zahlreiche Aufführungen. Entsprechend seiner Herkunft aus dem Volkstheater, zeigen die Salzburger Festspiele das Werk nicht in ­einem Theaterraum, sondern im – dank ­einer neuen Überdachung wetterfesten – Residenzhof, der eine besondere Nähe zwischen Publikum und Aufführenden ermöglicht.

Auf den Spuren eines Traums –

Ariadne ­revisited

Der Blick zurück auf die Geschichte inspirierte ein weiteres spannendes Unternehmen, mit dem schon manches Theater liebäugelte und sich doch nicht traute: ­einer Neuproduktion von Hofmannsthals und Strauss’ Ariadne auf Naxos in der Urfassung, also kombiniert mit Hofmanns­thals Bearbeitung von Molières Komödie Der Bürger als Edelmann. Die Uraufführung dieses Zwitterwerks aus Schauspiel und Oper, das Sprechtheater, Gesang und Ballett verbindet, inszenierte Max Reinhardt 1912 in Stuttgart. Hofmannsthal selbst war vom Ergebnis nicht überzeugt und begann schon kurz nach der Premiere mit der Umarbeitung, doch bis Ariadne mit dem neu konzipierten rezitativischen Vorspiel ihre finale Gestalt annahm, vergingen mehrere Jahre, während deren Strauss und Hofmannsthal unter anderem Josephs Legende und Die Frau ohne Schatten schufen (Peter Simonischek, Michael Rotschopf und Regina Fritsch lesen aus ihrem Briefwechsel). Nun wagt sich Schauspieldirektor Sven-Eric Bechtolf an den „immer noch wunderbaren Traum ihrer Schöpfer: die unterschiedlichsten Formen des Theaters, Ballett, Schauspiel, Musik und Gesang, zusammenzuführen“, wobei der Regisseur aus den Etappen der Entstehungsgeschichte eine dramaturgisch plausible Fassung erarbeitet. Mit Daniel Harding am Pult der Wiener Philharmoniker, Heinz Spoerli als Choreograf der von Strauss für eine zweite Fassung des Schauspiels nachkomponierten Ballettmusiken und einem erlesenen Darstellerensemble sind die Voraussetzungen bestens, dass das Abenteuer gelingt – und die verschiedenen Sparten der Bühnenkunst nicht nur im Gesamtprogramm gleichberechtigt nebeneinanderstehen, sondern sich auf einer Bühne harmonisch zusammenfügen.

 

Bohème und Glamour

Über viele Jahre und wechselnde Trends hinweg ist die Zauberflöte konstant Spitzenreiterin in den Aufführungsstatistiken; gleichfalls unter den Top Ten sind zwei weitere Werke des diesjährigen Salzburger Opernprogramms: Carmen mit Magdalena Kožená und Jonas Kaufmann (in Koproduktion mit den Osterfestspielen, Simon Rattle leitet nun die Wiener Philharmoniker) und La Bohème. Dass alle drei Werke bereits ausverkauft sind, verwundert niemanden – doch dass La Bohème tatsächlich noch nie zuvor bei den Salzburger Festspielen zu erleben war, überrascht dann doch. Mit der neuen Produktion mit den Wiener Philharmonikern unter der musikalischen Leitung von Daniele Gatti will Alexander Pereira den „Bannfluch brechen“, mit dem er Puccini in Salzburg belegt sieht, und hat dafür eine Starbesetzung engagiert: Mit Anna Netrebko als Mimì, Piotr Beczała als Rodolfo, Nino Machaidze als Musetta und Massimo ­Cavalletti als Rodolfo dürfte Puccinis ­Salzburger Ehrenrettung nichts im Weg stehen, zumal mit Regisseur Damiano ­Michieletto die Wahl auf einen zürich­erprobten Theatermann gefallen ist. Mit Inszenierungen an den wichtigen italienischen Opernhäusern und Festivals sowie in Zürich (Lucia di Lammermoor, Luisa Miller) hat Michieletto gezeigt, dass sich Regie aus dem Land der Oper nicht zwangsläufig in statuarischen Arrangements in edlen bis verstaubten Bühnenbauten erschöpfen muss, sondern flott, beziehungsreich, überraschend und ästhetisch reizvoll sein kann.

Und was macht Rolando Villazón? Keine Sorge, er ist dabei: In zwei konzertanten Aufführungen der frühen Mozart-Oper Il re pastore singt er die Partie Alexanders des Großen an der Seite von Eva Mei, Martina Janková und anderen; William Christie leitet das Orchestra La Scintilla, das Originalklangensemble der Zürcher Oper.

Zweimal Händel in historisch informierter Aufführungspraxis

Auch für die beiden Barockopern des diesjährigen Festspielsommers wurden Spezial­ensembles für historische Aufführungs­praxis eingeladen: Mit Il Giardino Armonico unter der Leitung von Giovanni Antonioni und mit Cecilia Bartoli, Andreas Scholl und Philippe Jaroussky verspricht Händels Giulio Cesare ein Fest für die Liebhaber der Barockoper zu werden; die Inszenierung von Moshe Leiser und Pat­rice Caurier ist eine Übernahme von den diesjährigen Pfingstfestspielen, den ersten unter der künstlerischen Leitung der Bartoli. Mit Tamerlano kommt eine weitere Händel-Oper zur Aufführung – zwar nur konzertant, doch mit einem illustren Interpreten des Bajazet: Plácido Domingo singt diese Partie an der Seite von Bejun Mehta in der Titelpartie; Mark Minkowski leitet die Musiciens du Louvre.

Einmalig und einzigartig wünscht sich Alexander Pereira die Salzburger Festspiele, und neben dem Blick in die Vergangenheit – sowohl in Form von vorklassischer Oper als auch mit Rückgriffen auf die eigene Festspielgeschichte – lenkt er das Interesse auch dezidiert auf die Zukunft: Fortan soll es jedes Jahr eine Opernuraufführung geben; Kompositionsaufträge an György Kurtág (2013), Marc-André Dalbavie (2014), Thomas Adès (2015) und Jörg Widmann (2016) sind bereits vergeben. Für 2012 war die Zeit zu kurz; der „Ersatz“ indes ist ein großartiges Projekt: Ingo Metzmacher und Alvis Hermanis bringen Die Soldaten von Bernd Alois Zimmermann neu auf die ­Bühne. Die einzige vollendete Oper des Kölner Komponisten, der sich 1970 mit nur 52 Jahren das Leben nahm, ist unstrittig eines der großen Musiktheaterwerke des 20. Jahrhunderts – und aufgrund des großen Orchesters und szenischen Anspruchs nur sehr selten zu erleben.

Gestern, heute und morgen: ­Jahrhundertwerk

Grundlage der Soldaten ist die 1774/75 entstandene gleichnamige Komödie des Goethe-Zeitgenossen Reinhold Jakob Michael Lenz – „Komödie“ verstanden als „Gemälde der menschlichen Gesellschaft, und wenn die ernsthaft wird, kann das Gemälde nicht lachend sein“. Die Handlung, angesiedelt in zwei Garnisonsstädten in französisch Flandern, erzählt die Geschichte der bürgerlichen Marie, die sich von dem adeligen Offizier Desportes verführen lässt und ihren Verlobten, den Tuchhändler Stolzius, verlässt. Dieser sucht sie vergeblich zurückzugewinnen; Marie bleibt Desportes verfallen, auch als der sie sitzen lässt; sie ist anderen Offizieren zu Willen, flieht aus der Obhut einer alten Gräfin, die sie zu schützen versucht, wird im Auftrag Desportes’ vergewaltigt … Stolzius vergiftet Desportes und sich selbst. Maries Untergang ist besiegelt, als ihr Vater die Bettelnde auf der Straße nicht mehr erkennt.

Nicht nur der Name der weiblichen Hauptfigur verbindet Die Soldaten mit Alban Bergs Wozzeck. „Was mich an dem Stück begeistert“, schrieb Zimmermann an seinen Verleger, „ist nicht so sehr das Klassendrama, der soziologische Aspekt oder die soziale Kritik, die unüberhörbar und auf ihre Weise großartig in dem Stück enthalten sind, sondern der Umstand, dass hier in einer exemplarischen Situation […] durch die schicksalhafte Konstellation der Charaktere und Umstände, so, wie sie sind, Menschen, wie wir sie zu allen Zeiten und jeden Tag treffen können, unschuldig im Grunde, vernichtet werden.“ Im Zentrum des expressiven Werks steht nicht das individuelle Schicksal, sondern das In­einandergreifen von Beweggründen und Handlungsweisen, soziale und psychologische Mechanismen, die mit- und neben­einander ablaufen – und zwar „gestern, heute und morgen“, wie die Zeitangabe in der Partitur vermerkt. Als sein eigener Librettist verdichtete Zimmermann die Szenenfolge zu einer Spieldauer von zwei Stunden; die Ereignisse spielen sich teilweise parallel ab, was zu dem Vorwurf beigetragen hat, das Stück sei szenisch nicht zu realisieren (die Uraufführung erfolgte nicht wie geplant 1960, sondern erst fünf Jahre später). Aus heutiger Sicht sind die Simultaneität der Dramaturgie und der Zeitbegriff, der darin zum Ausdruck kommt, faszinierend und vorausweisend (so knüpft zum Beispiel Hans-Jürgen von Boses Oper über das Bombardement Dresdens daran an).

Vielleicht ist seine Zeit erst jetzt ­gekommen?

Zeit war für Zimmermann eine prägende und problematische Kategorie: Seine Zeitgenossenschaft erlebte er, der mit 21 Jahren zur Wehrmacht eingezogen worden war und krank aus dem Krieg zurückkehrte, vor allem schmerzlich: Er war als Komponist sehr eigenständig, sein Verhältnis zu Strömungen wie der Darmstädter Schule blieb distanziert bis spannungsvoll, als Älterer unter jungen Komponisten sah er sich unbehaust, in Konkurrenz zu Stockhausen ausgegrenzt und unverstanden – umso schärfer war sein Blick auf die zeit­losen Mechanismen von Ausbeutung und Unterdrückung. Nun ermöglichen die Salzburger Festspiele eine Begegnung mit dieser herausragenden Oper, die eine gewaltige Orchesterbesetzung, einen „Schlagzeugchor“ und zahlreiche Darsteller (da­runter sechs hohe Tenöre) erfordert.

Ergänzend ziehen sich Werke Zimmermanns wie ein roter Faden auch durch
das Konzertprogramm: Vom Konzertstück Nobody knows de trouble I see für Trom-pete in C und Orchester (1954) über verschiedene Kammermusiken und die Vertonung von Wilhelm Buschs Frommer Helene als „Rondo popolare“ für Sprecher und Ensemble im Familienkonzert bis hin zu der Ekklesiastischen Aktion für 2 Sprecher, Bass-Solo und Orchester: Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne von 1970 sind viele Facetten seines kompositorischen Schaffens zu entdecken.

Text: Barbara Maria Zollner

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