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Realitätspartikel auf dem Prüfstand

Am 8. Mai 2009 werden die Wiener Festwochen mit einem großen Fest auf dem Wiener Rathausplatz eröffnet. In den darauffolgenden Wochen steht die Donaumetropole dann ganz im Zeichen von spannenden Theater-, Opern- und Konzertevents, die einen Bogen von Rio bis Moskau schlagen und vom Barock bis zu Neuer Musik. So unterschiedlich die Produktionen auch sind, eines haben doch viele von ihnen gemeinsam: Sie handeln von brüchigen Identitäten in einer Welt, von deren Zukunft man eine nur vage Vorstellung hat.
Lehárgasse 11, A-1060 Wien

The Andersen Project
Robert Lepage’ bildreiches Solostück erzählt von einem Poplyriker, der in Paris ein Libretto für eine Kinderoper nach Motiven eines Andersen-Märchens zu schreiben hat. Zu erleben ist bei dieser Österreich-Premiere ein modernes Märchen über Künstlereinsamkeiten und die Deformationen des Kulturbetriebs.
Premiere: 9. Mai 2009, Volkstheater

Bei aller Vorsicht!
Regisseur Schorsch Kamerun lädt gemeinsam mit einem eingespielten Team zum Analyseparcours durch die Leopoldstadt. Nach der Übergabe eines „Safety-First-Sets“ soll die gesamte Praterstraße penibel untersucht werden. Als ständige Deckung: ganz viel Musik und Gesang.
Premiere: 20. Mai 2009, Haus der Begegnung Leopoldstadt und andere
Diciembre
Die bitterböse Komödie des chilenischen Teatro en el Blanco über die Zukunft Südamerikas (Text und Regie: Guillermo Calderón) sieht die Welt von morgen in einem Krieg der Völker versinken. – Brasiliens Truppen brechen zum Pazifik durch, und Bolivien gibt es schon lange nicht mehr. Es ist Heiliger Abend 2014. Als der Belagerungsring um die Stadt fest geschlossen ist, fällt auch noch der Strom aus.
Premiere: 26. Mai 2009, brut im Künstlerhaus

L’Effet de Serge – Der Serge-Effekt
Die Arbeiten von Philippe Quesne und dem Vivarium-Studio sind einzigartig in der französischen Theaterlandschaft. Diese Performance kreist um Serge, der seine Freunde jeden Sonntag zu Dreiminutenshows einlädt: kleine Techniktüfteleien, verspielte, flüchtige Realitätsirritationen, die das langweilige Szenarium des Sonntagnachmittags unterbrechen.
Premiere: 11. Juni 2009, brut im Künstlerhaus

Forum Festwochen
Die innovative Programmschiene enthält sieben Schauspielarbeiten und eine theatrale Installation, die sich mit Biografien beschäftigen. Vier dieser Arbeiten kommen aus der Türkei oder befassen sich mit der Türkei, weiters zu erleben sind Produktionen von Schweizer, koreanischen, spanischen, deutschen und libanesischen Künstlern.
www.festwochen.at

Frankenstein-terv – Das Frankenstein-Projekt
Der ungarische Film- und Theaterregisseur Kornél Mundruczó, bekannt für seine extremen Arbeiten, entwickelt in einem Container ein sehr unsentimentales Sozialdrama: eine Mischung aus Splatter-Komödie, Castingshow und der wilden, lebendigen Realität derer, die es im neuen EU-Ungarn sozial nicht geschafft haben.
Premiere: 14. Mai 2009, Karlsplatz/Resselpark
H3
Der brasilianische Choreograf Bruno Beltrão und seine „Straßentänzergruppe“ aus Rios Peripherie kehren mit diesem weltweit gefeierten Hip-Hop-Stück nach Wien zurück. Zu erwarten ist ein pulsierender Abend mit neun jungen Tänzern, die mit unglaublicher Beschleunigung und ohne Bodenhaftung agieren.
Premiere: 11. Mai 2009, MuseumsQuartier, Halle G

Karl Marx: Das Kapital, erster Band
Nein, diese Doku-Performance behandelt nicht die aktuelle Wirtschaftskrise. Aber sie ist eine der schönsten des Regiekollektivs Rimini Protokoll über das berühmte „blaue Buch“, das die Ware und ihre Wertform, das Geld, die Arbeit und die Wertschöpfung analysiert.
Premiere: 25. Mai 2009, MuseumsQuartier, Halle G

Neva
Der junge chilenische Autor Guillermo Calderón verortet sein Stück am Vorabend der russischen Revolution: Drei Schauspieler proben den Kirschgarten. Draußen auf der Straße mordet die Revolution, drinnen werden alle von ihren Gefühlen überwältigt. Neva ist Metapher für die Geschehnisse in Chile und Anlass, über die Rolle des Theaters in der Gesellschaft nachzudenken.
Premiere: 24. Mai 2009, brut im Künstlerhaus

Onkel Wanja
Jürgen Goschs Inszenierung von Anton Tschechows bitterstem Stück ist eine theatralische Kostbarkeit und wurde von Theater heute zur „Inszenierung des Jahres 2008“ gewählt. Auf der Bühne stehen egomane, nervöse Menschen, die, gefangen in einem schmalen, lehmbeschmierten Kasten, einander nicht ausweichen können. Mit Ulrich Matthes, Jens Harzer und anderen.
Premiere: 30. Mai 2009, MuseumsQuartier, Halle E
Orfeus
Der südafrikanische Künstler Brett Bailey hat die Geschichte von Orpheus in afrikanische Landschaft, afrikanische Rituale und Realitäten übersetzt. Und zwar in verschiedenen Installationen, welche die Schrecken der Lebenshöllen des heutigen Afrika in krassen szenischen Bildern veranschaulichen. Teilweise Open-Air-Aufführung.
Premiere: 8. Juni 2009, Treffpunkt: brut im Künstlerhaus

Der Prozess
Franz Kafkas Roman kreist um den Bankbeamten K., der grundlos von Mitarbeitern einer mysteriösen Behörde verhaftet, aber nicht festgenommen wird. In Andreas Kriegenburgs gefeierter Münchner Inszenierung vollbringen die Schauspieler in einem auf 90 Grad hochgeklappten Bühnenraum akrobatische Höchstleistungen in einer mit Slapstick und Stummfilm spielenden Choreografie.
Premiere: 16. Mai 2009, Volkstheater

Purgatorio
Verstörend, irritierend, suggestiv: Romeo Castelluccis Purgatorio (nach Dantes Die göttliche Komödie) ist höllischer als die Hölle. Es ist das voraussehbare Leben, visualisiert durch ein modernes bürgerliches Designer-Interieur, in dem drei einsame Protagonisten – Mutter, Sohn und Vater – das tun, wozu sie verdammt sind.
Premiere: 26. Mai 2009, Theater an der Wien

Saving the World
In seiner neuesten Produktion landet das deutsch-britische Künstlerkollektiv Gob Squad auf dem Schwedenplatz und bannt mit sieben synchronisierten Kameras die Stadt und ihre Bewohner auf Video. Das widersprüchliche Jetzt wird für eine ungewisse Zukunft bewahrt: Wie werden die Wienerinnen und Wiener im Jahr 2009 gelebt haben?
Premiere: 18. Mai 2009, brut im Künstlerhaus

Schukschins Erzählungen
Sie prügeln, saufen und lieben leidenschaftlich: Die Menschen in Wassili Schukschins Erzählungen sind direkt und wahrhaftig. Der lettische Regisseur Alvis Hermanis akzentuiert in seiner stimmungsvollen Inszenierung den Zusammenprall zweier Welten – hier ein Staraufgebot junger Moskauer Schauspieler, auf der anderen Seite die poetische Welt des provinziellen Russland. PS: Im Filmmuseum läuft parallel dazu eine Schukschin-Filmreihe.
Premiere: 17. Mai 2009, MuseumsQuartier, Halle G

The Sound and the Fury
Die New Yorker Off-Broadway-Truppe Elevator Repair Service erzählt mit dieser William-Faulkner-Bearbeitung am Beispiel der Familie Compson vom Niedergang des alten amerikanischen Südens. Es ist die Choreografie einer Landschaft und eines Zeitalters, welche die Spieler mit vitaler Körpersprache sowie größter musikalischer Präzision herstellen.
Premiere: 5. Juni 2009, MuseumsQuartier, Halle G

Wild wuchern die Wörter in meinem Kopf. Ein Triptychon
In diesem Projekt bewegen sich die künstlerischen Welten des italienischen Regisseurs Antonio Latella und des österreichischen Schriftstellers Josef Winkler aufeinander zu. Aus einer unheiligen Dreifaltigkeit aus Katholizismus, Homoerotik und Schreiben wird die Poesie der Winkler’schen Sprache drei Schauspielern, drei Figuren, auf den Leib geschrieben.
Premiere: 12. Mai 2009, Schauspielhaus

Der zerbrochne Krug
Peter Stein hat das berühmte Lustspiel in einer scharfsinnig historisierenden Inszenierung mit Kleist’schem Aberwitz und Sehnen und politischem Sinn erfüllt. Als anarchisch lustvoller, selbstvergessener und despotischer Dorfrichter Adam ist Klaus Maria Brandauer zu erleben.
Premiere: 2. Juni 2009, Theater an der Wien

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